Das ist mal eine hübsche Aussage: „Es gab keinen Dissenz.“ So etwas las man bislang in Vorlagen der Stadtverwaltung noch nicht. Auch nicht in der richtigen Schreibweise Dissens. Aber es scheint ein durchaus neues Phänomen zu sein, dass gleich vier Ämter der Stadtverwaltung sich darüber einig sind, dass die Grünen-Fraktion mit ihrem Antrag vollkommen recht hat: Leipzig braucht mehr Wald.
Mit dem Grünen-Antrag „Lasst Bäume wachsen – Wald mehren und Biotopverbund stärken“ haben sich sowohl das Amt für Stadtgrün und Gewässer als auch das Amt für Umweltschutz, das Liegenschaftsamt und das Stadtplanungsamt beschäftigt, dazu dann zumindest einen Alternativvorschlag zu diskutieren. Denn dass es im Stadtgebiet nicht wirklich viele Flächen gibt, auf denen man noch zusätzlich Wald anpflanzen kann, war ja im Stadtrat immer wieder Thema.
„Leipzig wird aufgrund des zentrumsnah verlaufenden Auwaldes von vielen als sehr grüne Stadt wahrgenommen. Dabei beträgt der Anteil der Waldfläche im Stadtgebiet Leipzig lediglich 6,5 %. Im Schnitt sind 10 % der Gemeindeflächen im Bundesgebiet Wald“, hatte die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen in ihrem Antrag festgestellt.
„Auch nach der politischen Wende gab es trotz vieler Neuaufforstungen in Leipzig und Umgebung keine wesentliche Änderung an dem relativ geringen Waldanteil. Somit gehört das Territorium der Stadt Leipzig und die unmittelbare Umgebung immer noch zu den waldärmsten Regionen des Freistaates Sachsen. – Obwohl sich die Stadt das Ziel gesetzt hat, den Anteil der Waldflächen zu vergrößern, ist aktuell aufgrund des bestehenden Baudruckes eine gegenteilige Entwicklung spürbar.“
Und deshalb sollte die Verwaltung aufgefordert werden, „bis zum 1. Quartal 2023 ein Konzept zu erstellen, um das Ziel der Erhöhung des Anteils der Waldfläche in Leipzig auf 10 % mittelfristig umzusetzen.“
Schon drei Konzepte zum Thema in Arbeit
Was in dieser Eindeutigkeit nicht umsetzbar ist, finden die vier beteiligten Ämter. Denn da müssen auch noch ein paar andere Dinge berücksichtigt werden. Zum Beispiel auch die Stadtratsvorstöße für das Auenentwicklungskonzept, das Ende 2022/2023 fertig sein soll und das Konzept für die Biotopverbundplanung, das 2024 vorliegen soll, und der in Arbeit befindliche Masterplan Grün.
„Das Ziel des Antrages zur Waldmehrung entspricht den strategischen Zielen sowie den Klimazielen der Stadt Leipzig, ist allerdings nicht auf eine feste Zielmarke von 10 % festgeschrieben und kann nicht losgelöst von den übrigen in Erarbeitung befindlichen Konzepten der Stadt, insbesondere dem Masterplan Grün und dem Auenentwicklungskonzept erarbeitet werden“, begründen die vier Ämter ihren Vorschlag, mit dem nun der Oberbürgermeister beauftragt werden soll, „auf Grundlage des in Bearbeitung befindlichen Masterplans Grün, der Biotopverbundplanung und des Auenentwicklungskonzeptes Vorschläge für Flächen der Waldmehrung zu unterbreiten.“
Denn dass Leipzig mehr Wald braucht, ist aus ihrer Sicht unstrittig.
„Ein Konzept, die Waldfläche in Leipzig zu mehren und den Biotopverbund zu stärken, muss die strategische Ausrichtung des Biotopverbunds berücksichtigen. Denn der Verbund von Wald als Lebensraum von Tier- und Pflanzenarten ist einer von mehreren gleichrangigen Bausteinen im Biotopverbund, der gleichsam ein Verbund von Offenlandlebensräumen (z. B. Grünland, Gewässer) ist.
Die zu erarbeitende Biotopverbundplanung wird aktuell parallel in Umsetzung des Beschlusses zur Petition ‚Bauen und Natur erhalten‘ (VP-P-00832-DS-02) angegangen, eine entsprechende Beschlussvorlage befindet sich derzeit in Vorbereitung. Die Planung soll 2024 vorliegen.“
Wie macht man eine Stadt resilienter?
Dass sich das alles jetzt ballt, hat leider auch mit der jahrelangen Verzögerungstaktik der Stadtverwaltung zu tun, die sich vor der Ausrufung des Klimanotstands 2019 nur widerwillig überhaupt Gedanken darüber machte, wie die Stadt tatsächlich wieder etwas resilienter werden könnte gegen all die Klimaextreme, die in den nächsten Jahren auf sie zukommen.
Und dazu gehören nun einmal auch natürliche Rückzugsräume und schlichtweg Gebiete, in denen der Mensch der Natur wieder Raum lässt, sich zu entwickeln. Neue Waldgebiete würden zudem die Hitzebelastung in der Stadt lindern.
Aber welcher Platz dafür tatsächlich zur Verfügung steht, das soll erst mit der Erstellung der schon beauftragten Konzepte sichtbar werden, heißt es in der Stellungnahme der Verwaltung.
„Auch im Kontext der künftigen Entwicklung der Leipziger Auenlandschaften – eine Fragestellung, die derzeit im Rahmen des Auenentwicklungskonzepts (VII-A-00516-ÄA-02) bearbeitet wird – bedarf das Ziel der Waldmehrung einer differenzierten Betrachtung“, schreiben die vier Ämter.
„Denn analog zum Biotopverbund geht es nicht nur um Wald als schützenswerten bzw. erstrebenswerten Lebensraum, sondern auch hier gehören vor allem Stromtal-Auenwiesen, Frisch-, Feucht- und Nasswiesen zu einem auentypischen Mosaik von Wald und Offenland, welche angesichts ihrer naturräumlichen Seltenheit und Gefährdung als wertvolle Auenbiotope erhalten und vor allem entwickelt werden müssen.
Als fachliche Entscheidungsgrundlage kann das Auenentwicklungskonzept dienen. Es ermittelt auf Basis der zu erreichenden hydrologischen Zustände – und unter der Prämisse des o. g. Wald-Offenland-Mosaiks – das Entwicklungspotenzial für die Wald- als auch Offenlandbiotope.“
Aber dass das Auenentwicklungskonzept dafür schon eine Grundlage ist, betonen die vier Ämter ebenfalls. Sodass sie für die Benennung möglicher neuer Waldflächen schon ab 2023 eine Chance sehen.
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Sehr typisch für die Stadträt/innen der Grünen: Zuerst einen Antrag für generell mehr Wald stellen, am besten natürlich nur in Form von Konzepten, und dann unmittelbar danach allen Anträgen, seien es B-Pläne, Forstwirtschaftspläne oder Konzernansiedlungen, die mit Waldvernichtung verbunden sind, zustimmen. So weit ich weiß, sind die Grünen auch noch überwiegend fürs Waldabhacken auf der ehemaligen Deponie Seehausen für PV, während sie für Naturerhalt im Naturidyll Holzberg sind, aber der ist ja auch außerhalb der Stadtgrenzen…