Da waren am Ende auch eine Menge Stadträt/-innen und wohl auch der OBM froh, als am 16. Juni endlich die Tagesordnung der Ratsversammlung abgearbeitet war. Und das auch noch mit einem Paukenschlag. Denn vor dem nichtöffentlichen Teil beschloss der Stadtrat auch noch die Zustimmung zu einem richtig großen Grundstücks-Tauschpaket mit dem Freistaat.

Im Zentrum steht die Ostseite des Wilhelm-Leuschner-Platzes, wo die Grünen-Fraktion vor 13 Jahren mal die Entwicklung angestoßen hat, mit dem Wunsch, hier wieder eine richtige Markthalle zu bauen. Es gab Gestaltungswettbewerbe und heftige Diskussionen um die Bebauung.

Und jedes Mal, wenn man dachte, jetzt ist klar, wohin die Reise gehen soll, kam aus dem Bürgermeisterbüro die Nachricht, dass noch ein wichtiges Projekt hier mit unterkommen soll. Und noch eins. Und noch eins.

In der Vorlage der Verwaltung ganz kurz skizziert mit den Sätzen: „Gemeinsam mit dem Forum Recht, dem Leibniz-Institut für Länderkunde und der Juristenfakultät könnte in Kombination mit dem Global Hub auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz ein Hotspot moderner Wissenschaft, Forschung und Bildung mit internationaler Strahlkraft entstehen. Mit Umsetzung der Maßnahmen würden dort voraussichtlich knapp 140 Millionen Euro in hochwertige Neubauobjekte investiert werden – zuzüglich der Investitionskosten für den Neubau der Juristenfakultät.“

Investitionszusagen vom Freistaat

FDP-Stadtrat Sven Morlok kommt bei den geschätzten Investitionen sogar auf 220 Millionen Euro. Wenn er die noch nicht mit Baukosten bezifferten Projekte dazunimmt, würden locker 400 Millionen Euro draus werden.

Der Freistaat Sachsen ist somit seit Jahren daran interessiert, immer neue Grundstücksflächen am Wilhelm-Leuschner-Platz (eigentlich am Rossplatz) zu bekommen, um all seine Bauvorhaben hier kompakt an einem Platz zu konzentrieren.

„Spätestens mit dem konkreten Beschluss des Haushaltsausschusses des Bundestags zur Finanzierung des ‚Forum Recht‘ am Standort Leipzig vom 14.11.2019 sowie dem Beschluss der Vorlage – VII-DS-00673 (Beteiligung der Stadt Leipzig an der Etablierung des ‚Forum Recht‘ in Leipzig) hatte sich der Bedarf an geeigneten Flächen zur Ansiedlung des Informations- und Begegnungszentrums konkretisiert. Insgesamt wurden für den Standort Leipzig bis zu 70 Mio. € an Baumitteln in Aussicht gestellt“, heißt es in der Vorlage der Stadt, die am 16. Juni noch einmal zu einem heftigen Streit führte, der auch ans Eingemachte ging.

Denn nicht nur die Linksfraktion fühlte sich von der Vorlage überrascht. Denn obwohl die Stadt Leipzig mit dem Freistaat seit mindestens zwei Jahren verhandelt haben soll, gab es die Vorlage erst einen Monat vor der Ratsversammlung.

Und das Allerwichtigste fehlte: der Vertragsentwurf selbst. Den bekamen die nachfragenden Fraktionen tatsächlich erst eine Woche vor der Sitzung. Nichtöffentlich.

Burhard Jung spricht zur Vorlage zum Grundstückstausch mit dem Freistaat. Foto: Livestream der Stadt Leipzig, Screenshot: LZ
Burkhard Jung spricht zur Vorlage zum Grundstückstausch mit dem Freistaat. Foto: Livestream der Stadt Leipzig, Screenshot: LZ

Feinstes Vertragsdeutsch, wie SPD-Stadtrat Andreas Geisler feststellte, der dem OBM genauso den Kopf wusch wie die sehr aufgeregte Franziska Riekewald aus der Linksfraktion und der wesentlich ruhiger mahnende Fraktionskollege Steffen Wehmann. Und Burkhard Jung gab zu, dass das so nicht geht. Dass das mit Transparenz nichts zu tun hat und man die Ratsfraktionen nicht derart spät über einen solchen Vorgang ins Bild setzen dürfe.

Werden die Kosten für die Altlasten-Entsorgung für Leipzig zum Problem?

Die Diskussion entfachte sich zwar auch daran, dass Franziska Riekewald den Verdacht hat, dass die Stadt bei den Sanierungskosten für die Altlasten auf dem Grundstück an der Linkelstraße über den Tisch gezogen wird. Aber letztlich wurde deutlich, dass hier die Verwaltung selbst sich ein Eigentor in Sachen Transparenz geschossen hat.

Denn dass das große Grundstücks-Tauschpaket, bei dem der Freistaat der Stadt Grundstücke im Wert von 7,367 Millionen Euro übergibt und dafür vor allem Grundstücke in Innenstadtlage im Wert von 8,111 Millionen Euro bekommt, gut für die Stadt ist, war eigentlich einhellige Meinung in der Ratsversammlung.

Nur das Gefühl, dass der Stadtrat wieder erst hinzugezogen wurde, als der Vertrag praktisch schon unterschriftsreif war, stieß sauer auf. So war den Fraktionen im Grunde jede Möglichkeit genommen, auf die Vertragsgestaltung noch einmal Einfluss zu nehmen.

Auch wenn es die Linksfraktion mit zwei Anträgen noch einmal versuchte. Aber die wurden am 16. Juni beide abgelehnt, sowohl was den Wunsch betraf, den Käufern jeweils „ein zeitlich unbegrenztes Erstandienungsrecht“ einzuräumen als auch den Wunsch, die Altlastenkosten anders zu verteilen.

Denn gerade bei den Grundstücken an der Linkelstraße könnte so einiges an Altlasten zutage kommen.

„Das Grundstück ist mit einem ruinösen, unter Denkmalschutz stehenden, 2,5-geschossigen Verwaltungsgebäudeteil einer ehemaligen Kraftfahrzeugfabrik bebaut. Auf dem unbebauten Teil befinden sich befestigte Außenanlagen, Wildwuchs und auf einer geringen Fläche ein gewachsener Baumbestand“, heißt es in der Verwaltungsvorlage.

Die Stadt kann sich hier die Ansiedlungen von Gewerbe vorstellen. Es verblüfft freilich, dass mit keinem Wort der Wahren-Link der LVB erwähnt wird. Denn es ist genau das Grundstück, auf dem die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) sich den Bau einer Wendeschleife und Platz zum Abstellen von Straßenbahnen wünschen. Man kann zwar Gewerbe mit dem S-Bahnhof Wahren anlocken. Aber überfällig ist hier die direkte Verbindung zur Straßenbahn.

Ein paar Grundstücke für die Stadtentwicklung

Es sah zwar unfair aus, dass der Freistaat vor allem Grundstücke in der Innenstadt haben wollte und die Stadt lauter Grundstücke in Randlage bekommt.

Aber gerade diese braucht die Stadt. Etwa ein Grundstück an der Lützner Straße am Übergang zum Lindenauer Hafen: „Das Grundstück ist mit diversen Aufbauten unterschiedlichsten Zustandes versehen. Ebenso ist in Teilbereichen derzeitig noch das Polizeiverwaltungsamt untergebracht. Die Restfläche beinhaltet teilweise Biotope und Wildwuchs.“

Oder das Grundstück in der Lumumbastraße 4: „Das überwiegend unbebaute Grundstück ist mit einem unter Denkmalschutz stehenden 3-geschossigen Schulgebäude bebaut, welches von der Universität Leipzig genutzt wird. Der unbebaute Teil splittet sich in einen Parkplatz und eine Grünfläche.“

Hier möchte die Stadt Leipzig Wohnbebauung schaffen, genauso wie auf dem Grundstück Nordplatz 11: „Die unbebaute, aber befestigte Teilfläche wird vom Finanzamt im Wesentlichen als Kfz‑Stellplatzanlage genutzt.“

In der Ratsversammlung ging es dann einige Male hin und her, ob Leipzig nun insbesondere mit den Sanierungskosten zu viel bezahlen würde.

Aussicht auf gut bezahlte Arbeitsplätze

Aber der Grundstückstauschvertrag ist auch noch mit einer Investitionszusage verbunden, was es der Stadt leichter macht, dem ganzen Tausch zuzustimmen. Denn gerade am Wilhelm-Leuschner-Platz will der Freistaat Sachsen tatsächlich bauen. Und in den Institutionen, die da entstehen, werden auch gut bezahlte Arbeitsplätze entstehen, betonte Burkhard Jung.

In der Vorlage heißt es dazu: „Hinzu kommen deutlich über 1.000 neue Arbeitsplätze in und für Leipzig – allein für das Global Hub sind gut 500 und weitere 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Max-Planck-Institut geplant. Der notwendige Ausbau des Universitätsklinikums gewährleistet langfristig die medizinische Versorgungssicherheit für Leipzig. In diesem Zuge ist von etwa 150 zusätzlichen Arbeitsplätzen am Universitätsklinikum auszugehen.“

Bei dem erwähnten Max-Planck-Institut geht es um das am Deutschen Platz ansässige Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

„Die Erweiterung des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie (MPI EVA) wird aus zwei Gründen nötig. Der erste resultiert aus einer Entscheidung des Senats der Max-Planck-Gesellschaft, zwei von drei Bereichen des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte aus Jena in Leipzig neu anzusiedeln. Der zweite betrifft eine geplante Kooperation des MPI EVA mit der Harvard Medical School, die in Leipzig eine Abteilung aufbauen will“, heißt es in der Vorlage.

„Mit dem Erweiterungsbau am Deutschen Platz werden die Abteilungen Biotechnologie, Molekulargenetik und Bioinformatik neu angesiedelt. Damit entstehen in Leipzig ca. 200 hochqualifizierte neue Arbeitsplätze. Darüber hinaus ist bis zum Jahr 2027 vorgesehen, Arbeitsgruppen mit molekularbiologischen Profil am Institut in Leipzig aufzunehmen. Mit dem erreichten Endausbau wird insgesamt mit einer Erhöhung der Anzahl an Arbeitsplätzen von derzeit 350 auf dann 700 zu rechnen sein.“

Das heißt: Mit dem Tausch der Grundstücke können gleich eine Reihe von geplanten Investitionen in Leipzig tatsächlich starten. Man kann sich schon ein wenig in die Rolle des OBM einfühlen, der hier mit so wenig Störgeräuschen wie möglich den Sack zubinden wollte.

Asche auf mein Haupt

In der Ratsversammlung am 16. Juni streute sich Burkhard Jung dann tatsächlich Asche aufs Haupt und ließ noch vier Protokollnotizen mit in die Vorlage schreiben, die so alle auch von der Stadtratsmehrheit befürwortet wurden.

So soll es auf dem Grundstück Nordplatz 11 deutlich weniger Parkplätze geben, als bislang vorgesehen.

Bei einigen Grundstücken soll versucht werden, noch ein Vorkaufsrecht einzuschreiben, falls der Freistaat die Grundstücke doch einmal wieder loswerden will. Dann sollen sie zuallererst der Stadt Leipzig wieder angeboten werden.

Auch der geplante Wohnanteil soll unbedingt gebaut werden auf den Grundstücken, die der Freistaat übernimmt. Denn gerade am Wilhelm-Leuschner-Platz hat der Stadtrat ja zäh darum gekämpft, damit hier überhaupt ein nennenswerter Anteil an Wohnungen mit eingeplant wird.

Und mehr Transparenz bei künftigen Verträgen dieser Art sagte Jung auch zu. Und hätte sich beinah gewünscht, die Stadträte hätten tapfer dagegen gestimmt. Aber genau dieser Punkt bekam sämtliche Ja-Stimmen der anwesenden Stadträt/-innen. Womit eigentlich der Hauptgrund für den Ärger an diesem Tag sehr schön auf den Punkt gebracht wurde.

Die Gesamtvorlage bekam dann mit 40:3:7 Stimmen auch eine deutliche Mehrheit, sodass von Leipzigs Seite aus der Grundstückstausch mit dem Freistaat über die Bühne gehen kann.

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