Nicht nur Finanzbürgermeister Torsten Bonew, auch OBM Burkhard Jung zeigte sich am Mittwoch, dem 14. September, besorgt darüber, dass der Doppelhaushalt 2023/2024, den der Stadtrat jetzt vorgelegt bekam, nur ein vorläufiger sein könnte und 2023 schon wieder nachgesteuert werden müsste. Denn all die Risiken, die sich in letzter Zeit erst aufgebaut haben, sind teilweise gar nicht berücksichtigt.
Angefangen von der rasanten Entwicklung der Energiepreise, die nicht nur in sämtlichen Abteilungen der Stadt zu Buche schlagen, sondern auch viele Leipziger Unternehmen in existenzielle Nöte bringen. Die Tarifentwicklung bereitet dem Finanzbürgermeister ebenso gewaltige Sorgen, denn geplant hat er mit Gehaltssteigerungen von 2,5 Prozent, während die Gewerkschaften mit einem vollen Inflationsausgleich von 8 Prozent in die Tarifverhandlungen ziehen.
Die Energiepreise setzen aber auch die Leipziger Kulturhäuser und ebenso die LVB heftig unter Druck, sodass der ÖPNV sogar noch teurer zu werden droht. Während die Folgen der Corona-Pandemie noch nicht völlig bewältigt sind und gleichzeitig die Flüchtlingsbewegung weltweit wieder zunimmt.
Und zwar zusätzlich zu den schon in Leipzig heimisch gewordenen Ukrainern. Immer mehr Menschen etwa aus Syrien oder Afghanistan suchen in Sachsen Asyl.
Aber all das lässt sich nicht wirklich kalkulieren.
Wenn das Milchmädchen rechnet
Und in die Klemme kommt Leipzigs Haushalt durch etwas völlig anderes. Etwas, das Torsten Bonew kurz andeutete, als er von den Puffern sprach, die sich der Bund in den Jahren guter wirtschaftlicher Entwicklung erarbeitet hat. Doch mit Corona hat der Bund so viel Geld ausgegeben, dass diese Puffer nicht mehr existieren. Jedes neue Hilfsprogramm muss durch neue Schulden abgefedert werden.
Aber diese Politik läuft ja bekanntlich unter dem Label „Schwarze Null“. Und hat auch eine dunkle Seite, die immer ausgeblendet wird, wenn deutsche Finanzminister über Schulden und „Verschwendung“ reden. Mal abgesehen von der andauernden Steuerentlastung für die Vielverdiener im Land ist da zum Beispiel das riesige 10-Milliarden-Euro-Sparschwein, das sich die sächsische Landesregierung mit dem Generationenfonds gönnt. Geld, das den sächsischen Kommunen in den vergangenen zehn Jahren systematisch entzogen wurde und überall für Infrastrukturen fehlt.
Und da ist man bei den sächsischen Milchmädchenrechnungen. Auch Torsten Bonew macht eine auf. Denn er weiß, wie viel Geld Leipzig in den nächsten Jahren dringend in seine Infrastrukturen und vor allem neue Schulen investieren muss: 456 Millionen Euro sollen allein 2023 investiert werden, 2024 dann sogar 493 Millionen Euro. Beides Rekordsummen, was die Investitionstätigkeit der Stadt betrifft.
Doch bezahlt werden soll das größtenteils durch Kredite. Denn nur ein kleiner Teil der Investitionen wird absehbar durch investive Schlüsselzuweisungen des Landes abgesichert. Der Rest soll durch Kredite finanziert werden – 2023 sind das 339 Millionen Euro, 2024 dann 321 Millionen.
Wenn der Markt so viele Investitionen gar nicht aufnehmen kann
Zahlen, die wir hier einfach mal infrage stellen, weil etliche der Bauprojekte – seien es Straßen, Schulen oder Museen – auch noch Förderung erhalten.
Aber was passiert, wenn es keine Förderungen gibt?
Dann erhöht sich Leipzigs Schuldenberg, der erst zum Jahresende 2022 einen historisch niedrigen Stand von 413 Millionen Euro erreicht, schlagartig auf 991 Millionen Euro im Dezember 2024.
So hat es zumindest das Finanzdezernat ausgerechnet.
Dem entgegen steht aber auch eine Tatsache, die Torsten Bonew selbst immer wieder anmerkt: Dass Leipzig es seit Jahren nicht schafft, seine geplanten Investitionen auch umzusetzen. Mal ist die Planung nicht fertig, mal fehlen die Fördergelder, mal gibt es keine Baufirma mehr, die sich bewirbt.
Auch diese Zahlen hat er am Mittwoch mitgebracht: Jahr für Jahr werden sogenannte „investive Ausgabenreste“ in den nächsten Jahreshaushalt übertragen – jedes Mal rund 400 Millionen Euro, die der Stadtrat schon bestätigt hat, die aber nicht verbaut werden konnten. Und jedes Mal werden nur um die 200 bis 300 Millionen Euro tatsächlich verbaut. 2022 könnten es erstmals mehr als 350 Millionen Euro sein.
Das heißt: Es wird praktisch wieder ein Kraftakt, die geplanten Projekte 2023 und 2024 auch umzusetzen und eher ist damit zu rechnen, dass wieder 100 bis 200 Millionen Euro „übrig“ bleiben, also gar nicht als Kredit aufgenommen werden müssen.
Wie entwickelt sich das Steueraufkommen?
Und noch einen Unsicherheitsfaktor gibt es – eben die Leipziger Wirtschaft und ihr Steueraufkommen. Denn dass sich Leipzigs Wirtschaft nach dem Corona-Absturz 2020 so schnell erholen würde, haben weder OBM Burkhard Jung noch Finanzbürgermeister Torsten Bonew so erwartet. Im Ergebnis hat das Jahr 2021 nicht mit einem geplanten Millionenminus abgeschlossen, sondern wird „als das erfolgreichste Jahr seit 1990“ in die Geschichtsbücher eingehen, so Burkhard Jung.
Denn bis jetzt könnte am Jahresende 2021 ein Überschuss von 205 Millionen Euro unterm Strich stehen. Leipzig hat dann 205 Millionen Euro mehr eingenommen als ausgegeben. Das Jahr 2022 steht noch mit einem Minus von 75 Millionen Euro in der Prognose.
Und niemand weiß, wie gut Deutschland die aktuelle Energiekrise meistert. Sollte es die Bundesregierung schaffen, die Energiepreise tatsächlich zu deckeln und die Übergewinne der Energiekonzerne abzuschöpfen, könnte die Krise auch für Leipzigs Unternehmen glimpflich ablaufen. Und dann ist die Frage: Wie robust reagiert die Leipziger Wirtschaft dann tatsächlich? Denn in der Corona-Pandemie hat sie gezeigt, wie widerstandsfähig sie ist.
Wir haben es also mit realen Krisen zu tun wie der Energiekrise, deren Folgen überhaupt nicht berechenbar sind.
Und gleichzeitig mit einer veritablen Krise der „Schwarzen Null“, die die Kommunen in Sachsen seit Jahrzehnten knapp hält und erst dafür gesorgt hat, dass sich riesige Investitionsberge aufgetürmt haben, die nur noch durch große Kreditaufnahmen abgearbeitet werden können.
Während die Landesdirektion da sitzt und darauf achtet, dass Leipzig die von der Landesregierung vorgegebene Maximalverschuldung nicht überschreitet. Und die liegt nur bei 662 Millionen Euro, 1.100 Euro pro Einwohner.
Wenn Leipzig diese Summe nicht überschreiten darf, müssten eigentlich die Hälfte aller Investitionen gestrichen werden.
Wobei einige der oben genannten Phänomene darauf hindeuten, dass dergleichen nicht passieren wird. Auch Finanzströme sind nicht so simpel, wie sie sächsische und andere Finanzminister gern darstellen. Die fehlenden Bauunternehmen in Sachsen sind ja auch eine Folge von 30 Jahren Knauserpolitik. Und es werden auch keine weiteren dazukommen, denn das viel wichtigere Problem, das Leipzigs Verwaltung hat, haben auch alle Baufirmen: Einen akuten Mangel an benötigten Fachkräften.
Noch so eine begrenzte Ressource, die davon erzählt, wohin ein Land gerät, das jahrelang das einfältige Lied von der Schwarzen Null singt und das Geld lieber in nutzlosen Fonds stapelt, als es dann auszugeben, wenn man noch preiswert und schnell hätte bauen können.
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