Eigentlich war es nur ein ganz kleiner Antrag, den die SPD-Fraktion da gestellt hatte. Die Verwaltung hat zugestimmt, will es sofort anpacken. Und dann wurde der Antrag zur Einrichtung temporärer Spielstraßen am 14. September in der Ratsversammlung doch wieder zu einer Grundsatzdiskussion um die Nutzung des Straßenraums.

Und damit wieder ein Blitzlicht in die Mentalität zweier Fraktionen im Stadtrat, die die Tatsache zutiefst verinnerlicht haben, dass Straßen prinzipiell nur dem Auto gehören und jede andere Nutzung gegen das Königsrecht der Autofahrer verstößt.

Man kann wohl sicher sein, dass das alles im zuständigen Verkehrsausschuss auch schon hoch und runter diskutiert wurde, alle Argumente ausgetauscht wurden und jeder alle Bedenken geäußert hat, die ihm einfielen.

Und trotzdem zeigten hier ausgerechnet jene Fraktionen, die sich sonst immer über die scheinbar ausufernden Diskussionen im Stadtrat aufregen, enormen Redebedarf. Auch wenn die Argumente völlig am Thema vorbeigingen.

Neuer Raum für die Kinder

Denn die SPD-Fraktion – für die Prof. Getu Abraham sprach – hatte keine dauerhaften Umnutzungen von Straßen zu Spielstraßen beantragt, sondern nur die Einrichtung temporärer Spielstraßen.

„Der Oberbürgermeister wird beauftragt, gemeinsam mit Partnern und Trägern der Kinder- und Jugendarbeit ein leicht umsetzbares Konzept zu entwickeln, welches KITAs, Jugendzentren, u.ä. Einrichtungen sowie Familieninitiativen ermöglicht, geeignete Straßen in den Leipziger Stadtbezirken und Ortschaften temporär für den Durchgangsverkehr zu sperren und dort ein Spielangebot zu unterbreiten. Das Konzept soll darüber hinaus mit einer Kommission der Spielraumgestaltung erarbeitet werden.“

Temporär heißt: Zu besonderen Anlässen wie Kinderfesten, Familienfesten, Stadtteilfesten und ähnlichem. Oder zu festgelegten Zeiten. Damit Kinder auch einfach mal auf der Straße spielen, malen, basteln können.

Gerade die Corona-Zeit habe gezeigt, wie wichtig es ist, dass man draußen einfach auch mal befristete Freiräume schaffen kann, damit Kinder nicht wochenlang in der Wohnung eingesperrt sind.

Und das Verkehrsdezernat hatte umgehend beschieden, dass das natürlich – nach Antrag – umsetzbar sei. Die Stadt bearbeitet haufenweise solche Anträge auf Sondernutzungen.

Motorisierte Mobilität wird unermüdlich verteidigt

Und entsprechend bestätigte das Verkehrsdezernat: „Grundsätzlich wird die Idee befürwortet.

Damit Straßen temporär als Spielstraßen genutzt werden können, ist für jede einzelne temporäre Nutzung eine Antragstellung, verbunden mit einem Genehmigungsverfahren, notwendig. Nach Erteilung der Genehmigung ergeben sich u.a. Kosten für die zusätzliche Beschilderung des Straßenraums sowie ggf. weitere Kosten.

Damit das Anliegen für Akteure transparent, im Hinblick auf die erforderlichen Arbeitsschritte und entstehenden Kosten, wird, dokumentiert das AWS im Rahmen seiner Projekte der Stadterneuerung das Verfahren und legt im IV. Quartal eine Dokumentation dazu vor. Entsprechende Handlungsempfehlungen für Akteure sowie die Ansprechpartner/innen in den Ämtern werden ebenfalls benannt.“

Es geht also erst einmal um die Erarbeitung einer Konzeption, wo man solche temporären Spielstraßen beantragen kann und welche Rahmenbedingungen dafür gelten.

Natürlich traf das trotzdem den Nerv der beiden Fraktionen, die nun schon seit geraumer Zeit versuchen, den Straßenraum für das motorisierte Mobilsein zu sichern und sich jede auch nur so kleine Einschränkung der freien Fahrt für motorisierte Bürger abzublocken.

Das Ergebnis: eindeutig

Nur findet das im Leipziger Stadtrat keine Mehrheit mehr. Auch die Corona-Zeit hat gezeigt, wie still und angenehm eine Stadt werden kann, wenn man einfach mal keine Autos fahren lässt.

Entsprechend deutlich fiel dann auch das Abstimmungsergebnis für den Verwaltungsstandpunkt aus: 39 Teilnehmer der Ratsversammlung stimmten für den letztlich sehr bescheidenen Vorstoß und nur 24 dagegen.

So können künftig ausgewählte Straßen auch regelmäßig „bspw. April bis Oktober immer donnerstags 15 – 18 Uhr“ als Spielstraße gelten, stellt die Vorlage der Stadt fest. Anträge können sofort gestellt werden, auch wenn die Handlungsempfehlung erst erarbeitet werden muss, bestätigte Baubürgermeister Thomas Dienberg.

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Es gibt 10 Kommentare

Und der Bedarf ist dazu noch konstruiert. Sicher, man kann theoretisch alles auf Straßen tun, zum Beispiel auf dem Südplatz Tischtennis auf Pappe spielen, was es aber nicht sinnvoller oder logischer macht es dort zu tun. Und da kommt die Motivation, warum man sowas in den Stadtrat bringt, eben doch Risse in der Glaubwürdigkeit.

Jaja, temporäre Spielstraßen.
Das ist sogar noch bekloppter. So viele Autofahrer können keine Verkehrsschilder lesen, dann auch noch mit einem Uhrzeit-Zusatz, wann das Schild gültig ist. Auch wenn ich hier wieder den Pessimisten spiele: Das wird nie was.

“Kann denn auch einmal jemand an die Kinder denken?”
Ich lasse meine Kinder auch immer in der Wohnung, wegen Corona. Wo sollen die auch sonst hin?
Spielplatz? Park? Innenhof? Fußweg?
Nun warte ich, dass “meine” Straße eine Spielstraße wird, “Damit [meine] Kinder auch einfach mal auf der Straße spielen, malen, basteln können.” 🙂 Basteln und malen in der Wohnung würde auch alles dreckig machen, igitt.

Ohne engmaschige Kontrolle wird das sowieso nichts.
Bei “unserer” Spielstraße in der Nähe hält sich so gut wie kein Autofahrender an die Schrittgeschwindigkeit. Da lasse ich meine Kinder also trotzdem nicht spielen.

Will hier mal einen Kommentar schreiben, obwohl ein anderer Kommentar seit 15. September 2022 at 7:37 auf Freischaltung wartet.
Jetzt aber zum Thema, ich weis nicht wieso um dieses Thema so ein Theater gemacht wird. Corona und Kinder sowie die bösen Autofahrer, alle müssen herhalten. Ich kann mich noch gut in meine Kindheit (DDR) erinnern, wo das in Leipzigs Anliegerstraßen kein Thema war. Einfach dem Abschnittsbevollmächtigen Bescheid sagen und dann ging das.

Ich gönne Ihnen Ihr Gefühl, dass Sie sich auf der korrekten Seite der Ansichten sehen. Was Sie in dem wohligen Gefühlsbad aber übersehen haben ist, daß ich keine Abhandlung über 140 Jahre Straßennutzung (damals auch vermutlich eher Weg, Chaussee oder ähnlich genannt) ins Spiel gebracht habe, sondern mich auf den heutigen Zustand bezog. Denn oben steht unter anderem: die Kinder können nach Corona nun endlich mal raus und die Straße wäre perfekt zum Spielen. Heute. Jetzt. In nächster Zeit.
Von mir aus soll man halt auch mal ne Straße sperren und nen Fest drauf veranstalten. Warum nicht. Aber wenn das Argument dafür ist, dass man doch früher die Handwagen so schön über das Kopfsteinpflaster zog, oder die Strapazenbahn in Schrittgeschwindigkeit mitten durch die Stadt, dann kann ich diese fehlgeleitete Nostalgie nur ablehnen. Die Zeit ging weiter und die Bedürfnisse der Gesellschaft sind heute andere.

Dominierend für die Länder der ehemaligen DDR war nach der Wende, das sämtlicher fahrbare Schrott aus dem Westen den enormen Willen zum eigenen Auto befriedigt hat. Renault wurde wegen dem Osten um 1992 zum Importeur Nr. 1 in Deutschland, auch der 2er Golf ging wie geschnitten Brot. Ich würde jetzt nicht soweit gehen Ihnen etwas beamtisch eine “falsche Ansicht” zu unterstellen, aber Ihre Einwürfe zur Politik des Ausbaus der Straßen, die die Bevölkerung quasi nur geduldet oder mitgemacht hätte, denen kann ich echt nicht folgen. Und dass ein Auto mehr (Bewegungs-) Freiheit bietet als ein Sammeltransport, das braucht mir kein Hersteller und auch jene Politik erklären. Das ist offenbar.

Nach Ihrer inkorrekten Ansicht gibt es also Straßen nur mit Autos. Somit wurden Straßen also erst vor etwa 140 Jahren erfunden und dann begonnen, diese flächendeckend zu bauen.
Die Verwandlung begann damit, dem Auto überall Vorrang zu gewähren. Fußgänger, Radfahrer, Handwagen, spielende Kinder wurden verdrängt (circa 1935). Entscheidend aber für die Länder der ehemaligen DDR scheint mir die Politik der 1990er Jahre mit dem massiven Ausbau der Autoverkehrsinfrastruktur und dem gewaltigen Rückbau des ÖPV/ ÖPNV. Ideologisch zum Symbol der Freiheit aufgewertet, hielt das Auto Einzug in jeden Privathaushalt und wurde nun erst wirklich zum Massenphänomen.
Sie haben in einem Punkt Recht – dies war alles politisch gewollt (und die Leute trugen es mit). Wenn nun der politische und der private Willen anders sind, so kann man auch Straßen wieder in ihrer Funktion umwidmen. Zu behaupten sie wären, quasi naturgesetzlich, für Autos da, ist also nicht richtig.

Also ich weiche regelmäßig auf die Straße aus, wenn wieder irgendeine Gastro sich auf dem Bürgersteig breitgemacht hat. Wesentlich, ganz wesentlich häufiger als das ein Transporter den Gehweg blockieren würde.

Klar war früher weniger auf den Straßen los. Meine Mutter hat ihren Erzählungen nach Rollschuhfahren auf der Straße vor dem Haus gelernt.
Alles richtig und nachvollziehbar, aber die Tatsachen so hinzudrehen, dass Straßen ja eigentlich den Kindern gehörten und die Autos dort nicht hingedachte Fremdkörper ist wirklich nicht der Fall. Es wurde Geld dort investiert, damit Autos fahren und stehen können, nicht damit primär Kinder dort spielen können.
Mit “King of the road” oder Corona hat das doch nix zu tun.

Wenn Sie sagen, wir hätten die Straßen “verwandelt”, würde ich entgegnen: was waren die denn vorher? Biotope? Spielplätze? Hat meine Mutter von ihrer Mutter nicht gesagt bekommen, dass sie mit ihren Rollschuhen von der Straße runter soll, sobald ein Auto kommt? Im Gegenteil würde ich sagen; die Verkehrserziehung scheint mir früher viel aktiver betrieben worden zu sein als heute.
Natürlich kann man Fläche nutzen die nicht gebraucht wird, aber hört doch mal auf die armen, kleinen Kinderlein, oder alternativ Corona, vorzuschieben für eure Politikwünsche…

Ein wirklich peinlicher Kommentar, Sebastian! Ich habe als Kind auf der Straße die Friedensfahrt nachgespielt. Auch damals waren Straßen haltbare Bauwerke, nur eben gab es weniger Autos und Kraftfahrer, die nicht King of the Road waren. Wir haben die Straßen verwandelt, zum Nachteil, wie ich meine. Kinder wachsen nicht mehr mit einem Gefühl von Sicherheit und Selbstverständlich-draußen-Sein auf, weil sie tatsächlich bedroht sind. Wenn Sie offenen Auges durch die Stadt laufen, werden Sie wissen, was ich meine. Erst heute bin ich vom Fußweg auf die Straße ausgewichen, weil ein warnblinkendes Auto wissentlich illegal auf dem Fußweg abgestellt war.

> Gerade die Corona-Zeit habe gezeigt, wie wichtig es ist, dass man draußen einfach auch mal befristete Freiräume schaffen kann, damit Kinder nicht wochenlang in der Wohnung eingesperrt sind.

Ich werde mir auch angewöhnen jede Idee die ich habe mit Corona zu verteidigen. Wie phantasielos wir als Kinder alle waren, wie wir mit dem Kindergarten in Parks gingen, auf dem Hof gespielt haben oder Wanderausflug in den Wald hatten. Mensch, wie schön doch das Spielen mitten auf der Straße gewesen wäre. Und wie schön, dass künftige Leipziger Kinder das nun können, ohne vorgebliche “Königsrechte” der Falschnutzer beachten zu müssen.
Denn in Wirklichkeit ist es ja ganz anders, als die doofen Boomer immer dachten! Bauwerke mit tragfähigem Untergrund, kalkulierter Technik zur Regenwasserabführung und möglichst guter Haltbarkeit gegenüber Wettereinflüssen aller Art wurden halt eigentlich für Kinder gemacht, die Kreide drauf malen. Weil das ja auch genau dort nötig ist. Wegen Corona und so.
Und wer darauf beharrt, dass die Infrastruktur für das genutzt wird, wofür sie geplant und teuer gebaut wurde, für den gibt’s bestimmt wieder ne schöne Ecke, in die er geschoben wird. Ist ja in Ordnung, ich kann damit leben. Ich kann mich bloß nicht an eine leise Stadt erinnern während Corona. An meiner Hauptstraße fuhren die Straßenbahnen nämlich weiter.

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