Ein so bekanntes Maueropfer wie den jungen Berliner Peter Fechter hat Leipzig zwar nicht. Aber trotzdem wird dieser damals 18-Jährige als eines der bekanntesten Opfer der Berliner Mauer auch in der Leipziger Erinnerungskultur für „Die Opfer der deutschen Teilung nicht vergessen – Für Einigkeit und Recht und Freiheit“ eine Rolle spielen. So hatte CDU-Stadtrat Michael Weickert seinen Antrag genannt, mit dem dieses Thema in Leipzig stärker Berücksichtigung finden soll.
Übrigens ein völlig unstrittiges Thema, wobei man durchaus erwartet haben könnte, dass es dabei in der Ratsversammlung kontrovers zugehen würde. Aber auch die Linksfraktion ist schon längst nicht mehr das, was die AfD-Fraktion immer wieder ins Feld führt. Der Einwurf von AfD-Stadtrat Siegbert Droese hatte dann auch gar nichts mit dem Thema zu tun und auch nichts mit dem CDU-Antrag. Worauf ihn dann auch Linke-Stadtrat Marco Götze hinwies – mit der Betonung, dass sich die heutige Linksfraktion sehr wohl für Demokratie und Freiheit einsetze, während die Erinnerungskultur der AfD durchaus anderes vermuten lässt.
Weitere Option: Grenzopfer mit Leipzig-Bezug
Natürlich blieb es nicht so bierernst, dafür sorgte schon CDU-Stadtrat Michael Weickert, der den Antrag einbrachte und der besonders an Peter Fechter erinnerte.
„Darüber hinaus sollten auch einzelne Opfer des Grenzregimes nicht in Vergessenheit geraten. Stellvertretend hierfür steht die Ermordung Peter Fechters, die sich 2022 zum 60. Mal jährt. Symbolhaft für viele junge Menschen, die ihre Hoffnungen auf Freiheit und Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland erfüllt sehen wollten, eignet sich dieser traurige Jahrestag als Mahnmal der Erinnerung zur Benennung einer Straße oder eines anderen öffentlichen Ortes in Leipzig“, hatte er im Antrag formuliert.
„Eine gleichwertige Alternative wäre die Benennung nach einem Grenzopfer mit Leipzig-Bezug. Wir denken, dass es in Leipzig genügend externen historischen Sachverstand gibt, um die Verwaltung bei entsprechenden Recherchen zu unterstützen. – Wir bevorzugen dabei die Benennung einer bisher namenlosen öffentlichen Fläche. Die Benennung des Ringgrünes, das sich entlang des ehemaligen Stasigeländes zieht, hätte eine besonders symbolträchtige Wirkung und würde auch gut zu den Planungen für den Matthäikirchhof passen.“
Jedes Jahr ein Symposium ist nicht zu stemmen
Das hatte dann freilich das Kulturamt, das die Stellungnahme für die Stadt verfasste, nicht so übernommen – auch weil ein jährliches Symposium die Kräfte und Mittel des Stadtgeschichtlichen Museums deutlich übersteigen würde.
„Die jährliche Ausrichtung eines repräsentativen wissenschaftlichen Symposiums zu diesem Thema übersteigt allerdings sowohl die Möglichkeiten des Museums wie der Stadtverwaltung insgesamt; eine solche Neuausrichtung würde es zudem mit sich bringen, den zurecht auf eine Auseinandersetzung mit der gesamten Stadtgeschichte Leipzigs ausgerichteten Themenfokus von SGM und Stadtarchiv weitestgehend auf DDR-Geschichte zuzuspitzen, was auch zulasten anderer gegenwärtig breit diskutierter erinnerungskultureller Themen ginge“, hatte es formuliert.
Sodass sich die tatsächliche Debatte vor allem darum drehte, in welchem Rahmen die Stadt diesen Teil der Erinnerungspolitik wahrnehmen könnte. Michael Weickert schlug selbst vor, statt eines jährlichen Symposiums einen fünfjährigen Rhythmus zu übernehmen.
Auf Wunsch von Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Linke) wurde daraus freilich ein Prüfauftrag. Denn natürlich macht es Sinn, das Thema einzuordnen in das erinnerungspolitische Konzept der Stadt (auf das einige Stadträte freilich schon seit zwei Jahren sehnsüchtig warten) und in die Themenjahre der Stadt. Besonders sinnvoll wäre ja sogar, gerade in den Jahren, wenn sich der Mauerbau 1961 rundet, dieses Thema ganz besonders in den Fokus zu rücken.
Einhellige Zustimmung und ein Forschungsdefizit
Mit diesen Änderungsvorschlägen – und der Streichung des 2. Satzes – wurde dann der Verwaltungsvorschlag zur Abstimmung gestellt, der übrigens nicht nur das Stadtgeschichtliche Museum in die Pflicht nehmen will, sondern auch weitere kompetente Partner, wie man dort lesen kann: „Das Thema Opfer der deutschen Teilung ist von nationaler Tragweite und auch für Leipzig von großer Relevanz, sollte jedoch aufgrund des Umgangs mit kontroversen zeitgeschichtlichen Biografien sensibel und multiperspektivisch behandeln werden, um die gewünschten Erträge für die Demokratiebildung der Stadtgesellschaft zu ermöglichen.
Ein zentraler Partner hierfür ist das Zeitgeschichtliche Forum mit seinem Themenfokus auf deutsch-deutscher Geschichte. Das Stadtgeschichtliche Museum beteiligt sich in Form von Räumlichkeiten, Führungs- und Vermittlungsformaten. Die Stadtverwaltung unterbreitet einen Vorschlag zur namentlichen Würdigung eines Opfers der deutschen Teilung mit Leipziger Herkunft.“
Denn so richtig erforscht ist die Betroffenheit von Leipziger/-innen, die bei versuchten Grenzübertritten in der DDR oder anderen Ländern des Ostblocks zu Tode kamen, bisher nicht. Da wird bestimmt noch eine Menge Recherche-Arbeit nötig sein, auch wenn das Thema generell in Leipzig auch schon vom Theodor-Litt-Symposium und von der Hinrich-Lehmann-Grube-Stiftung vertreten wird, wie Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke anmerkte.
Das Ergebnis war dann etwas, was man nach der Diskussion in dieser Deutlichkeit dann doch nicht erwartet hatte: die komplette Zustimmung aller 62 an der Abstimmung teilnehmenden Stadträt/-innen und des OBM.
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