Eigentlich war es nur eine Informationsvorlage, die der Stadtrat da am 10. November zu später Stunde zur Kenntnis nehmen sollte. Denn mit den Daten aus der „Bürgerumfrage 2020“ hat das Demokratiereferat Leipzig ja erstmals auch einen „Demokratie-Monitor“ für Leipzig vorgelegt, der in etwa dem Frageschema des „Sachsen-Monitors“ entspricht. Aber wenn es um extremistische Einstellungen in der Bevölkerung geht, fühlt sich eine Fraktion im Stadtrat immer gleich angesprochen.

Und sie hat bei Donald Trump längst gelernt, wie man in solchen Fällen vorgeht. Man zeigt mit dem Finger auf andere und erfindet gleich noch einen Extremismus dazu – in diesem Fall den Klimaextremismus, den AfD-Stadtrat Marius Beyer dann gleich mal auch zur neuen RAF erklärte und damit in den Tonfall konservativer Politiker einstimmte, die den Protest gerade von Gruppen wie „Last Generation“ öffentlich kriminalisierten und zunehmend härtere Strafen für die zumeist jugendlichen Protestierer fordern.

Dass CDU-Stadtrat Michael Weickert dazu vielleicht etwas gesagt hätte, wünschte sich dann an diesem Abend noch SPD-Stadträtin Christina März. Aber so deutliche Töne waren von Weickert dann doch nicht zu hören. Eher von Linke-Stadträtin Juliane Nagel, die die AfD beiläufig darauf aufmerksam machte, dass sie sich selbst nur zu gern als Verbreiterin von Verschwörungstheorien betätigt – durchaus mit schlimmen Folgen wie bei der Leugnung des Coronavirus.

Weshalb sich die Linksfraktion auch das Item Verschwörungstheorien im Auswertungsschema für den „Demokratie-Monitor“ wünschte und einen Änderungsantrag stellte.

Vielleicht kommt das sogar. Denn dass die ausgewählten Items im „Demokratie-Monitor 2020“ möglicherweise nicht ausreichen, bestätigte auch Demokratie-Bürgermeisterin Vicki Felthaus. Man sei intern schon an der Auswertung, ob man künftig in der Bürgerumfrage mehr Items abfragen werde, da auch die Wissenschaft sich immer weiterentwickele.

„Demokratie-Monitor 2021“ ist in Vorbereitung

Nur wird das keinen Einfluss mehr nehmen auf den nächsten „Demokratie-Monitor“, denn der wird anhand der Befragungsergebnisse aus der Bürgerumfrage 2021 erstellt. Und die ist ja schon gelaufen.

Und der „Demokratie-Monitor“ war ja auch genau so vom Stadtrat in Auftrag gegeben: Aus der Bürgerumfrage die Fragestellungen herauszufiltern, die eine Übersicht über die Einstellungen der befragten Leipziger zur Demokratie ermöglichen.

„Im Leipziger Demokratie-Monitor 2020 erfolgt die Auswertung in verbaler, tabellarischer und grafischer Form der Items zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und politischen Einstellungsmustern aus der Kommunalen Bürgerumfrage 2020. Für fünf Dimensionen – Xenophobie, rechtsextreme Einstellungen, Autoritarismus, Politikverdrossenheit und Direkte Demokratie – erfolgt eine umfassende Analyse der Situation in Leipzig anhand unterschiedlicher soziodemografischer Faktoren wie Alter, Bildung, Einkommen oder persönliche Zukunftsaussicht“, heißt es in der Informationsvorlage.

Ausgewertet haben wir den „Demokratie-Monitor“ hier.

„Grundlage der Befragung bildet der Stadtratsbeschluss ‚Gemeinsam für ein friedliches gesellschaftliches Zusammenleben – Gegen Hass, Gewalt und Hetze‘“, erläuterte die Verwaltung. „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, ‚jährlich ein Lagebild zu Einstellungsmustern der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und entsprechenden Vorfällen auf Basis der Ergebnisse der Bürgerumfrage zu erstellen‘.“

Der Blick auf „Extremismus“ verstellt den Blick aufs Wesentliche

Dass das ganze Gerede vom Extremismus völlig am Thema vorbeigeht, macht allein schon das Thema Politikverdrossenheit deutlich:

„Politikerverdrossenheit ist weit verbreitet, vor allem unter jüngeren Menschen. Zwei Drittel aller Befragten vermissen einen engen Kontakt zu Politikerinnen und Politikern. Zudem schätzt sich die Hälfte der Befragten als politisch nicht selbstwirksam ein und in etwa ebenso viele erkennen kein Primat der Politik vor der Wirtschaft. Damit geht aus den Befunden ein deutliches Warnsignal hervor: Offenbar wird die demokratische Praxis in Leipzig in erster Linie nicht mit politischen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in Verbindung gebracht.“

Denn genau die Reaktionen diverser konservativer Politiker auf die Protestaktionen von „Last Generation“ machen deutlich, dass die Bürger mit ihrem Gefühl recht haben, dass die Interessen einiger Wirtschaftsteile und ihrer Lobbyisten in Deutschland mehr Einfluss haben auf die Politik als die wahlberechtigten Bürger. Was der wesentliche Grund dafür ist, dass Deutschland bei der Umsetzung seiner Klimaziele nicht vorankommt.

Und während der AfD-Stadtrat fleißig nach neuen Extremismen auf der linken Seite der Ratsversammlung suchte, stellte die Verwaltung in ihrer Vorlage fest:

„Der Leipziger Demokratie-Monitor 2020 zeigt, dass die deutliche Mehrheit der Leipzigerinnen und Leipziger menschenfeindliche Haltungen und demokratiefeindliche Einstellungen ablehnt. Knapp drei Viertel der Befragten distanzieren sich hierbei von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und weniger als 10 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Kommunalen Bürgerumfrage stimmt rechtsextremen Aussagen zu.

Die Daten verdeutlichen, dass Personen mit bestimmten soziodemografischen Merkmalen stärker zur Abwertung von unterschiedlichen sozialen Gruppen neigen. Beispielsweise nehmen Vorurteilen tendenziell mit steigendem Alter, niedriegerem formalen Bildungsgrad sowie mit größerer Entfernung vom Stadtzentrum zu. Insgesamt offenbart der Vergleich mit dem Sachsen-Monitor 2018 eine geringere Zustimmung der Leipzigerinnen und Leipziger zu xenophoben, politikverdrossenen und demokratiegefährdenden Einstellungen als der sächsische Durchschnitt.“

Selbst wenn die Stadt jetzt neue Themen aufnimmt in das Befragungsschema der Bürgerumfrage, wird sich daran nicht viel ändern, dass eine kleine Minderheit menschenfeindliche Einstellungen hegt, meist verbunden mit demokratiefeindlichen Einstellungen.

Die Aufgabe wird nicht sein, noch mehr Extremismen zu finden, die dann immer kleinteiliger im Monitor auftauchen, sondern den Leipzigern die Teilhabe an der Demokratie tatsächlich zu erleichtern.  Der „Demokratie-Monitor“ kann dabei helfen.

Die Vorlage musste eigentlich nur zur Kenntnis genommen werden. Zu ändern war daran nichts mehr. Beide Änderungsanträge fanden an diesem Tag logischerweise keine Mehrheit.

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