Da streute sich Baubürgermeister Thomas Dienberg sogar Asche aufs Haupt und entschuldigte sich regelrecht dafür, dass er mit der Vorlage des „Mittelfristigen Investitionsprogramms im Straßen- und Brückenbau“ ein bisschen spät dran sei. Aber die Verzögerung hat auch damit zu tun, dass der Stadtrat selbst einen Paradigmenwechsel beschlossen hat: 2018 mit der Mobilitätsstrategie. Die auch einen anderen Umgang mit dem Straßenbau nach sich zieht. Zwangsläufig.
„Das vom Stadtrat beschlossene Mittelfristige Investitionsprogramm im Straßen- und Brückenbau 2013–2020 ist zumindest vom Titel zeitlich abgelaufen und muss fortgeschrieben werden“, hatte die SPD-Fraktion in ihrer Anfrage an die Verwaltung festgestellt.
„Auf unsere Anfrage vom Februar 2021 teilte die Verwaltung mit, dass sich ‚die Vorlage zum Mittelfristigen Investitionsprogramm im Straßen- und Brückenbau 2020 – 2024 (VII-DS-02004) im Verwaltungsverfahren befindet. Eine Bestätigung in der Dienstberatung des Oberbürgermeisters wird Ende März 2021 erwartet und geht danach in die Gremienbeteiligung und zur Beschlussfassung in den Stadtrat.‘ – Nach unserem Kenntnisstand wurde die Vorlage bisher nicht in die Gremienbeteiligung und zur Diskussion und Beschlussfassung an den Stadtrat übergeben.“
Richtungsweisender Beschluss von 2018
Warum es jetzt zu einer weiteren Verzögerung gekommen ist, hatte das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) in der schriftlichen Antwort sogar schon erklärt:
„Das ‚Mittelfristige Investitionsprogramm im Straßen- und Brückenbau 2013–2020‘ (Vorlage RBV-1774/13 vom 18.09.2013) war auf den Zeitraum bis Ende 2020 ausgelegt und sollte nachfolgend für einen neuen Zeitraum fortgeschrieben werden. Diese Fortschreibung war als eigenständige Vorlage ‚Fachplanung für die mittelfristige Realisierung der Verkehrsinfrastruktur’ geplant und in Arbeit, darauf bezog sich auch die im Februar 2021 gegebene Antwort.“
Aber dann stellte man doch noch fest, dass da 2018 ein richtungsweisender Beschluss vom Stadtrat gefällt wurde, der auch für den Bau von Straßen und Brücken Konsequenzen hat. Denn jetzt sollte bei jeder, wirklich jeder dieser Maßnahmen der Umweltverbund Vorrang haben und konsequent berücksichtigt werden: ÖPNV, Radverkehr, Fußwege.
Jetzt gilt die Mobilitätsstrategie
Da geht es einfach nicht mehr, dass man die alten Pläne aus den 1990er Jahren hervorholt und losbaut, um dann spätestens im Stadtrat zu merken, dass es Pläne aus einem vergangenen Jahrhundert sind und für die klimafreundlichen Verkehrsarten wieder kein Vorrang zu erkennen ist und die Planungen noch einmal teuer umgestellt werden müssen.
Also stoppte Bürgermeister Dienberg 2021 den ganzen Prozess und ließ die Planer das Ganze unter den neuen, nun einmal vom Stadtrat beschlossenen Prämissen überarbeiten.
Im Text der Antwort liest sich das so: „Da mit dem Rahmenplan zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie (VII-DS-00547-NF-01) mittlerweile ein Instrument etabliert ist, das (auch) für die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur zur zentralen Steuerung dient und das regelmäßig fortgeschrieben wird, soll die Fachplanung nun in die Fortschreibung des Rahmenplans einfließen, um keine parallelen Dokumente mehr zu führen, die immer auch einen unterschiedlichen Aktualisierungsstand haben.
Derzeit befindet sich als Abschluss des separaten Mittelfristprogramms die Vorlage ‚Evaluierung des Mittelfristigen Investitionsprogramms im Straßen- und Brückenbau 2013- 2020‘ (VII-IfO-07197) im Verfahren, das dem Stadtrat nach der Bestätigung in der DB OBM zugeht.“
Im Februar erfährt der Stadtrat, wie groß der Rückstand ist
Was SPD-Stadträtin Christina März noch zu unkonkret war, weshalb sie in der Ratsversammlung am 9. November noch einmal nachfragte. Evaluierung heißt ja: Was wurde eigentlich aus dem Mittelfristigen Investitionsprogramm tatsächlich alles umgesetzt – und was fehlt immernoch?
Denn beim Blick auf die Straßenbauvorhaben der Stadt ist ja offenkundig, dass bis 2020 nicht alles geschafft wurde, auch nicht bis 2022, und viele Projekte, die sogar auf der Prioritätenliste standen, sogar erst bis 2030 gebaut werden. Was viele Gründe hat: finanzielle, personelle, Kapazitätsgründe. Diese Evaluierung sei gerade in Arbeit, so Thomas Dienberg, Anfang 2023 will er die Liste im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau vorlegen.
Und was dann die neue Prioritätenliste betrifft, teilte das VTA mit: „Im Rahmen der Fortschreibung des Rahmenplanes zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie werden derzeit die Prioritätenlisten der Anlagen des alten Mittelfristigen Straßen- und Brückenbauprogramms 2013–2020 aktualisiert und fortgeschrieben bzw. neu aufgestellt und teilweise neuen Kriterien unterzogen. Da hierfür ein wesentlich höherer Bearbeitungsaufwand erforderlich ist, kann noch keine klare Terminierung der Übergabe der Fortschreibung erfolgen.“
Es ist ja recht sanft angemerkt: So manches alte Straßenprojekt muss vollkommen neu geplant werden, weil das Mobilitätskonzept eine völlig andere Straßengestaltung erzwingt. Da werden dann bergeweise alte Pläne ins Archiv wandern und Planungen „neu aufgestellt und teilweise neuen Kriterien unterzogen“ werden müssen.
Was für den Stadtrat eben auch heißt: Abschied nehmen von den alten Verkehrsvorstellungen des Jahres 2010. Sie sind größtenteils Makulatur. Wer in Leipzig die Mobilitätswende will, muss völlig anders planen.
Aber ein Loch entsteht ja trotzdem nicht, wie das VTA feststellt: „Da, wie auch die o.g. Evaluation darstellen wird, das bisherige Mittelfristprogramm noch eine Vielzahl bisher nicht abgearbeiteter Maßnahmen enthält, können und werden diese Prioritätenlisten derzeit weiter verwendet, ergänzt um Notwendigkeiten, die sich z. B. aus dem Infrastrukturprogramm zur Gleisaufweitung für den Einsatz breiterer Straßenbahnen und diversen Stadtratsaufträgen ergeben.“
Man könnte auch zuspitzen und sagen: Leipzig ist beim Straßen- und Brückenbau stellenweise um mindestens zehn Jahre im Verzug und hat noch einen riesigen Berg nicht umgesetzter Straßen- und Brückenprojekte vor sich.
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