Der Wunsch, Menschen über das Geld zu kontrollieren und damit zu gesellschaftlich angepasstem Verhalten zu bringen, sitzt tief. Augenscheinlich ist das sogar der Kern der bürgerlichen Gesellschaft, die soziale Akzeptanz immer an irgendwelche Geldzahlungen koppelt. Auch dann, wenn Menschen ohne einen Cent in der Tasche um eine kostenlose Übernachtung in der Obdachlosenunterkunft bitten.
In der Ratsversammlung am 14. Dezember wurde die Petition der Leipzigerin Esther von Wirth für kostenlose Notschlafstellen beschlossen. Vorerst einmal – auf Vorschlag von OBM Burkhard Jung – befristet bis zum 31. März 2023.
Und zwar ohne eine besondere Härtefallregelung, wie es CDU-Stadtrat Karsten Albrecht forderte. Denn Härtefälle bekommen Übernachtungen in den Leipziger Notschlafstellen schon jetzt kostenlos. Das bestätigte Burkhard Jung. Das wäre also gar nichts Neues.
Die Petition von Esther von Wirth.
Aber es würde trotzdem weiterhin viele Bittsteller in der Kälte stehen lassen, die eben nicht als Härtefall eingestuft werden.
Wobei Stadtrat Markus Weiß zu Recht fragte, wer das eigentlich in den Obdachlosenunterkünften prüfen soll, wer ein Härtefall ist und wer nicht? Die Security?
Natürlich ging es in der Debatte um die Petition von Esther von Wirth ums Prinzip. Das machte ja auch der Einwurf von SPD-Stadtrat Christopher Zenker deutlich, der darauf verwies, dass die 5 Euro Übernachtungsgebühr vor allem dazu gedacht sind, die Obdachsuchenden (wieder) ins Sozialsystem zu holen und sie dazu zu bringen, Anträge auf Grundsicherung zu stellen.
Aber das, so erklärte Linke-Stadträtin Juliane Nagel, könne man auch schaffen, wenn die Obdachsuchenden keine 5 Euro Übernachtungsgebühr zahlen. Da ginge es augenscheinlich wirklich nur um die Umstellung des Prinzips.
Und das könnte ja nun – nach vielen langen Debatten im Stadtrat – ab 2023 sowieso passieren, denn dann soll ja das Konzept zur Wohnungslosenhilfe für 2023 bis 2026 fortgeschrieben werden, auch wenn da bislang die Kostenfreistellung für Übernachtungen durch Stadtverwaltung und Ratsmehrheit noch abgelehnt wurde, weil mit der Gebührenerhebung auch erreicht werden soll, dass die Nutzer/-innen Sozialleistungen beantragen und neben einer Krankenversicherung auch ein regelmäßiges Einkommen haben.
Vetreiben statt Helfen?
„Wir erleben, dass Wohnungslose sehr wohl ansprechbar für Sozialarbeiter/-innen sind. Es braucht sicher keine solche restriktiven Mechanismen“, kommentiert Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende und sozialpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion und Mitglied der AG Recht auf Wohnen, den Beschluss der Ratsversammlung vom 14. Dezember.
„Ganz im Gegenteil stellte die bisherige Gebühr für eine Übernachtung für einige der wohnungslosen Menschen eine unüberwindbare Hürde dar, ohne das damit verbundene Ziel, diese in einen Sozialleistungsbezug zu bekommen, zu erreichen. Wir danken deshalb der Petentin für diese wichtige Initiative.“
Und genau darum ging es ja der Petentin, dass eben auch all jene Menschen ein kostenloses Ruhelager für die Nacht finden, die kein Geld haben. Betroffen davon sind viele EU-Bürger, die sich oft nur zeitweilig in Leipzig aufhalten.
Aber Katharina Krefft kritisierte bei der Gelegenheit auch das teils rabiate städtische Vorgehen gegen Obdachlose an bekannten öffentlichen Orten in der Stadt:
„Nach der Räumung selbst eingerichteter Orte im Astoriatunnel oder im East Park sind die Wohnungslosen, die dort Schutz fanden, nicht mehr für Straßensozialarbeiter/-innen erreichbar. Damit werden soziale Beziehungen untereinander auseinandergerissen und die Kontakte zum Hilfenetz empfindlich gestört. Wir wissen schlicht nicht, wie es den Betreffenden weiter ergeht, erst recht nicht, ob sie medizinischen Hilfebedarf oder Kälteschutz benötigen.“
Genau diese Gründe bestimmten die Debatte und gerade unter dem Eindruck der heftigen Kälte wurden die Herzen der Stadträt/-innen erwärmt. Der Beschluss wurde einstimmig gefasst. Damit ist der Paradigmenwechsel in der Wohnungsnotfallhilfe entscheidend erreicht. Zuerst ein Dach, ein warmer Ort – dann alle weiteren Schritte zurück in gesicherte Wohnverhältnisse.
Keine Mehrheit im Petitionsausschuss
Im Petitionsausschuss hatte es zuvor noch keine Mehrheit für die Petition gegeben, aber auch nicht für den Verwaltungsvorschlag, der eine Ablehnung der Petition empfahl. Logisch, dass die Linke-Stadträtin Beate Ehms auch als Vorsitzende des Petitionsausschusses der Ratsversammlung die Abstimmung in weiser Entscheidungsfindung in die Hände legte.
Der Verwaltungsstandpunkt zur Petition zur kostenlosen Unterbringung.
Wenn Paragraphen nicht mehr weiterhelfen, muss nun einmal – wie es sich auch die Petentin wünschte – das Herz sprechen. Oder das, was man so landläufig gesunden Menschenverstand nennt, der so oft ausgehebelt wird, wenn scheinbar vernünftige und scheinbar logische Gründe ins Feld geführt werden.
So, wie es auch das Sozialamt in seiner Begründung (und Ablehnung) tat:
„Bei Aussetzung der Benutzungsgebühr würde ein wichtiger Anreiz zur Beantragung von Sozialleistungen wegfallen und ein großer Teil der wohnungslosen Menschen würde seine Ansprüche nicht mehr geltend machen. Bei Nicht-Beantragung von Sozialleistungen besteht kein Krankenversicherungsschutz und der Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft würde in vielen Fällen erheblich verzögert, da eine eigene Wohnung dann nur bezogen werden könnte, wenn die Mietkosten aus eigenem Einkommen gedeckt werden können. Außerdem entgingen dem städtischen Haushalt dadurch erhebliche Einnahmen.“
Das waren dann schon ein paar Begründungen zu viel. Und sie zeigten, dass die Sachbearbeiter sich eher nicht in die Rolle der Schutzsuchenden – die oft auch unter erheblichen psychischen Belastungen leiden – hineinversetzen können.
Und auch nicht in die Arbeit der Sozialarbeiter/-innen, die hilflos zuschauen müssen, wie die von ihnen Betreuten immer weiter aus der Innenstadt vertrieben werden und damit immer schwerer auffindbar und ansprechbar sind.
Da sind die Notunterkünfte, wie Katharinas Krefft betonte, der letztlich einzige Weg, überhaupt wieder regelmäßig mit ihnen in Kontakt zu kommen.
Es braucht mehr Angebote
„Wichtig ist, diesen Beschluss an die Einrichtungen zu kommunizieren und sicher auch, zusätzlichen Kälteschutz zu schaffen, zum Beispiel am Hauptbahnhof“, betont Krefft. Und die Einrichtung einer neuen Notschlafstelle in Hauptbahnhofnähe ist ja nach Auskunft von OBM Burkhard Jung in Arbeit. Auch mehr Kälteschutzstellen für Frauen soll es geben, nachdem es solche in der Vergangenheit nur für Männer gegeben hatte.
„Der Kauf eines weiteren Objektes ist aktuell in den Gremien, jedoch wird dieses erst Ende 2023 eingerichtet sein“, warnte Krefft hingegen. „Bis dahin müssen andere Angebote eingerichtet werden. Beispielsweise war das spendenfinanzierte Hostel ‚Homeplanet for Homeless‘ in Connewitz innerhalb kürzester Zeit belegt, viele Interessent/-innen mussten abgewiesen werden.“
Die Kostenfreistellung für die Unterbringung in den Obdachlosenunterkünften bis zum 31. März ist also nur ein erster Schritt, um die Lage der Betroffenen gerade in der jetzigen Frostperiode zu lindern.
Die Terminierung bis März war der Kompromissvorschlag von Burkhard Jung, der beinahe noch die Einschränkung „im Härtefall“, die Karsten Albrecht eingeworfen hatte, übernommen hätte. Aber das hätte dann an der geübten Praxis nichts geändert. Also fand er sich doch bereit, die Formulierung „im Härtefall“ wegzulassen.
So bekam sein Vorschlag dann mit 49 Pro-Stimmen und bei zehn Enthaltungen eine deutliche Mehrheit in der Ratsversammlung. Da sprach dann wohl doch das Herz, und nicht der Erziehungsratgeber.
Keine Kommentare bisher