Am 9. April 1832 wurde in Leipzig zum ersten Mal die Ehrenbürgerwürde verliehen – an Friedrich Otto von Goldacker. Den kennt heute kein Mensch mehr. Sein Verdienst: Er war Major und Kommandant der Kommunalgarde. Seitdem wurde an 89 Männer die Ehrenbürgerwürde verliehen. Frauen wurden nicht ein einziges Mal bedacht. Und das wird sich so bald vielleicht nicht ändern, wie die Stellungnahme der Stadt auf einen Linke-Antrag deutlich macht.
Wobei noch hinzugefügt werden muss, dass sechs Männern die Ehrenbürgerwürde postum auch wieder aberkannt wurde. Was die Liste der Ehrenbürger noch seltsamer erscheinen lässt, denn die meisten verbliebenen Männer aus der Liste kennt man nicht. Sie hatten nur einst eminent wichtige Ämter, auch wenn sie zum Ruhm der Stadt selbst nichts beigetragen haben.
Gerade im 19. Jahrhundert behandelte man die Ehrenbürgerwürde gern so, dass man damit diverse Würdenträger noch einmal ehrte.
Hohe Hürden für die Ehrenbürgerwürde
Am Prinzip hat sich nicht viel geändert, auch wenn die Hürde, eine Ehrenbürgerwürde zu bekommen, heute deutlich höher ist. Das wurde ja an der jüngst erst an Friedrich Magirius verliehenen Ehrenbürgerwürde ausgiebig diskutiert.
Heute sind es die gewählten Stadträtinnen und Stadträte, die entscheiden, ob jemand die Würde angetragen wird. Und zwar nur mit Mehrheit. Wenn sich in den Vorberatungen im Ältestenrat keine Mehrheit findet, wird der Name des Kandidaten oder der Kandidatin auch nicht öffentlich genannt.
Denn alle wissen, dass sie damit eine Persönlichkeit auch massiv schädigen können.
Da klang es schon viel leichter, als die Linksfraktion in ihrem Antrag vorschlug: „Die Satzung über die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes, der Ehrenmedaille und der Ehrennadel durch die Stadt Leipzig wird dahingehend geändert, dass herausragenden weiblichen Persönlichkeiten auch posthum das Ehrenbürgerinnenrecht der Stadt Leipzig verliehen werden kann.“
Posthum ist alles viel leichter. Da haben sich die Wellen gelegt und man kann wirklich einschätzen, ob jemand tatsächlich Bleibendes vollbracht hat und sich auch bis zum Schluss anständig und menschlich benommen hat. Da sieht man auch die Leistungen von Frauen besser, deren Ruhm meistens zu Lebzeiten von Männern und Medien kleingehalten wird.
Ein wertvolles Gut
Aber in gewisser Weise würde genau diese Handlungsweise die Verleihung der Ehrenbürgerwürde entwerten, stellt jetzt die Verwaltung in ihrer Stellungnahme fest:
„Die Ernennung zur Ehrenbürgerin oder zum Ehrenbürger ist eine Ehrung für Persönlichkeiten, die sich um Leipzig in besonders herausragender Weise verdient gemacht haben. Das Ehrenbürgerrecht wird auf Grundlage des § 26 SächsGemO verliehen. Es handelt sich um ein höchstpersönliches Recht, dessen Verleihung deshalb grundsätzlich einer Annahme zu Lebzeiten bedarf.
Gemäß der geltenden ‘Satzung über die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes, der Ehrenmedaille und der Ehrennadel durch die Stadt Leipzig’ kann jede natürliche oder juristische Person den Vorschlag dieser Verleihung unterbreiten. Zunächst berät der Ältestenrat der Stadt auf Grundlage einer Vorlage des Referates Protokoll über den hinreichend begründeten Vorschlag.
Stimmt dieser zu, wird mit der Persönlichkeit Kontakt aufgenommen, um zu klären, ob sie/er diesen Titel auch annimmt. Im Falle der Annahme berät und entscheidet der Stadtrat, ehe dann die tatsächliche Ehrung in einem feierlichen Rahmen vollzogen wird.“
Und natürlich sagt das viel über das Selbstverständnis einer Stadt aus, welche Menschen sie schon zu Lebzeiten mit der Ehrenbürgerwürde auszeichnet.
„Auch wenn die protokollarische Frage einer posthumen Ehrenbürgerschaft in Deutschland gelegentlich öffentlich diskutiert wird, so wird sie aufgrund ihres Charakters als höchstpersönliches Recht sehr selten praktiziert. Denn ihr Stellenwert resultiert auch aus einer lebendigen Verbindung und der gegenseitigen Wertschätzung der/des Geehrten und der Stadtgesellschaft, die mit der Verleihung hervorgehoben und vertieft werden soll“, betont die Verwaltung.
„Unbenommen der Tatsache, dass seit 190 Jahren ausschließlich männliche Persönlichkeiten mit dem Ehrenbürgerrecht der Stadt Leipzig bedacht wurden, so war gemäß der zugrundeliegenden Ehrungssatzung eine geschlechtergerechte Würdigung formal möglich. Vorschläge für Ehrungen von weiblichen Persönlichkeiten sind sowohl für die Kategorien Ehrenbürgerrecht als auch Ehrenmedaille über die letzten drei Jahrzehnte eingegangen. 2019 ist Frau Verena von Mitschke-Collande als jüngste Trägerin der Ehrenmedaille der Stadt Leipzig für ihr Engagement um die Buchstadt Leipzig geehrt worden.“
Allein die Ratsversammlung entscheidet
Aber die Stadt spielt den Ball auch zurück, denn letztlich ist es der Stadtrat allein, der darüber entscheidet, ob eine vorgeschlagene Person die Ehrenbürgerwürde auch tatsächlich erhält. Bzw. die Ehrenbürgerinnenwürde, wie Linke-Stadträtin Mandy Gehrt in einer kleinen Aktion sichtbar gemacht hat.
Das heißt, es sind die Ratsfraktionen selbst, die dafür sorgen können, dass die nächsten Vorgeschlagenen einmal Frauen sind.
„Die vorgeschlagene Selbstverpflichtung des Stadtrates ist ein geeignetes Mittel, um die Verdienste und Leistungen von Frauen für das Gemeinwohl künftig in angemessener Weise zu würdigen“, gesteht die Verwaltung zu.
„Der Oberbürgermeister wird dem Anspruch des koordinierenden Verfahrens innerhalb der Verwaltung und mit dem Stadtrat entsprechend Rechnung tragen, um geeignete Vorschläge unterbreiten. Die derzeit gültige Satzung vom 20.03.2013 über die Verleihung des Ehrenbürgerrechtes, der Ehrenmedaille und der Ehrennadel zur Würdigung von Verdiensten und Leistungen von Persönlichkeiten sollte dabei weiterhin unverändert als Rechtsgrundlage dienen.“
Die CDU-Fraktion möchte die Beschlussformulierung sogar noch etwas verfeinern: „Die Stadt bemüht sich, bei der Suche und der Auswahl von zu würdigenden Personen aktiv darum, das Ehrenbürgerrecht an lebende Frauen, die sich in hervorragender Weise um Mitmenschen, um das Gemeinwohl, um die Stadt Leipzig, ihr Ansehen oder ihre Entwicklung verdient gemacht haben, zu verleihen.“
Die Ehre gebührt lebenden Frauen
Und da merkt man dann sogar, was an einer posthumen Verleihung eigentlich so falsch wäre: Die geehrten Frauen erfahren nichts mehr davon. Sie erleben die Ehre nicht mehr im eigenen Leben. An ihrem wohl verdienten Nachruhm ändert das nichts. Die Seite „Frauen machen Geschichte“ der Stadt macht sehr anschaulich, wie viele Frauen in Leipzigs Geschichte sofort für eine Ehrung mit der Ehrenbürgerinnenwürde infrage kämen.
Aber wirklich Ausstrahlung bekommt die Ehrung nun einmal erst, wenn es der gewählte Stadtrat fertigbringt, tatsächlich verdienstvolle Frauen der Gegenwart zu ehren und ihnen somit in aller Öffentlichkeit zu zeigen, dass man sie wertschätzt und hochachtet und dass man ihre Arbeit respektiert.
Was dann übrigens auch den Blick der Leipziger Öffentlichkeit ändert auf das, was Frauen in dieser Stadt leisten. Meist unbeachtet vom Medienrummel und den üblichen Ordensverleihungen. Man schaue sich nur die unheimlich lange Liste von Auszeichnungen von Kurt Masur an, die der Gewandhauskapellmeister meistens „stellvertretend“ bekommen hat – nämlich als bekannte Persönlichkeit aus dem Leipziger Herbst 1989. Und damit eben auch stellvertretend für all die Frauen, die in der Friedlichen Revolution eine wichtige Rolle gespielt haben.
Vielleicht sollte dieses Stellvertreter-Denken einfach aufhören und der Blick geschärft werden für die, die in der Regel im Schatten verschwinden, wenn Männer vorn im Blitzlichtgewitter stehen.
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