Eigentlich war es ein ganz logischer Antrag, den die Grรผnen-Fraktion da gestellt hatte: โ€žFlรคchenverbrauch reduzieren โ€“ Strategie fรผr Netto-Null-Versiegelung bis 2030 entwickelnโ€œ. Diese Strategie hat Leipzig nรคmlich noch nicht. Man weist zwar bei diversen Bauprojekten immer diverse KompensationsmaรŸnahmen aus. Aber trotzdem wird in der Stadt immer mehr Flรคche zugebaut.

Oft befinden sich die Ausgleichsflรคchen irgendwo auรŸerhalb des Stadtgebietes. Manchmal werden sie auch nur zรถgerlich umgesetzt. Aber die Folgen des Bauens und Versiegelns spรผren die Bewohner direkt in der Stadt, wenn sich Gebรคude, StraรŸen, Plรคtze und Innenhรถfe aufheizen. Das heiรŸt: Leipzig muss nicht nur irgendwo drauรŸen auf dem Land Ausgleich schaffen fรผr versiegelte Flรคchen, wenn sich die Stadt nicht immer weiter aufheizen und zum Backofen werden soll.

Aber die Stadt hat dazu รผberhaupt keine Zahlen. Nur wenn wieder mal neue Statistiken zur Flรคchennutzung verรถffentlicht werden, wird sichtbar, wie viele Hektar an bislang unverbautem Land wieder in Wohn-, StraรŸen- und Gewerbeflรคche umgewandelt wurden. Also fรผr Grรผnflรคchen, aber auch als Aufnahmegebiete fรผr Regenwasser verloren gingen.

Womit sich die Stadt weiter aufheizt und bei Regen das Wasser nicht auffangen kann.

Es muss anders gebaut werden

Weshalb der Grรผnen-Antrag eben nicht nur einen Komplettausgleich fรผr Versiegelungen bis 2030 forderte, sondern innerhalb des Stadtgebietes eine Netto-Null-Bilanz. Genau hier muss das Leipziger Baugeschehen zu einem Gleichgewicht kommen, sodass fรผr jeden neu versiegelten Quadratmeter im Stadtgebiet dieselbe Flรคche auch innerhalb des Stadtgebietes entsiegelt wird.

Aber das nicht sofort, denn das sah Dr. Tobias Peter, Fraktionsvorsitzender der Grรผnen-Fraktion, in der Ratsversammlung am 14. September schon richtig: Das hat die Leipziger Verwaltung noch nicht gelernt. Dafรผr muss sie erst einmal Verfahren entwickeln, sodass bei jedem Bauprojekt schon in den Planunterlagen steht, wo fรผr die neu verbaute Flรคche im Stadtgebiet Flรคche entsiegelt werden kann.

Denn die Stadt muss anders wachsen. Es ist ja nicht nur die Grรผnen-Fraktion, die sich รผber flapsige Sprรผche aus der Verwaltung รคrgert, so nach der Art: โ€žWir haben doch die Flรคche. Also bauen wir.โ€œ

Denn da fehlt nun einmal das Denken daran, wie jeder neue Baukรถrper und jede neu gepflasterte Flรคche dazu beitragen, dass Leipzig bei Starkregen genauso leidet wie bei Hitze. Die Zukunft des Bauens โ€“ so sah es auch Mathias Weber aus der Linksfraktion โ€“ muss auch in einer wachsenden Stadt so aussehen, dass mรถglichst flรคchensparend gebaut wird, mรถglichst kompakt und in den Nutzungen gestapelt โ€“ und im Gegenzug jeder versiegelte Quadratmeter im Stadtgebiet einen Ausgleich findet.

Die Lรถsung muss in der Stadt gefunden werden

Heiko Bรคr aus der SPD-Fraktion haderte freilich genau damit, weil er die Lรถsung im Stadtgebiet nicht sieht und lieber ein Denken mit Lรถsungen รผbers Stadtgebiet hinaus anmahnte. Was dem Grรผnen-Antrag letztlich tatsรคchlich jede Konsequenz genommen hรคtte. Denn wenn die Planer nicht lernen, in der Stadt selbst die Gesamtflรคche an รผberbautem Raum zu drosseln, gibt es letztlich keine ร„nderung im exzessiven Bauverhalten. Die Stadt wird immer mehr verbaut und versiegelt.

Welche Konsequenz im Grรผnen-Antrag steckte, das sah die Freibeuter-Fraktion viel klarer, die gleich einen ร„nderungsantrag geschrieben hat: โ€žBei Verwaltungsvorlagen ist die mit der Umsetzung verbundene Flรคchenversiegelung zu ermitteln und festzulegen, wann, wo und mit welchem finanziellen Aufwand die entsprechende Entsiegelung vorgenommen wird. Bei Verwaltungsstandpunkten zu Antrรคgen werden entsprechende Vorschlรคge unterbreitet.โ€œ

Damit werden die ร„mter regelrecht dazu verdonnert, fรผr jedes Bauprojekt auch sofort die versiegelte Flรคche zu ermitteln und dem Stadtrat mitzuteilen, wo die nun irgendwie ausgeglichen werden soll.

Ein sinnvoller Schritt, so fand Dr. Peter und รผbernahm den Antrag der Freibeuter.

Nicht umsetzbar, sagt die Verwaltung

Wรคhrend Heiko Bรคr den doch deutlich ausweichenden Standpunkt aus dem Stadtplanungsamt zur Abstimmung stellen wollte, in dem auch ein Satz steht wie: โ€žWie bereits weiter oben festgestellt, hรคlt die Stadtverwaltung das Ziel einer Netto-Null-Versieglung in einer wachsenden Stadt fรผr nicht umsetzbar. Der Leitsatz Innenentwicklung vor AuรŸenentwicklung impliziert die Inanspruchnahme von vorhandenen Baupotentialen im Innenbereich und damit i.d.R. eine Zunahme der Versiegelung.โ€œ

Das klingt schon wie eine Kapitulation, bevor รผberhaupt der erste Schritt getan wurde.

VerdientermaรŸen, kann man an dieser Stelle sagen, fiel der Verwaltungsstandpunkt mit 19:41:1 Stimmen krachend durch.

Der von den Grรผnen zweimal nachgeschรคrfte Ursprungsantrag fand dann ziemlich knapp eine Mehrheit mit 32:29 Stimmen. Die Argumentation der Verwaltung, sie kรถnne diesen Kraftakt, bis 2030 die Netto-Null-Versiegelung hinzubekommen, nicht leisten, fiel sichtlich auf fruchtbaren Boden.

Aber der auf Wunsch von CDU-Stadtrรคtin Sabine Heymann extra abgestimmte Freibeuter-Antrag bekam dann eine ganz klare Mehrheit mit 49 : 11 Stimmen. Was schon รผberrascht, denn diese ganz einfache Formalie zwingt die Verwaltung ja genau dazu, die Netto-Null-Strategie vom ersten Tag an mitzudenken.

Und vor allem schaffe sie โ€“ so FDP-Stadtrat Sven Morlok โ€“ erst einmal Klarheit, wie viel Flรคchenversiegelung Bauprojekte, die der Stadtrat beschlieรŸt, eigentlich verursachen. Diese Zahlen gibt es bislang nรคmlich nicht.

Die grรผne und atmende Stadt mitdenken

Und das dรผrfte durchaus zur Folge haben, dass kรผnftig auch im Stadtrat รถfter รผber scheinbar so lapidare Themen wie Parkplรคtze, gepflasterte Innenhรถfe, sparsame Grundflรคche, Regenwasserrรผckhaltung und zu erhaltende Grรผnflรคchen auf der Bauflรคche diskutiert wird. Und Bauplรคne mรถglicherweise auch abgelehnt werden, wenn die Architekten wieder zu viel Stein, Asphalt und Beton auf ihre schรถnen Bilder gemalt haben.

In diese Richtung geht das nรคmlich: Dass Architekten und Landschaftsplaner jetzt lernen mรผssen, die grรผne und atmende Stadt zu denken, wenn sie ihre Entwรผrfe aufs Papier bannen. Und dass viele sinnlose Versiegelungen, die heute noch รผblich sind, kรผnftig einfach unterlassen werden, weil das Bauvorhaben sonst (vielleicht) im Stadtrat abgelehnt wird.

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