Es ist unheimlich schwer, den Tanker einer Verwaltung auf einen anderen Kurs zu bringen, wenn der erst einmal Fahrt aufgenommen hat. Das bekam auch die Linksfraktion zu spüren, als sie ihren Antrag „Doppelte Innenentwicklung in die Umsetzung bringen – Raum für Mensch und Natur“ stellte. Das müsste eigentlich schon seit vier Jahren Handlungsgrundlage der Stadtplanung sein. Aber an der Umsetzung hapert es. Bislang blieb es bei schönen Worten.
Erst spät wurden die ersten Weichen gestellt
Dabei fand die Klimakonferenz von Paris 2015 statt. Sie ist fast sieben Jahre her. Sieben Jahre, in denen auch die neuen Klimaschutzziele der Bundesrepublik bekannt sind und in jeder Kommune die Weichen hätten umgestellt werden können.
Was in Leipzig auch erst geschah, als der Stadtrat mehrere Verwaltungsvorlagen in die Ämter zurückschickte zur Überarbeitung. Man denke nur an das Mobilitätskonzept, das dann 2018 beschlossen wurde. Und man darf ruhig auch an das Integrierte Stadtentwicklungskonzept (INSEK) denken, das von 2015 bis 2018 erarbeitet wurde und eigentlich die Ziele von Paris umsetzen sollte. Die „Doppelte Innenentwicklung“ steht auch drin. Aber ohne jede Unterfütterung.
Weshalb der Stadtrat vor zwei Jahren die Erarbeitung eines Konzepts zur Doppelten Innenentwicklung beschloss.
Wem gehört die Stadt?
Doppelte Innenentwicklung klingt erst einmal ungreifbar. Was soll da entwickelt werden? Aber in seiner Rede am 14. September in der Ratsversammlung brachte es Linke-Stadtrat Michael Neuhaus kurz auf den Punkt. Denn eine Stadt, die so chaotisch wächst wie Leipzig, wird zu einem „flächenfressenden Krümelmonster“, wie Neuhaus sagte.
Gerade private Investoren bauen jeden Quadratmeter zu, um möglichst viel Rendite zu erwirtschaften. Dabei geht der Stadt selbst die Luft zum Atmen aus. Überall fehlt es an Bauflächen für wichtige Infrastrukturen wie Schulen, Sportplätze, Kitas. Aber auch für Grünanlagen. Nicht nur verschwinden überall die Biotope für die so wichtige Artenvielfalt. Auch den Bewohnern geht das Grün verloren. Innenhöfe werden mit Stellplätzen zugepflastert, begrünte Brachen verschwinden. Für erholsame Parks ist kein Platz mehr.
Womit die Frage steht, die Neuhaus stellte: „Wem gehört die Stadt?“ Haben die Bewohner überhaupt ein „Recht auf Grün“? Worauf können sie sich berufen, wenn selbst im INSEK 2030 „nur allgemeines Blabla“ steht? Und nirgendwo festgeschrieben ist, wie Nutzungen auf kleiner Fläche gebündelt und gestapelt werden müssen und Platz für Grün bleiben muss. Und zwar auf jeder Baufläche.
Wahrscheinlich hat sich der Linke-Antrag mit den mühsamen Formulierungsarbeiten im Stadtplanungsamt überschnitten. Denn als die Fraktion ihren Antrag, den Beschluss von vor zwei Jahren endlich umzusetzen, einreichte, teilte das Stadtplanungsamt etwas pikiert mit: „Die Erarbeitung eines Konzeptes der doppelten Innenentwicklung ist bereits mit dem Beschluss VII-P-02093-DS-02-NF-01 beauftragt und wird bereits im Stadtplanungsamt bearbeitet (Verwaltungshandeln).“
So ist das, wenn im stillen Kämmerlein gearbeitet wird und kein Mucks nach draußen dringt.
Verwaltungsvorlage bekommt keine Mehrheit
Wie der aktuelle Stand ist, teilte das Stadtplanungsamt freilich nicht mit. Es kündigte nur an, das Konzept zur Doppelten Innenentwicklung „dem Stadtrat bis zum 4. Quartal 2022 vorzulegen“.
Und: „Auf Grundlage des Konzeptes zur Doppelten Innenentwicklung wird, soweit es erforderlich ist, in einem zweiten Schritt dem Stadtrat bis Ende des 1. Quartals 2024 ein Umsetzungsprogramm vorgelegt.“
Was der CDU-Fraktion augenscheinlich völlig genügte. Weshalb CDU-Stadträtin Sabine Heymann beantragte, den Verwaltungsstandpunkt aus dem Stadtplanungsamt zur Abstimmung zu stellen. Die Verwaltung arbeite doch. Das müsse man doch nicht extra beschließen.
Nur dummerweise geriet das zu einer ziemlich deutlichen Klatsche für die Verwaltung, denn die Stadtratsmehrheit lehnte den am Ende doch wieder windelweichen Verwaltungsstandpunkt mit 16:42 Stimmen ab.
Es genügt eben nicht mehr, dass ein scheinbar viel beschäftigtes Amt einfach erklärt, man arbeite doch. Dazu gab es in den letzten Jahren viel zu viele Konflikte um rabiate Abholzungen, ausufernde Versiegelungen, rücksichtslose Investorenprojekte. Das Grün in der Stadt schwindet. Bei jedem neuen Schulbau sucht die Stadt verzweifelter nach verfügbarem Bauland. Und eine wirklich handfeste Vision der „kompakten Stadt“, die vor allem die Bedürfnisse ihrer Bewohnerinnen und Bewohner berücksichtigt, gibt es bis heute nicht.
Selbst das, was die Linke in ihrem Antrag gefordert hat, ist nur ein Mindestmaß solcher Anforderungen.
Was soll ein Konzept ohne Ziele?
Nachdem die Stadt ihre Stellungnahme geschrieben hatte, hat die Linke noch einmal nachgeschärft, damit ganz klar bezeichnet wird, was als Forderung für die doppelte Innenentwicklung zu beachten ist: „Der Verwaltungsstandpunkt kürzt den ursprünglichen Beschlusstext in einem essenziellen Punkt. So sollen nach Vorschlag der Verwaltung keine konkreten städtebaulichen Kennzahlen, wie z. B. eine anzustrebende Geschossflächenzahl, festgelegt werden.
Auch auf die Definition von Zielen soll verzichtet werden. Beides ist jedoch unerlässlich, wenn das Konzept doppelte Innenentwicklung mehr als nur eine nebulöse Absichtserklärung sein soll. Als Antragsteller/-innen wollen wir hingegen klare, aber noch zu diskutierende Ziele, wie z.B. höhere Gebäude, dafür aber anteilig mehr Grünfläche auf den Grundstücken, und dazugehörige Kennzahlen festlegen.“
Gerade was die drängenden Themen von Artenschutz, Klimaschutz, Klimaanpassung, Aufenthaltsqualität bis zu Energie- und Mobilitätswende betrifft, verliert ein guter Teil des Stadtrates so langsam die Geduld mit einer Verwaltung, die die Maßnahmen in die Länge zieht, sich oft unheimlich viel Zeit nimmt, sodass nicht nur Jahre vergehen, sondern gleich mehrere Wahlperioden, bis überhaupt mal etwas umgesetzt wird.
Und so lässt sich auch die Linksfraktion nicht abspeisen und beantragte bis Ende des 2. Quartals 2023 ein Umsetzungsprogramm für das Konzept Doppelte Innenentwicklung. Nicht erst 2024.
Vielleicht leben ja die Leipziger Verwaltungsmitarbeiter alle nicht in Leipzig oder eben nicht in Straßen, in denen alles zugebaut wurde, das Grün verschwunden ist und man im Sommer vor Hitze kaum noch atmen kann. Aber ein Großteil der Leipziger wohnt inzwischen in hitzebelasteten Stadtquartieren und in Wohnzeilen, die an baumlosen Straßen stehen und mit versiegelten Innenhöfen gesegnet sind.
Viel Papier, kein Ergebnis: Warnschuss für die Bürokratie
Und noch etwas kommt hinzu, denn diese Probleme der zunehmend verdichteten Großstädte in Europa (Leipzig steht ja nicht allein mit dem Problem da) wurden schon 2007 in Leipzig formuliert und flossen in die „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ ein. Leipzig wird seitdem geradezu als Vorbild gehandelt, obwohl auch die Messestadt sich bis heute schwertut, eine wirklich nachhaltige kompakte Stadt zu werden. Aus der schönen Charta sind für Leipzig viele schöne Arbeitspapiere geworden. Aber konsequent umgesetzt wird sie nicht.
So gesehen darf man die Stadtratsentscheidung vom 14. September durchaus als eine Gelbe Karte für das Stadtplanungsamt verstehen.
Der Linke-Antrag in seiner Neufassung jedenfalls holte mit 35:23 Stimmen eine deutliche Mehrheit.
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