Als der Spiegel am 14. Mai 2022 seine Geschichte zum Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann (Linke) veröffentlicht, wird sie in Leipzig von einigen schon mit Spannung erwartet. Man hat in Hamburg nach Unregelmäßigkeiten in eben jenem Wahlkampf Pellmanns 2021 gesucht, der am Ende die gesamte Fraktion der Linken im Bundestag hielt. Herausgekommen ist ein faktenarmes Wirrwarr aus Stasi, Russland und einer Überschrift, die nicht beantwortet wird: „Woher kam das Geld für die Materialschlacht dieses Linkenpolitikers?“
Der Lehrer, Stadtrat, Fraktionsvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann ist mit 45 Jahren endgültig im ganz großen Politik-Feld angekommen, seit er 2021 sein Direktmandat verteidigt und ihn 2022 die auch innerparteilich stark umstrittene Sahra Wagenknecht für die Position des neu zu wählenden Bundesvorstandes der Linkspartei vorgeschlagen hat.
Unabgesprochen, wie man im Liebknechthaus gegenüber LZ betont, widersprochen hat der so ins Licht geschobene Kandidat für den Erfurter Bundesparteitag am 24. Juni 2022 dennoch nicht.
Ob Pellmann überhaupt Chancen auf einen Sitz im derzeit 41 Mitglieder umfassenden Parteivorstand, geschweige als dessen Vorsitzender hat, ist aktuell eher fraglich: einerseits soll der Vorstand wohl verkleinert, nach parteiinternen Informationen gar halbiert werden, um wieder Arbeitsfähigkeit zu erlangen.
Und andererseits ist angesichts des zweiten Absturzes der Linken in NRW nach der Bundestagswahl (3,7 Prozent) und nun bei der Landtagswahl auf rund 2 Prozent mit Sahra Wagenknecht an der Spitze, eine Empfehlung von Wagenknecht eher Hindernis als Bonus. Da ist noch viel Ãœberzeugungs- und auch Abgrenzungsarbeit seitens Pellmann zu leisten, um am 24. Juni in einem schrumpfenden Bundesgremium bis an die Spitze zu gelangen.
Doch es sind Ambitionen, die man nun auch bundesweit wahrnimmt und angesichts der mehr als komplizierten Lage der Gesamtpartei im Vergleich zum Stadtverband Leipzig nicht so weit hergeholt scheint. Selbst in der sich seit mindestens vier Jahren systematisch aufschaukelnden Partei-Misere der Linken bringt ausgerechnet der Leipziger Kreisverband teils gegen den Trend und so manche interne Meinungsverschiedenheit immer wieder erstaunliche Wahl-Ergebnisse zustande.
So verteidigt Juliane Nagel 2019 mit 27,4 Prozent bei den Erststimmen das einzige linke Direktmandat im Landtag Sachsens, während die Partei vor allem in ländlichen Gegenden mit 5 Prozent und weniger geradezu durchgereicht wird. Dass man von 18,9 Prozent kommend bei 10,4 Prozent und nicht noch tiefer landet, ist auch dem Leipziger Ergebnis mit stadtweit rund 16 Prozent in den sieben Wahlkreisen zu verdanken.
Im gleichen Jahr erreicht die Leipziger Linke im Frühjahr mit 21,4 Prozent 15 Sitze im Stadtrat, wird trotz eines Verlustes von drei Sitzen stärkste Fraktion, knapp vor den Grünen und deutlich vor der vormals größten Fraktion – der CDU. Und 2021 wiederholt Sören Pellmann die Ãœberraschung von 2017 und verteidigt mit klarem Abstand auf die Grüne Paula Piechotta (18,4) sein Bundestagsmandat mit 22,8 Prozent der Erststimmen.
Die CDU kämpft da wieder einmal mit der Stimmenabwanderung zur AfD im südlichen Wahlkreis 153, im Norden wird Jens Lehmann (CDU, 20,5 Prozent) beinahe von Holger Mann (SPD) mit 20,2 Prozent geschlagen.
Als ein Grund für die letztlich sicheren Wiederwahlen Nagels und Pellmanns wird durchaus bemerkt, dass beide ihre Basisarbeit im Leipziger Stadtrat nie aufgegeben haben, Pellmann ist hier sogar Fraktionsvorsitzender, Juliane Nagel ist das migrationspolitische Gesicht ihrer Partei im CDU-Abschiebemusterland Sachsen geworden.
Doch, so der Spiegel in seiner Online- wie Printausgabe (S+), bei Pellmanns Mandatsverteidigung 2021 soll es nicht mit rechten oder besser mit extrem vielen Mitteln zugegangen sein. Denn vor allem stellt das Hamburger Magazin eine unglaubliche Summe in den Raum und leitet davon diverse Theorien ab, ohne diese zu belegen.
120.000 Euro seien es geschätzt gewesen, die Pellmann aus vorgeblich dubiosen Kanälen für seinen 2021er Bundestagswahlkampf zugeflossen sein sollen. Habe man gehört, so würde man in Leipzig bei der politischen Konkurrenz vermuten, so nähmen es ungenannte Quellen an. Und weil es so gut zu Sören Pellmanns ostdeutschem Werdegang in der Linken passt, könnten da irgendwie noch die sagenumwobenen Gelder aus dem ehemaligen SED-Vermögen eine Rolle spielen.
So viel zu den Hamburger Gespenstergeschichten.
Anfang 2021 – die Bundestagsfraktion der Linken macht mobil
Sören Pellmann hat auf die Spiegel-Anfrage nicht geantwortet, der Kreisverband der Linken Leipzigs auch nicht. Auf LZ-Nachfrage führt Pellmann unter anderem an, dass neben der 48-Stunden-Frist die teils absurden Fragen kaum beantwortbar gewesen seien. Eine darunter, ob er im April 2021 bei RB Leipzig gewesen sei, um sich durch den Leipziger Erstligisten seinen Wahlkampf sponsern zu lassen?
RB-Inhaber Dietrich Mateschitz dürfte angesichts seines Engagements beim rechtsoffenen Sender Servus-TV an dieser Stelle wenigstens schmunzeln, Pellmann jedenfalls muss beim Gespräch mit der LZ etwas lachen. Ebenfalls lachen müssen lokale Kenner der Parteienszenerie, dass der Spiegel dem Linkenpolitiker und Stadtrat Volker Külow die Rolle eines mächtigen Spin-Doctors zuschreibt, die er innerhalb der Linken, zumal in der Riege der Mandatsträger oder gar in einer bundesweiten Rolle, nicht hat.
Darunter mischt das Hamburger Magazin noch den Namen des Ex-Stadtrates Alexej Danckwardt, um irgendwie eine angeblich aktive Linie zwischen Pellmann und Russland in Zeiten des Angriffskrieges auf die Ukraine zu legen. 2016 trat Rechtsanwalt Danckwardt nach drastischen Äußerungen aus der Linksfraktion im Stadtrat Leipzigs aus, nachdem sich auch Pellmann deutlich von ihm distanziert hatte und die Fraktion Danckwardts Rauswurf erwägte.
Danckwardt spielt also seit nunmehr sechs Jahren keine Rolle mehr in der Linken, beim Spiegel reicht es noch zu einer vorgeblichen Achse Moskau-Leipzig, welche die russlandfreundliche Haltung Pellmanns zu einer weitreichenden Connection unbekannter Güte und Dichte aufbauschen soll.
Für ein wirkliches Interview stünde Pellmann dem Spiegel zur Verfügung, eine Anfrage dazu habe er jedoch nicht erhalten. Auch die 48-Stunden-Frist der Spiegel-Mailanfrage sei verstrichen, ohne dass sich jemand bei ihm noch einmal telefonisch gemeldet hätte – auch danach nicht.
Worauf die drei Autor/-innen des Spiegel-Beitrages und der teils realitätsfernen Frageliste hingegen nicht zu kommen scheinen, sind die naheliegenden Erklärungen. Denn die Wucht Pellmanns 2021er Wahlkampfs besteht letztlich aus nachvollziehbaren Geldquellen und Umständen.
Darunter der, dass die Bundestagsfraktion der Linkspartei Anfang 2021 nach 1,5 Jahren Veranstaltungsbeschränkungen durch die Corona-Pandemie auf durchaus vollen Kassen sitzt. Und außerhalb der sechs Wochen Bundestagswahlkampf vor dem Wahltermin am 26. September 2021, also bis zum 15. August 2021 berechtigt ist, Veranstaltungen mit Bundestagsabgeordneten und die entsprechende Werbung dafür in Leipzig oder anderswo durchzuführen.
Bekannt ist zu diesem Zeitpunkt ebenfalls, dass es durchaus um die Erststimmen, also die drei entscheidenden Direktmandate in Leipzig und Berlin gehen könnte, um die Fraktion überhaupt im Bundestag zu halten. Der Fokus liegt also auf Leipzig und Berlin.
Die Bundestagsabgeordneten wissen also, warum sie 2021 ausschwärmen, in Leipzig kommt es in diesem Zusammenhang zu drei Terminen, finanziert aus Fraktionsmitteln unter dominanter Plakatwerbung. Und immer unter Beteiligung des Leipziger Mitglieds der Bundestagsfraktion, Sören Pellmann: am 22. Juni 2021 mit Sahra Wagenknecht auf dem Augustusplatz, am 23. Juli 2021 mit Katja Kipping (zugeschaltet via Internet) im Lene-Voigt-Park und am 12. August mit der Bundesfraktionsführerin Amira Mohamed-Ali.
Thematisch geht es um die Arbeit der Fraktion für die LGBTQ-Community, den Überfall Hitler-Deutschlands auf Russland, Spenden für Kinderferienlager und linke Sozial- und Gewerkschaftspolitik.
Alle Parteien haben zu diesem Zeitpunkt ihre Bundestagskandidaten bestimmt, geben offensiv Interviews, führen den Sommer 2021 über Wahlkampf.
Auf Nachfrage im Liebknechthaus summiert Leipzigs Linken-Stadtvorstand Adam Bednarsky die ihm bekannten Kosten für die drei Termine auf gesamt rund 28.000 Euro für Bühnen, Technik und die Werbung in Leipzig dafür. Beauftragt und bezahlt durch die Bundestagsfraktion, der letzte Termin am 12. August 2021 liegt drei Tage vor der Sperrfrist.
Will man dieses Vorgehen rechtlich kritisieren, dürften – nimmt man alle Parlamente und Stadträte und die entsprechenden Wahlzyklen als Grundlage – weite Teile der jeweiligen Wahlperioden frei von jeder Kommunikation der Fraktionsarbeit aller gewählter Parteien werden. Von einer Klage gegen das Vorgehen der Linken 2021 ist jedenfalls nichts bekannt.
Sören Pellmann sieht gegenüber der LZ dieses Vorgehen der Linken im Jahr 2021 als rechtlich gedeckt an. Um die offen gebliebene Finanzfrage des Spiegels und damit die Grundlage des hierin dünn gebliebenen Beitrages dennoch zu beantworten, könnte man hier 28.000 Euro auf Pellmanns Wahlkampfkosten schreiben. Rechtlich eher unsauber, aber erhellend in der Frage, ob es wirklich, wie vom Hamburger Magazin gemutmaßt, 120.000 Euro kostet, 2021 ein linkes Bundestagsmandat in Leipzig zu verteidigen.
Der eigentliche Wahlkampf und seine steigenden Kosten
Dass seit Jahren die Kosten bei den Wahlkämpfen steigen und längst eine Art Wettrüsten begonnen hat, welches zunehmend undemokratische Züge annimmt, ist so etwas wie ein offenes Geheimnis.
Schon nach der Bundestagswahl 2017 geistert angesichts der Großplakatwände für den damaligen CDU-Gegner Pellmanns, Bundestagsabgeordneter Dr. Thomas Feist, die Zahl von rund 50.000 Euro durch Leipzig. Teils mit privaten Geldern Feists finanziert, möglich bei rund 10.000 Euro monatlichen Bundestagsdiäten. Da tritt Sören Pellmann nach eigener Aussage gegenüber LZ noch mit 5.000 Euro an, „wofür ich damals noch 3.000 Euro Kredit aufgenommen habe“.
2021 bestätigt der wiedergewählte Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) gegenüber LZ, knapp 300.000 Euro im Wahlkampf ausgegeben zu haben, um sich gegen den nur knapp unterlegenen CDU-Herausforderer Sebastian Gemkow zu behaupten. Zu dessen Wahlkampf wird die sagenhafte Summe von 500.000 Euro für erstmals auftauchende Megaplakate an Hauswänden und Anzeigenkampagnen kolportiert, massiv unterstützt von ortsansässigen Immobilienunternehmen, gepusht durch zwei lokale Zeitungen mit Zentralen im Westen Deutschlands.
Allein für Facebook-Ads sind laut Facebook-Panels seitens beider Kandidaten jeweils mindestens 10.000 Euro geflossen.
2021 ist Sören Pellmann selbst bereit, um sein Mandat zu kämpfen und die Linke weiß um den Wert des Direktkandidaten. Die Partei hat auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene „insgesamt 50.000 Euro für beide Kandidaturen in Leipzig, also für Nina Treu und mich zur Verfügung“ gestellt, so Pellmann. Macht 25.000 Euro für Pellmann. Ähnlich wie offenbar 2017 Thomas Feist, hat Pellmann jedoch Geld zurückgelegt und setzt von seinen Einkünften aus den vier Jahren Bundestagsarbeit 30.000 Euro ein.
Offenkundig hat der Linke also rund 600 Euro der rund 10.000 Euro an Diäten monatlich bereitgelegt, weil er sein Mandat verteidigen will und darüber hinaus „etwa 160 Kleinspender“ aufgetan hat, die seinen Wahlkampf unterstützen. Hinzu kommt, dass Pellmann keine Werbeagentur beauftragt, die Gestaltungen von Plakaten und Werbematerialien seien „ehrenamtlich erfolgt“, bestätigt Linken-Stadtvorstand Adam Bednarsky auf LZ-Nachfrage.
Bleibt also statt einer etwas dubiosen Spiegel-Suche nach alten Stasiseilschaften, SED-Vermögen oder Geldern aus Russland eher die Frage, wann oder besser auf welcher Höhe das Wettrüsten bei parlamentarischen Wahlen endet. 2021 wurden für Sören Pellmann und ein Bundestagsmandat immerhin 55.000 Euro eingesetzt, während die Bundestagsfraktion der Linken ab Mai 28.000 Euro in Leipzig investierte, um die Arbeit Pellmanns und weiterer Abgeordneter in Berlin positiv darzustellen.
Sehr viel Geld, ein weiterer Schritt in Richtung einer gewissen Amerikanisierung von Wahlkämpfen und eine durchaus schwierige Entwicklung, die längst auch Landtagswahlkämpfe erfasst hat.
Die Frage also, ob parlamentarische Mandate zunehmend eine Frage des Geldbeutels werden. Und wie dieser gefüllt wird, kann man unter anderem in der Liste der Großspender vergangener Jahre auf Bundesebene nachlesen.
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