Ist es nach 800 Jahren Zeit, dass aus dem Knabenchor der Thomaner ein gemischter Chor wird? Eine Frage, die zumindest Stadtrat Thomas KumbernuรŸ (Die PARTEI) bewegte. Sonst hรคtte er seinen Antrag โ€žDer Thomanerchor โ€“ keine Jungssache mehr!โ€œ so nicht gestellt. Scheinbar ein ganz legitimes Anliegen in einer Zeit, in der auch andere Knabenchรถre sich mit der Frage beschรคftigen, ob Mรคdchen mitsingen sollten. Aber in der Ratsversammlung am 18. Januar bekam er auch Gegenwind von den Frauen im Stadtrat.

Besonders heftig von CDU-Stadtrรคtin Andrea Niermann, die sich nicht nur dagegen verwahrte, dass Thomas KumbernuรŸ immer wieder stellvertretend die Sache von Mรคdchen und Frauen zum Inhalt seiner Antrรคge machte. Das empfindet sie sogar als AnmaรŸung. Sondern auch, weil der Antrag das Thema vรถllig verfehlte.

Denn รผber die Fรถrderung sangesbegeisterter Mรคdchen wurde in Leipzig schon lange diskutiert, bevor diese Debatte in Regensburg und anderswo รผberhaupt hochkochte und zum medialen Skandal hochgeschaukelt wurde. Wobei die Regensburger Domspatzen eben auch keinen gemischten Chor etabliert haben, sondern neben dem etablierten Knabenchor seit 2022 nun auch einen Mรคdchenchor.

Wรคhrend in Leipzig lรคngst Angebote auf hรถchstem Niveau auch und gerade fรผr Mรคdchen existierten. Die Verwaltungsvorlage nennt explizit die Schola Cantorum. Andrea Niermann betonte auch die Entwicklungen an der Thomasschule, an der es lรคngst einen auf hohem Niveau singenden gemischten Schulchor gibt, dazu zwei Kammerchรถre und ein Schulorchester. Mรคdchen, die an der Thomasschule lernen, sitzen also im Unterricht nicht nur neben den Thomanern, sondern kรถnnen an ihrer Schule auch eine hochkarรคtige musikalische Ausbildung erhalten.

Es gibt aus der Sicht der Gleichberechtigung folglich nicht wirklich zwingende Grรผnde, den Thomanerchor auch fรผr Mรคdchen zu รถffnen.

Chancenloser Antrag und turbulente Abstimmung im Saal

Aber genau das wollte Thomas KumbernuรŸ mit seinem Antrag: โ€žDie Stadt Leipzig fรถrdert und unterstรผtzt den Thomanerchor bei der geschlechterรผbergreifenden Suche nach neuen Mitgliedern des Chores. Dabei soll der Fokus verstรคrkt auf weiblich bzw. weiblich gelesene Personen gerichtet werden, mit dem Ziel, diese in den Thomanerchor zu integrieren.โ€œ

Und auch wenn er in seiner Rede zum Antrag betonte, dass sich das Stimmbild des Chores auch im Lauf der 800 Jahre mehrmals geรคndert haben muss, war die Stadtratsmehrheit nicht wirklich der Auffassung, dass Leipzig mit dem Thomanerchor โ€žeine vermeintlich letzte Bastion, einen vermeintlich letzten Rรผckzugsraum, der exklusiv mรคnnlich gelesenen Personen vorbehalten istโ€œ, besitzt. Sondern einen besonderen Klangkรถrper, dessen Klangbild eben genau dadurch geprรคgt wird, dass nur Jungen darin singen.

Dass es in Leipzig viele Mรถglichkeiten gibt, auch reine Mรคdchenchรถre auf hรถchstem Niveau singen zu hรถren, hatte die Stellungnahme aus dem Kulturdezernat extra betont.

Die Stellungnahme der Verwaltung zum Antrag von Thomas KumbernuรŸ.

Als es freilich um die Abstimmung ging, wurde es etwas turbulent, weil Thomas KumbernuรŸ unbedingt eine namentliche Abstimmung wollte. OBM Burkhard Jung aber lieรŸ nur per Hand abstimmen, weil absehbar war, dass der Antrag von KumbernuรŸ keine Mehrheit finden wรผrde.

Vier Stimmen bekam er am Ende, zehn Mitglieder der Ratsversammlung enthielten sich. Die groรŸe Mehrheit stimmte dagegen.

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Es gibt 3 Kommentare

Sorry, ich kann nur den Kopf schรผtteln รผber einen solchen Antrag. Wie ist Herr Kumbernuss damals รผberhaupt in die Auswahlkommission fรผr die Neubesetzung der Kantorenstelle gekommen? Eine Kompetenz scheint bei ihm รผberhaupt nicht vorzuliegen, da er รผber musikalische Dinge sicher nicht Bescheid weiรŸ. Oder: Er hat vielleicht eine Ahnung von klassischer Musik, ignoriert sie aber bewusst, um seine gesellschaftlichen Vorstellungen mit der Brechstange durchzusetzen. Beides wรคre gleich schlimm. Sowohl in der klassischen Chormusik als auch in Orchestern wird extrem penibel darauf geachtet, ob eine Stimme oder ein Instrumentenklang sich ins Harmoniegefรผge des Chores/Orchesters gut einfรผgt. Und ein Knabenchor hat ein spezifisches Klangbild, das wirklich davon abhรคngt, ob hier Jungen oder Mรคdchen singen. Wenn erโ€™s nicht glaubt, so steht es frei, sich mal in der hiesigen Musikhochschule fachliche Meinungen der dortigen Lehrkrรคfte anzuhรถren.
In diesem kurzen Beitrag, wird die Thematik recht gut dargestellt:

https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/gesang-unterschied-maedchen-junge-100.html

Geschlechterungerechtigkeit wรผrde bestehen, wenn eine Musikerin mit hรถherem Niveau nicht als Kantorin berรผcksichtigt wird, und ein Mann mit schlechterem Niveau die Stelle bekommt. Oder wenn Mรคdchen gar keine Mรถglichkeit haben, einem sehr guten Chor beitreten zu kรถnnen. Von daher war es tatsรคchlich รผberfรคllig, in Regensburg eine zweite Abteilung zu erรถffnen.
Was Leipzig angeht, so habe ich, wirklich zufรคlligerweise, vor zwei Wochen eine Frau kennengelernt, die jahrelang in der Scola Cantorum und dem Kinderchor des Gewandhauses mitgesungen hatte. Das Niveau dort ist sehr hoch und die Fรถrderung der Mรคdchen erstklassig.

Nicht zu vergessen: Der Leistungsdruck fรผr Kinder in Spitzenchรถren ist immens. Ein Bekannter hatte seinen Sohn in einem Spitzenchor einer anderen Stadt. Der Druck war so groรŸ, dass der Junge einen regelrechten Knacks bekam. Natรผrlich bemรผhen sich die Ausbilder sehr, kindgerecht zu lehren. Aber es ist nicht ein Zuckerschlecken.

Fazit: Verschont die Spitzenmusik vor ideologischen Experimenten.

Thomas KumbernuรŸ gehรถrte 2020 der Auswahlkommission im Verfahren zur Nachfolge im Thomaskantorat an und kennt sich mindestens dadurch hinsichtich der รคltestesten kulturellen Einrichtung Leipzigs gut aus. Die damalige Stellenausschreibung der Stadt Leipzig lautete auf โ€œKรผnstlerischer Leiter / Kรผnstlerische Leiterin des Thomanerchores Leipzig โ€“ Thomaskantor/-inโ€ und umfaรŸte sozusagen sprichwรถrtlich auch โ€œweiblich gelesene Personenโ€. Ob es keine Bewerberin gegeben hat, ist nicht bekannt. Mir war genau eine geeignete mรถgliche Bewerberin eingefallen, die das Amt auch bestens gekonnt hรคtte, ich nehme an, der Auswahlkommission schwebten damals durchweg Mรคnner vor. DaรŸ Stadtrat KumbernuรŸ sich fรผr das sigende Ensemble nun auch Knรคbinnen wรผnscht, ist nicht mal originell, sondern langweilt. Originell hingegen ist und bleibt sein Slogan โ€œLangos fรผr alle!โ€

Fรผr den Klang eines Knabenchores kommt es meiner Ansicht nach nicht darauf an, dass sich darin โ€œals mรคnnlich gelesene Personenโ€ befinden, sondern dafรผr ist wichtig, dass sich darin Knaben befinden.

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