Am 18. Mai stand auch der Antrag „Beendigung der protokollarischen Zusammenarbeit mit dem russischen Generalkonsulat und Stärkung des kulturellen und friedlichen Austauschs mit russischen und ukrainischen Menschen in Leipzig“ auf der Tagesordnung der Ratsversammlung. Eigentlich ein echter „Durchläufer“, sollte man meinen, nachdem in der Sitzung des Verwaltungsausschusses am 4. Mai schon eine schnelle Mehrheit beisammen war.
Die Ukraine verteidigt auch unsere freiheitliche Lebensart
Aber gerade diese Eile hat dann doch einige Stadträt/-innen irritiert und dazu gebracht, die antragstellenden Fraktionen von SPD und CDU dringend zu Änderungen aufzufordern. Denn was in der Hitze des Gefechts gut gemeint war, erweist sich schon mit wenigen Wochen Abstand als sehr unsensibel.
Auch wenn Michael Weickert in seiner sehr emotionalen Rede wohl vielen Leipziger/-innen aus der Seele sprach. Denn zur Vorgeschichte des Antrags gehört natürlich auch die ebenso eindrucksvolle Rede von Kiews Oberbürgermeister Vitali Klitschko in der Live-Schalte zur Ratsversammlung am 13. April.
Worin er natürlich benannte, was in der reinen Kriegsberichterstattung oft genug untergeht: dass die Ukrainer eben nicht nur sich selbst, ihr Land und ihre Freiheit verteidigen, sondern auch unsere Freiheit und Lebensart. Denn dass Putin gerade jetzt die Ukraine überfiel, hat vor allem damit zu tun, dass die Ukrainer den Weg Richtung Demokratie und Selbstbestimmung gewählt haben.
Unbedingt das Gespräch mit den in Leipzig lebenden Russen und Ukrainern suchen
Was natürlich eben nicht bedeuten kann, dass nun ausgerechnet die in Leipzig lebenden Menschen, die aus der Russischen Föderation gekommen sind, diskriminiert und ausgrenzt werden. Weshalb es einige entscheidende Veränderungen im neu gefassten Antrag und einen wichtigen Änderungsantrag aus der Linksfraktion – und zwar von Stadträtin Dr. Olga Naumov – gab, die in ihrer Rede sehr kompetent davon sprach, wie sehr der Krieg auch jetzt schon für Konflikte in Leipzig sorgt, Konflikte, die genau das beeinträchtigen, was Leipzig als weltoffene und tolerante Stadt auszeichnet.
Aber da ausgerechnet AfD-Stadtrat Siegbert Droese den russischen Generalkonsul als möglichen Kritiker der Putinschen Politik ins Gespräch brachte und irgendjemand aus der Fraktion gar noch den Namen Stauffenberg in den Raum warf, sah sich Burkhard Jung gezwungen, etwas mehr zu erzählen über die Vorgeschichte des Abbruchs aller protokollarischen Beziehungen zum Russischen Generalkonsulat, der nicht erst im April oder Mai erfolgte, wie er berichtet, sondern gleich nach seiner ersten Kontaktaufnahme zum amtierenden Generalkonsul einen Tag nach Kriegsbeginn am 25. Februar.
Und da erlebte er wohl einen Konsul, der 1:1 die Position des russischen Präsidenten vertrat und dabei offenbar auch höchst emotional wurde. Mit dem Ergebnis, dass Jung umgehend den Abbruch jeglicher protokollarischer Beziehungen zu diesem Konsul anwies.
Womit dann im Grunde die wesentlichen Punkte aus dem Antrag von SPD- und CDU-Fraktion schon abgegolten waren. Aber dass es hier auch um ein Zeichen ging, das zu setzen wäre, das machten die meisten Redner/-innen in dieser durchaus erhellenden halben Stunde deutlich.
Lokale Diplomatie und Brückenbauer
Und dass die Umformulierung des dritten Antragspunktes dabei sogar das Wichtigste war, erst recht. Denn gerade jetzt gehe es nicht nur um das Gespräch zwischen Russen und Ukrainern, sondern in Leipzig vor allem um den Trialog. Der schwer genug ist. Denn natürlich feuert der Krieg mit all seinen Berichten und Einschätzungen auch die Stimmung in der russischen wie der ukrainischen Diaspora an.
Da braucht es Brückenbauer und die Leipziger Zivilgesellschaft ist als aktiver Part dringend gefragt, diesen Trialog mit Leben zu erfüllen. „Lokale Diplomatie“, nannte es Jung. Denn natürlich sind die in Leipzig lebenden Menschen mit Herkunft aus Russland oder der Ukraine nicht verantwortlich für den Krieg. Die meisten fühlen sich als Teil der Stadtgesellschaft und leben gerade deshalb hier, weil sie Mitbestimmung, Demokratie und Freiheit leben können.
Es geht also im Wesentlichen darum, gerade den von SPD- und CDU-Fraktion gründlich überarbeiteten Punkt 3 aus ihrem Antrag mit Leben zu erfüllen: „Die Stadt Leipzig stellt mindestens 50.000 Euro aus dem Gesamtbudget als Projektfördermittel insbesondere für Initiativen zur Verfügung, die sich für den gegenseitigen kulturellen und friedlichen Austausch vor allem von russischen und ukrainischen, aber auch osteuropäischen Menschen in Leipzig einsetzen. Dabei ist ein Schwerpunkt darauf zu legen, Ressentiments und Diskriminierungen gegenüber russischsprachigen Menschen in der Leipziger Gesamtbevölkerung entgegenzuwirken.“
Es braucht mehr Information
Man merkt dem neu gefassten Antrag durchaus an, dass sich hier nach der vielleicht voreiligen Beschlussfassung im Ausschuss einige Stadträt/-innen noch einmal zusammengesetzt haben und die Bedenken auch aus anderen Fraktionen aufgenommen haben.
Und mit dem übernommenen Änderungsantrag von Olga Naumov wurde die Sache noch konkreter. Der lautet: „Die Stadt Leipzig lässt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Slawistik eine Informationsbroschüre zur russisch- und ukrainischsprachigen Diaspora (einschließlich aller Migrantinnen und Migranten aus der ehem. Sowjetunion bzw. GUS-Staaten) in der Region erarbeiten, die als Hilfestellung für die weitere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Vereine oder Initiativen in Leipzig in diesem Kontext erscheint und dienen soll.“
Denn die Entwicklung der letzten Monate hat eben auch gezeigt, wie wenig Kenntnis die Leipziger Öffentlichkeit von der russischen und der ukrainischen Diaspora in Leipzig hat und wie schnell deshalb – auch von Medien befeuerte – Vorurteile greifen, die in der Regel die Falschen treffen und Streit und Verletzungen da erzeugen, wo man eigentlich zeigen kann, dass friedliches Miteinander das ist, was wirklich Zukunft hat.
Nachdem dann der Vorstoß der AfD-Fraktion gescheitert war, den neu gefassten Antrag von SPD und CDU auszuhebeln, indem nur noch Olga Naumovs Antrag stehen bleiben sollte (abgelehnt mit 10:52 Stimmen), gab es dann eine deutliche Zustimmung zum neuerlichen Antrag, in den auch der Änderungsantrag von OIga Naumov integriert war. Ergebnis: 49:1:9 Stimmen.
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