Die Jahre, als Leipzig nach schwäbischer Hausfrauenart zum Sparen und Streichen gezwungen wurde, rächen sich. Auch auf einem so sensiblen Gebiet wie der UN-Behindertenrechtskonvention, die Leipzig vor zehn Jahren ebenfalls ratifiziert hat. Was eigentlich bedeutet hätte, dass die Stadt binnen zehn Jahren hätte barrierefrei werden müssen. Auch die Haltestellen von Bussen und Bahnen. Aber das ist nicht zu schaffen. Auch nicht in den nächsten fünf Jahren, wie OBM Burkhard Jung am 18. Januar erklärte.
Die Linksfraktion hatte dazu eine Große Anfrage zum Ausbaustand der barrierefreien Haltestellen gestellt und darin betont: „Die LVB verkünden in ihrer Bilanz für 2022 den barrierefreien Umbau von sieben Haltestellen. Im Nahverkehrsplan ist jedoch der Umbau von 40 Bus- und Straßenbahnhaltestellen jährlich festgelegt.“
Die händeringende Suche nach Planern
Was viel zu wenig ist. Doch auch an den Bau der 40 barrierefreien Haltestellen ist derzeit nicht zu denken, wie Baubürgermeister Thomas Dienberg auf die Nachfrage von Linke-Stadträtin Franziska Riekewald erklärte. 17 weitere Bushaltestellen werde man 2023 schaffen. Für 2024 könne er noch keine Prognose abgeben. Der Hauptgrund aber sei nicht das fehlende Geld und es seien auch nicht die von Stadtrat bewilligten Planerstellen. Doch sowohl die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) als auch das Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt könnten die nötigen Planerstellen einfach nicht so schnell besetzen wie gewünscht und erforderlich.
Was eben im Klartext heißt, dass sich der Einstellungsstopp aus vergangenen Jahren bitter rächt. Jetzt, wo sämtliche Branchen über mangelnden Fachkräftenachwuchs reden, weil sich die Ausbildungsjahrgänge überall halbiert haben, muss Leipzig auf einem Markt nach qualifizierten Planern suchen, wo kaum noch ausgebildete Leute zu finden sind. Und das betrifft ja nicht nur die Planung barrierefreier Haltestellen, die man nicht einfach so in die Landschaft setzt. In der Regel muss umfassend auch in Straße und Gehweg eingegriffen werden.
Man kommt also gar nicht umhin, auch Teile der Straße, des Gehwegs und auch der Radwege umzubauen. Was natürlich den eigentlich berechtigten Einwurf des Linke-Fraktionsvorsitzenden Sören Pellmann aufhebt, dann müssten eben Straßenbau und Radwege verschoben werden, damit der barrierefreie Umbau der Haltestellen vorgezogen werden kann.
Enormer Nachholbedarf
2021 hat die Stadt das Ziel von 40 barrierefrei auszubauenden Haltestelle geschafft, mit 42 Bus- und 2 Straßenbahn-Haltestellen, 2022 war es dann schon knapper mit 30 Bus- und 7 Straßenbahn-Haltestellen. „Die LVB sind nur für die Haltestellen der Straßenbahn zuständig, für die Bushaltestellen liegt die Verantwortung beim Verkehrs- und Tiefbauamt. Die Aussage in der LVB-Bilanz sich daher nur auf Straßenbahnhaltestellen“, betonte das VTA.
Das Ausbau-Ziel ist dann – gemessen an den Leipziger Kapazitäten – trotzdem ambitioniert, auch weil – wie Burkhard Jung betonte, „wir aus einer Zeit kommen, als barrierefreie Haltestellen überhaupt noch nicht die Norm waren“. LVB und Stadt müssen also ein Haltestellennetz barrierefrei umbauen, das vor 20 Jahren nur in wenigen Bereichen überhaupt Barrierefreiheit aufwies.
„Gemäß dem Zielstandard Z 11 im Nahverkehrsplan der Stadt sollen unter Berücksichtigung der verfügbaren bzw. noch aufzubauenden personellen und finanziellen Ressourcen pro Jahr zehn Straßenbahn- und vierzig Bushaltestellen barrierefrei umgebaut werden. Dabei handelt es sich um einen Zielstandard und keinen Mindeststandard. Die Umsetzung dieser sehr ambitionierten Zielstellung ist von vielen Faktoren abhängig“, hatte das Baudezernat betont.
„Straßenbahnhaltestellen können erst nach oder mit der Gleisachsaufweitung für 2,4 m breite Straßenbahnfahrzeuge barrierefrei ausgebaut werden. Dies ist im öffentlichen Verkehrsraum fast nur im Rahmen komplexer Baumaßnahmen und der Neuaufteilung des Verkehrsraumes möglich. Die Planungsdauer dieser Projekte liegt mittlerweile bei bis zu 8 Jahren.“
Angespannte Personalsituation
Und nach wie vor fehlen die Planer, so die Antwort der Verwaltung: „Wie auch bereits zu einem Haushaltsantrag ausgeführt, kann zudem die Anzahl der auszubauenden Bushaltestellen aufgrund der angespannten Personalsituation im VTA und der derzeit bei den LVB in Bearbeitung befindlichen Busnetzreform, in welcher u. a. neue Linienführungen untersucht werden, aktuell nicht gehalten werden.“
Was dann 2023 erst einmal zu einer für alle Seiten unbefriedigenden Zahl führt: „In 2023 und 2024 werden voraussichtlich je 7 Straßenbahnhaltestellen und 2023 ca. 17 Bushaltestellen ausgebaut. Für 2024 ist noch keine Angabe zu den Bushaltestellen möglich.“
Bis aber das komplette Netz der LVB mit barrierefreien Haltestellen ausgestattet ist, wird es noch mindestens 10 Jahre dauern, betont die Antwort der Verwaltung: „Mit dem heutigen Ausbautempo ist von noch mehr als 10 Jahre auszugehen, bis die vollständige Barrierefreiheit der Haltestellen erreicht ist. Allerdings werden gemäß Nahverkehrsplan auch Ausnahmen für bestimmte Haltestellen definiert.
Weiter Weg zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
Hier kann von Mindest- oder Höchstmaßen abgewichen werden, wenn aus Gründen der Topografie, wegen ungünstiger räumlicher Gegebenheiten (z. B. schmale Gehwege, Grundstückszufahrten) oder aus anderen Gründen ein vollständig anforderungsgerechter Ausbau technisch oder rechtlich nicht möglich oder wirtschaftlich unverhältnismäßig ist. In diesen Fällen ist eine möglichst weitgehende Barrierefreiheit herzustellen.“
Ganz wesentlich für die Betrachtung sei nicht nur die reine Zahl der barrierefreien Haltestellen, hatte das Baudezernat noch betont, sondern vor allem auch den Anteil der damit erreichten Fahrgäste: „Ende 2022 waren etwa 68,7 % der im Linienbetrieb bedienten Richtungshaltestellen der Straßenbahn und 57,8 % der Bushaltestellen (exklusive Kombi-Haltestellen Straßenbahn und Bus) barrierefrei ausgebaut. Unter Betrachtung der erfassten Fahrgastzahlen zeigt sich, dass damit bereits deutlich über 80 % der Fahrgäste im Stadtgebiet Leipzigs an bereits ausgebauten Haltestellen zusteigen.“
Aber aus seinen Gesprächen mit Kollegen aus dem Deutschen Städtebund merkte Burkhard Jung noch an, dass auch die anderen Städte Schwierigkeiten haben, das Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention zeitnah zu erreichen.
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