„Der Oberbürgermeister wird beauftragt, zu prüfen, ob es in Hinblick sowohl auf die Erinnerungskultur als auch auf die touristische Attraktivität Leipzigs sinnvoll ist, analog zum Modell der Leipziger Notenspur eine Leipziger Bücherspur (Arbeitstitel) zu entwickeln“, hatte die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen beantragt. Doch anders als mit der Musikstadt hadert Leipzig mit seinem alten Titel „Buchstadt“.

Und zwar nicht erst heute, sondern schon seit Jahren, wie das Dezernat Kultur jetzt in seiner Stellungnahme zum Grünen-Antrag deutlich macht: „Die Idee einer ‚Leipziger Bücherspur‘ ist nicht neu. Sie wurde u. a. im Rahmen der Reihe ‚Impuls Kulturpolitik‘ bereits im Jahr 2017 diskutiert. Zudem wurden in jüngster Zeit ähnliche Initiativen an die Stadtverwaltung herangetragen, bspw. die Idee einer ‚Künstlerspur‘.“

Na ja, und dann landeten die schönen Ideen in der Ablage. Und nichts passierte weiter. Vielleicht aus dem simplen Grund, weil man so etwas nicht der Verwaltung überlässt, sondern Leuten wie Prof. Werner Schneider, der den Notenspur Leipzig e. V. aus der Taufe hob und mit ihm das Projekt Notenspur aufs Pflaster brachte.

Denn so ein Verein sammelt Enthusiasten und Fördergelder und braucht am Ende nur noch die wohlwollende Zustimmung der Stadt, um die Notenspuren auch ins Pflaster der Gehwege einlassen zu können.

Notenspur im Gehwegpflaster am Augustusplatz. Foto: Ralf Julke
Notenspur im Gehwegpflaster am Augustusplatz. Foto: Ralf Julke

Es gibt doch schon lauter Gedenktafeln

Aber Stadtverwaltungen ticken anders. Das wird auch deutlich, wenn das Kulturdezernat die Möglichkeit einer baulichen Bücherspur diskutiert:

„Aus Sicht der Stadtverwaltung existieren innerhalb des Stadtgebietes bereits zahlreiche Gedenktafeln, mit denen an frühere Wohn- und Wirkungsstätten berühmter und überregional wahrgenommener deutschsprachiger Schriftsteller wie u. a. Johann Wolfgang von Goethe, Georg Maurer oder Wolfgang Hilbig sichtbar im öffentlichen Raum erinnert wird. Auch für Orte des Verlags- und Buchdruckgewerbes gibt es Gedenktafeln, so zum Beispiel für den Verlag Breitkopf & Härtel. Im Jahr 2018 wurde anlässlich 150 Jahre Druck des ‚Kapitals‘ in Leipzig eine Gedenkinstallation in der Nürnberger Straße eingeweiht.

Zudem erinnern Personendenkmale an unterschiedlichen Stellen der Stadt bereits an die reiche Literaturgeschichte, neben Goethe sind so etwa Friedrich Schiller, Friedrich Arnold Brockhaus, Heinrich Heine, Hafis oder Christian Fürchtegott Gellert zu nennen.

Für weitere Orte und Persönlichkeiten können Gedenktafeln von der Bürgerschaft selbst realisiert oder dem Kulturamt für die ‚Impulsliste Gedenktafel‘ übermittelt werden. Mit dem Fachausschuss Kultur werden daraus die zur Umsetzung vorgesehenen Vorschläge abgestimmt und realisiert.

Darüber hinaus ein Format analog der ‚Leipziger Notenspur‘ mit sichtbaren Elementen und Infostelen im öffentlichen Raum zu entwickeln und zu realisieren, wäre im Hinblick auf die generelle Gestaltung des öffentlichen Raumes zu prüfen, wird aber vor dem Hintergrund der Vielzahl bereits existierender erinnerungskultureller Zeichen kritisch gesehen.“

Erinnerung an die vergangene Buchstadt

Es stimmt schon: Wer den richtigen Stadtführer hat, findet Leipzig voller Erinnerungsstücke an eine Zeit, in der hier wirklich noch der Bücherplatz Nr. 1 in Deutschland war und sich berühmte Verlage und Druckereien im Grafischen Viertel ballten. Nach Verlegern und Verlagen sind Straße benannt. Aber schon die Erwähnung von Schiller und Goethe zeigt: Mit den eigenen Autorinnen und Autoren hat es Leipzig nicht so.

Die muss man suchen, auch wenn sie tatsächlich mit Erinnerungstafeln geehrt werden – man denke nur an Lene Voigt, Heinrich von Morungen, Georg Bötticher (den Vater von Ringelnatz), die beiden Gottscheds (siehe Foto) oder Paul Fleming. Wer sucht, der findet.

Da wären kleine Wegweiser für Literaturkundige und Literaturlustige gar nicht schlecht. Aber man hört den alten Zweifel der Leipziger Verwaltung heraus, ob man mit den Leipziger Literaten überhaupt irgendjemanden zum Stadtbummel an die Pleiße locken könnte. Man hat sich nun einmal auf „Musikstadt“ als zu vermarktendes Label verständigt.

Also schlägt das Kulturdezernat vor, eine Bücherspur in digitaler Form anzulegen.

„Der Antrag verweist auch auf eine digitale Umsetzung. Tatsächlich existiert bereits ein digitaler Stadtplan zur Buchstadt Leipzig, der die Dichte und die Verteilung der buchgewerblichen Betriebe sichtbar macht – dies exemplarisch zum Zeitpunkt einer beispiellosen ‚Blütezeit‘ des Buchgewerbes in Leipzig im Jahr 1913.

Dazu wurden vom Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek alle entsprechenden Betriebe in eine Datenbank übertragen und nach Gewerbetypen sortiert. Das Amt für Geoinformation und Bodenordnung der Stadt Leipzig recherchierte die heutigen Entsprechungen der historischen Adressen und ergänzte die Geokoordinaten.

Die Daten, die dem digitalen Stadtplan zugrunde liegen, sind frei verfügbar und können von allen Interessierten auch für eigene Projekte weiterverwendet werden.“

Demontage der Buchstadt

Wie aber die Buchstadt in Wirklichkeit Stück für Stück abgebaut wird, zeigt der Hinweis auf ein Projekt, das aufgrund fehlenden Engagements zum Weiterführen still und heimlich eingestellt wurde:

„Weiterhin wurde bereits von der Universitätsbibliothek Leipzig die Website buchbewegt-leipzig.de initiiert, die die Literatur- und Buchakteure Leipzigs bündeln soll – das Projekt fand in den Jahren 2014 bis 2019 statt. Die Website wird gegenwärtig nicht mehr gepflegt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass Websites immer mit der Frage der Aktualisierung des Contents einhergehen.“

Das Ende der Leipziger Buchwissenschaft an der Uni Leipzig gehört auch in diese Geschichte des zunehmenden Vergessens. Denn mit dem Ausscheiden von Buchprofessor Siegfried Lokatis wird aus der Professur für Buchwissenschaft eine Professur „Medienwandel mit Schwerpunkt Buchkultur und digitale Publikationen“.

Was das Institut mit dieser fadenscheinigen Begründung umschreibt: „Mit der Fortentwicklung wird vor allem dem Wandel des Mediums Buch und vergleichbarer Schrift- und Lesemedien im digitalen Zeitalter sowie der kulturellen und ökonomischen Bedeutung des Buchs im Verbund mit anderen Medien gesellschaftlicher Kommunikation Rechnung getragen.“

Website und Audiowalk

Das Kulturdezernat findet jedenfalls eine digitale Variante für eine Bücherspur sinnvoller.

„Die Stadtverwaltung schlägt eine digitale Umsetzung vor und prüft die Entwicklung eines ‚literarischen Audiowalks‘ oder ‚Podcasts‘ unter Berücksichtigung bereits erfasster Datensätze (Geokoordinaten, Literatur- und Buchakteursdaten), der gezielt ein junges Publikum anspricht. Inhalt soll die Buch- und Literaturstadt Leipzig sein, die entlang von Stationen durch den öffentlichen Raum vorgestellt wird. Historische Wegmarken wären dabei ebenso wie junge Verlage oder Leseorte vertreten“, schlägt das Kulturdezernat vor.

„Diese Formate sind mit der Veröffentlichung inhaltlich-redaktionell abgeschlossen und bedürfen zunächst keiner Aktualisierung. Die standortbasierten Inhalte können technisch bei einem spezifischen Anlass (vergleiche ‚Künstlerspur‘) durch Hinzufügen neuer Stationen erweitert werden. Die hierfür produzierten Audio-Dateien können u. a. als Inhalte auf der städtischen Website leipzig.de integriert werden. Gemeinsam mit dem Referat Digitale Stadt wird eine Verankerung auf weiteren Websites (z. B. Campus der Stadt Leipzig, betrieben vom Referat Digitale Stadt) angestrebt, um eine größere Sichtbarkeit zu erzielen.“

Und wer soll es machen? Wer kann es machen?

„Für das Projekt soll zunächst ein Konzept beauftragt werden (Dezernat Kultur), das bereits bestehendes Material sichtet, erste Vorschläge zur Routenführung entwickelt und finanzielle Eckdaten festhält. Sollte sich das Projekt als umsetzbar erweisen, wird eine Realisierung innerhalb des Themenjahres ‚Buchstadt Leipzig‘ (Arbeitstitel) im Jahr 2025 vorgeschlagen und eine entsprechende Vorlage erarbeitet.“

Dass Leipzig dringend etwas tun muss für sein angeknackstes Image als Buchstadt, ist dem Kulturdezernat freilich auch klar: „Darüber hinaus wird mit der Leipzig Tourismus- und Marketing GmbH abgestimmt, wie das Portfolio an touristischen Informationsmaterialien um das Thema ‚Literatur- und Buchstadt‘ erweitert werden kann. Mit Blick auf die dreimalige Absage der Leipziger Buchmesse in den Jahren 2020–2022 sind verstärkte Marketingmaßnahmen zur Literatur- und Buchstadt dringend geboten.“

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