Nein, diesen letzten Auftritt von SPD-Stadtrat Andreas Geisler am späten Abend der Ratsversammlung vom 14. September werden wir unseren Leserinnen und Lesern ganz bestimmt nicht vorenthalten. Da ging es eigentlich um den SPD-Antrag zur Schaffung einer Tiny-House-Siedlung in Leipzig. Aber tatsächlich fasste Geisler den ganzen Unfug der Redezeitdebatte im Stadtrat zusammen.
Erstmals liefen an diesem Tag im hinteren Teil des Sitzungssaales Uhren mit, die das noch verfügbare Redezeitbudget der einzelnen Fraktionen maßen, auf das sich diese im Ältestenrat geeinigt hatten. Ein bisschen unter den Label „Familienfreundlichkeit“, weil der immerfort steigende Zeitaufwand für die ehrenamtliche Stadtratsarbeit gerade Frauen die Wahrnehmung eines Stadtratsmandats immer schwerer möglich machen.
So weit, so verständlich. Nur dummerweise scheinen da gerade einige Kommentare aus den konservativen Fraktionen des Stadtrates die ganze Debatte in eine völlig falsche Richtung geführt zu haben. Hier sind ja die Beschwerden über ausufernde Diskussionen im Stadtrat schon Legion.
Immer wieder wurde gerade den Fraktionen auf der linken Seite des Sitzungssaals vorgeworfen, sie würden Debatten in die Ratsversammlungen tragen, die eigentlich in die Ausschüsse gehören.
Die Ratsversammlungen würden deshalb immer länger dauern und sich inzwischen auf zwei Tage im Monat erstrecken, weil zu viele Städträtinnen und Stadträte zu viel redeten. Die Redezeit müsste also begrenzt werden.
Der Denkfehler in der Redezeitdebatte
Aber das war ein Trugschluss. Denn eigentlich wissen es alle Stadträtinnen und Stadträte, dass auch die Ausschusssitzungen immer länger dauern und es immer mehr Ausschüsse und Beiräte gibt. Der tatsächliche Arbeitsaufwand der Ratsfraktionen ist gestiegen. Das hat viele Gründe, die mit dieser Redezeitdiskussion völlig vom Tisch gewischt wurden.
Das beginnt bei mehr Aufgaben, die die wachsende Stadt nun einmal mit sich bringt. Das geht weiter bei neuen Herausforderungen, auf die Leipzigs Verwaltung viel zu oft und viel zu lange, viel zu spät reagiert hat. Oder reagieren konnte. Denn jahrelang war die ganze Verwaltungsorganisation aufs Sparen ausgerichtet, wurden wichtige Stellen nicht besetzt, um die Sparvorgaben der Landesdirektion einzuhalten.
Bis dann Fraktion um Fraktion mit Entsetzen merkte, wie viele Aufgaben einfach deswegen unbearbeitet blieben, weil die Verwaltung dafür kein Personal eingestellt hatte. Inzwischen sucht die Verwaltung händeringend nach Personal und findet es auf einem leergefegten Arbeitsmarkt nicht mehr.
Diese „Personalknappheit“ führte auch dazu, dass die Ratsfraktionen bei vielen elementaren Aufgaben der Stadt die Initiative ergreifen mussten und die Vorlagen schrieben, die eigentlich aus der Verwaltung hätten kommen müssen.
Spätestens seit 2016 ist nicht die Verwaltung die Lokomotive in der Stadt, sondern ist es der Stadtrat. Weshalb sich auch die Anträge mehrten, in denen die Ratsfraktionen einforderten, dass längst beschlossene Aufgaben von der Verwaltung auch endlich umgesetzt werden.
Demokratie braucht Öffentlichkeit
Die aufmerksamen Zuschauer der Videostreams aus dem Stadtrat konnten über diese sechs Jahre beobachten, wie der Stadtrat immer mehr zum selbstbewussten Gegenspieler der Verwaltung wurde und zunehmend aufhörte, sich als „Teil der Verwaltung“ zu sehen, wie es die sächsische Gemeindeordnung eigentlich vorsieht.
Auch Oberbürgermeister Burkhard Jung hat das erkannt und sieht Leipzigs Stadtrat immer mehr auf dem Weg zu einem selbstbewussten Stadtparlament.
Aber all das sorgt dafür, dass sich die Ratsmitglieder in immer mehr eigentlich städtische Aufgaben einarbeiteten und einarbeiten mussten, sich um Dinge kümmerten, die man eigentlich von einer selbstständig arbeitenden Verwaltung auch erwarten kann.
Man nehme nur die in der Kritik stehende Arbeit des Ordnungsamtes oder Andreas Geislers Antrag zu den Friedhofsbänken. Warum braucht es erst einen Stadtratsantrag, bis ein zuständiges Amt sich um ein ordentliches Konzept für Friedhofsbänke kümmert?
Aber diese Mehrarbeit wird nicht honoriert. Genauso wenig, wie wirklich gefragt wurde, warum das Programm der Stadtratssitzungen derart zugenommen hat. Man darf auch nicht vergessen, dass darin ein mächtiges Stück wachsender Bürgerbeteiligung steckt.
Denn in den vergangenen Jahren haben die Leipziger zunehmend auch die Instrumente von Einwohneranfragen und Petitionen genutzt, was die Arbeit von Verwaltung und Stadtrat wesentlich transparenter gemacht hat.
Petitionen und Einwohneranfragen werden in jeder Ratsversammlung behandelt. Aber auch Ortschaftsräte und Stadtbezirksbeiräte nutzen immer öfter ihr Recht, eigene Anträge zu stellen. Den Jugendbeirat alias das Jugendparlament darf man auch nicht vergessen.
Mehr demokratische Teilhabe bedeutet neben mehr Transparenz nun einmal auch mehr Zeitaufwand. Und damit auch öffentliche Debatten im Stadtrat, die für die Stadtgesellschaft einen seltenen Einblick in all die Debatten bieten, die für gewöhnlich hinter verschlossenen Türen in den Ausschüssen passieren.
Wenn manche Demokratie zu Gelaber erklären
Und das war immer der bittere Beigeschmack der Klagen über zu lange Stadtratssitzungen. Denn die passierten meistens dann, wenn solche Debatten öffentlich sichtbar machten, dass im Stadtrat nicht nur lauter Parteien sitzen, die alle dasselbe wollen.
Und Zeitungen wie die „Bild“ griffen die falschen Begründungen nur zu gern auf und erklärten die Redezeitbegrenzung gar zu einem „Laber-Limit“, was die ganze Verachtung dieser Zeitung für demokratische Debatten zum Ausdruck bringt. Und was Andreas Geisler an diesem 14. September richtig auf die Palme brachte.
Da war fast schon beiläufig, dass er ebenso genervt den SPD-Antrag zur Prüfung einer Tiny-House-Siedlung in Leipzig zurückzog. Denn das Stadtplanungsamt hatte dem Antrag rundweg die Nichtumsetzbarkeit attestiert:
„Angesichts der zur Verfügung stehenden Flächen- und Planungsressourcen und mit Blick auf die notwendige Bauplanungsrechtsschaffung für z. B. soziale Infrastruktur, für die Entwicklung von nutzungsgemischten Wohnquartiere inkl. sozialen Wohnungsbaus oder aber für Flächen zur Energiegewinnung lehnt die Verwaltung die umfangreiche Befassung mit Tiny-House-Siedlungen ab.
Zusammenfassend ist klarzustellen, dass Tiny-Häuser, soweit eine dauerhafte Nutzung als Wohngebäude in Betracht kommt, den allgemeinen Regelungen nach den Vorschriften des Bauordnungs- und Bauplanungsrechts unterliegen und damit grundsätzlich auf Einzelgrundstücken zulässig sind. Die Aufstellung von Bebauungsplänen für Tiny-House-Siedlungen ist von daher weder erforderlich noch ist ein Bedarf zur Schaffung der planungsrechtlichen Voraussetzungen in einem eigenen Planverfahren gerechtfertigt.“
Die Grünen hatten beantragt, die Prüfung mit ins Wohnungspolitische Konzept zu übernehmen. Aber im Grunde reagierte das Stadtplanungsamt genauso wie vor wenigen Jahren in Bezug auf die Wagenplätze, die dieses Amt auf keinen Fall rechtmäßig im Stadtgebiet verankert sah.
Es brauchte erst eine Reihe von Debatten und Vorstößen, bis sich die Verwaltung mit den Wagenplätzen anfreundete, obwohl sie die bis heute nicht wirklich akzeptieren kann, denn sie kommen im deutschen Bauordnungsrecht genauso wenig vor wie die Tiny-Houses.
Weshalb sich Geisler durchaus sicher ist, dass sein Antrag in diesem Fall zwei Jahre zu früh kam und in zwei Jahren auch andere Fraktionen das Thema belegen werden.
Aber es macht auch wieder deutlich, dass das deutsche Bauordnungsrecht aus uralten Zeiten stammt und seit Jahren die Entwicklungen in der realen Lebenswelt der Bundesbürger nicht mehr nachvollzieht.
Aber da er keine Chance sah, dass sein Antrag eine Mehrheit finden würde, zog Andreas Geisler den Antrag zurück.
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