Seit Wochen sorgt die europaweite Ausschreibung für die künftige Buchbeschaffung der Stadtbibliothek Leipzig für Diskussionen und jede Menge Verärgerung bei Leipziger Buchhändlerinnen und Buchhändlern. Denn sie werden sich an der Ausschreibung fast alle nicht beteiligen können. Und damit natürlich Umsätze verlieren. Denn bisher kaufte die Stadtbibliothek freihändig fast alles bei Buchhändlern vor Ort ein. Am 15. Juni gab es dann wieder Antworten, die keine waren.
Es geht nicht nur um die Bücher
Auch wenn in der Antwort von Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke auf die Nachfrage von Linke-Stadträtin Juliane Nagel dann der tatsächliche Grund für die Ausschreibung aufblitzte. Denn es geht nicht wirklich um die Größe der ausgeschriebenen Pakete von Buchbestellungen, die aus Sicht von Stadt und Stadtbibliothek jetzt auf einmal eine europaweite Ausschreibung notwendig macht.
Mit der Notwendigkeit der europaweiten Ausschreibung wurde ja auch begründet, dass man die erste Ausschreibung inzwischen zwar gestoppt hat, aber dennoch daran festhalten will – dann mit wahrscheinlich kleineren Paketen, die möglicherweise auch in dem Bereich liegen, in dem kleinere Buchhändler sich vertraglich für dann zwei Jahre binden würden.
Die meisten werden es trotzdem nicht tun und auch nicht tun können. Denn es geht nicht nur um die Bücher. Deren Preis ändert sich ja nicht. Die Buchpreisbindung gilt für alle.
Aber ein Teil des Problems wird in den Antworten auf die Fragen 3 und 4 sichtbar, die Linke-Stadträtin Juliane Nagel gestellt hatte.
Auf einmal stecken überall Servicedienstleistungen drin
„Den Vergaben wurden anders als in den Vorjahren Servicedienstleistungen hinzugefügt. Wurde hierbei im Vorfeld eine Marktanalyse durchgeführt, die es wahrscheinlich machte, dass dies auch durch die Einzelhändler/-innen vor Ort, beispielsweise auch durch lokale Bieter/-innengemeinschaften angeboten werden kann?“, hatte Juliane Nagel gefragt.
Und: „Welche konkreten Gründe sprechen aus Sicht der Stadt außer den angeblichen vergaberechtlichen Normen für eine europaweite Ausschreibung und einen so langen Ausschreibungszeitraum von vier Jahren?“
Und auf die erste Frage gab es dann eine Antwort, die so nicht stimmen kann. Da antwortete das Kulturdezernat nämlich: „Die Erwerbung von Print-Medien wird erstmals ausgeschrieben. Die angesprochenen Servicedienstleistungen werden aber bereits seit mehreren Jahren zusammen mit dem Bucherwerb einkauft, stellen somit keine Neuerung dar. – Eine Marktanalyse wurde nicht durchgeführt, da durch den Einkauf der Leistungen in den vergangenen Jahren bekannt war, dass die Leistungen auf dem Markt angeboten werden. Auch Buchhandlungen vor Ort bieten diese Leistungen an.“
Man kann auch sagen: Die Antwort ist so formuliert, dass man nicht merkt, dass sie falsch ist. Es stimmt, dass ein Teil der Buchbestellungen schon mit Serviceleistungen eingekauft werden – also mit Schutzeinband, RFID-Chip und Barcode. Doch diese Leistungen können nur die in der Antwort erwähnten „Buchhandlungen vor Ort“ erbringen, was nicht heißt: alle. Denn dazu braucht man Extra-Personal oder eine Niederlassung in Deutschland, die so etwas erledigen kann. Das trifft in Leipzig auf zwei Großbuchhandlungen zu.
Und das wissen die Leipziger Buchhändler/-innen natürlich auch, die sich auch absprechen und gemeinsam überlegen, ob sie dann vielleicht doch eine Bietergemeinschaft bilden und in Vorleistung gehen, um eine gemeinsame Einrichtung aufzubauen, die diese Serviceleistungen auch anbieten könnte.
Wer kann so ins Risiko gehen?
Aber da wird es dann ganz haarig. Denn von den beiden Corona-Jahren sind alle Buchhandlungen gebeutelt. Keine sitzt auf einem Finanzpolster, das so eine Investition ermöglichen würde. Und alle sehen natürlich die Gefahr, dass sie auf den Kosten sitzen bleiben, denn niemand garantiert ihnen ja, dass sie nach zwei Jahren wieder den Zuschlag bekommen und auch noch über die größeren Posten, die die Investition wirklich lohnend machen würden.
Deswegen war die nächste Antwort aus dem Kulturdezernat ebenso erstaunlich: „Das Vergaberecht sieht eine europaweite Ausschreibung vor. Weiterhin ist zu beachten: Neben der Absicherung des Bedarfes und der Nutzen-/Aufwandsbetrachtung spielen bei der Festlegung der Vertragslaufzeit im Rahmen der Würdigung von § 3 VgV vor allem auch Gesichtspunkte der wirtschaftlichen Beschaffung eine Rolle. Um eine solche wirtschaftliche Beschaffung zu ermöglichen, werden u.a. auch die ggf. notwendigen Anschaffungen und deren Amortisationen auf Seiten der Bieter für bestimmter im Zusammenhang mit der Leistungserbringung verbundener Investitionsgüter (u.a. erforderliche Gerätschaften) abgewogen.“
Erstaunlich ist das deshalb, weil mit den kleineren Buchhandlungen als mögliche Bieter gar nicht gesprochen wurde. Vielleicht wird das nachgeholt. Aber wie dann die notwendigen Investitionen für die „Leistungserbringungen“ in einer möglichen Beauftragung abgebildet werden, dürfte zumindest interessant werden, da ja selbst diese Antwort immer wieder die „wirtschaftliche Beschaffung“ betont, die Stadtbibliothek mit der Ausschreibung also Geld einsparen will.
Kann man doch alles outsourcen
Und zwar Geld, das sie bislang für die im Haus selbst erbrachten Leistungen aufgewendet hat bzw. für das dafür zuständige Personal. Denn darum geht es die ganze Zeit: Dass die Stadtbibliothek diese eigentlich bibliothekarischen Leistungen gern outsourcen will. Möglichst an jemanden, der diese Leistungen schon anbietet. Und in möglichst großen Posten, sodass man die neuen Bücher quasi einfach von einem Anbieter fix und fertig für die Ausleihe geliefert bekommt.
Da wird dann auch die Antwort von Skadi Jennicke verständlicher, die Juliane Nagel versuchte zu erklären, warum man Buchbeschaffung und Serviceleistungen nicht trennen könne, denn das „zusätzliche Versenden“ an einen Dienstleister würde ja zusätzliche Kosten verursachen und die Sache noch teuer machen.
Es ist also eine Umstrukturierung innerhalb der Stadtbibliothek, die dazu führt, dass man die Serviceleistungen gern loswerden möchte, um das Personal für andere Tätigkeiten freizulegen. Dass am Markt nur einige Großbuchhandlungen diese Serviceleistungen anbieten, ist auch bekannt. Und wirklich hineinversetzen in die Leipziger Buchhändler/-innen, die jetzt die „notwendigen Anschaffungen und deren Amortisationen“ kalkulieren müssen, wenn sie sich um eins der ausgeschriebenen Pakete bewerben wollen, kann man sich im Haus am Wilhelm-Leuschner-Platz wohl eher nicht.
Es interessiert auch nicht, sonst hätte man wenigstens die von Juliane Nagel angefragte Marktanalyse gemacht, von der das Kulturdezernat meint, man brauche sie nicht. Man wisse ja, dass die Leistungen auch von „Buchhandlungen vor Ort“ angeboten werden.
Dass sich da die kleinen Buchhandlungen von Anfang an ausgebootet fühlen, ist wohl nur zu verständlich.
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