Zu den zusätzlichen Themen, die den Leipziger Stadtrat seit einigen Jahren beschäftigen, gehört auch die Verringerung des Müllaufkommens. Dass das auch etwas mit Klimaschutz zu tun hat, hat zumindest eine Fraktion in der Ratsversammlung nicht begriffen und am Sprecherpult am 19. Mai – wie es Michael Neuhaus formulierte – „Müll produziert“. Und eine andere Fraktion bewies, dass sie kein Englisch beherrscht. Denn „Zero Waste“ bedeutet nun einmal nicht „Null Abfall“.
Und da das alles im Videostream aufgezeichnet ist, dürfen sich die Angesprochenen daheim jetzt kriegeln vor Scham. Sorry: kringeln.
Denn wie wenig AfD-Stadtrat Christian Kriegel verstanden hat von der Rolle des täglichen Konsums und der riesigen Abfallberge, die auch die Leipziger jedes Jahr produzieren, im Rahmen der Klimaerhitzung, ist in seiner Rede gut zu hören.
Externalisierte Klimazerstörung
Die Klimabelastung durch unseren Abfall entsteht eben nicht erst beim Entsorgen oder Verbrennen. Sie passiert schon vorher. Was übrigens jeder, der mag, nachlesen kann im Abschlussbericht 2019/2020 der „Europäischen Energie- und Klimaschutzkommune“ Leipzig, wo nicht nur bilanziert wird, welchen CO₂-Ausstoß die Einwohner der Stadt jedes Jahr nach den Daten erzeugen, die der Stadt selbst vorliegen.
Denn die Leipziger CO₂-Bilanz erfasst leider nur 51 Prozent des CO₂-Aufkommens pro Kopf. 49 Prozent werden nicht erfasst, weil sie nicht im Stadtgebiet erzeugt werden.
Und dazu gehört – mit 1,69 Tonnen pro Kopf – die Ernährung. Und – noch viel extremer – mit 3,79 Tonnen der Konsum. Wobei es viele Leipziger/-innen geben wird, die mit ihrem Konsum deutlich unter 1 Tonne bleiben, weil sie sparsam haushalten, ihre Besitztümer pflegen und lieber reparieren, als in gedankenloser Konsumfreude immer neue Pakete bei irgendeinem Online-Lieferanten zu bestellen, deren Inhalte dann binnen kurzer Zeit wieder weggeschmissen werden.
3,79 Tonnen bedeuten nun einmal, dass auch viele Leipziger mit ihrem Konsumverhalten noch viel mehr CO₂ verursachen, auch wenn die Emissionen dann irgendwo in China oder Bangladesch passieren. Dieser Teil der Klimazerstörung ist externalisiert, wie es Stephan Lessenich bezeichnet.
Wie übersetzt man „Zero Waste“?
Nein, es geht nicht mehr nur um das harmlose Wort „Abfallvermeidung“, mit dem die CDU-Fraktion den Begriff „Zero Waste“ in der Vorlage der Stadt gern ersetzt haben wollte.
„Wörtlich übersetzt heißt ‚Zero Waste‘ so viel wie ‚Null Abfall‘“, hatte die CDU-Faktion in ihrem Änderungsantrag formuliert. „Eigentlich ist dies schon irreführend, es wird immer ein gewisses Maß an Abfällen geben. Natürlich sollten wir alle Anstrengungen unternehmen, um das Abfallaufkommen stetig weiter zu senken, aber wir sollten uns nicht illusionären Visionen einer abfallfreien Welt hingeben.“
Doch „Zero Waste“, wie eine übrigens sehr internationale Initiative heißt, an der sich immer mehr Kommunen beteiligen, heißt nicht „Null Abfall“, sondern „Keine Verluste“ oder – wie es Linke-Stadtrat Michael Neuhaus für sich übersetzt: „Keine Verschwendung“.
Der übrigens mit Freude die lebendigste Rede zu diesem Thema an diesem Tag hielt. Denn er hatte sichtlich seine Freude daran, dem Publikum zu erklären, dass die Abfallwirtschaft in Deutschland auch (nur) ein Markt ist, auf dem Profitinteressen regieren.
Und diese privaten Akteure haben nun unübersehbar kein Interesse daran, die wertvollen Abfallstoffe, die auch die Leipziger/-innen fleißig trennen und in die Tonnen stopfen, zu recyclen und wieder in die Wirtschaftskreisläufe einzuspeisen, wenn sie damit keine Profite machen.
Sonst hätten wir nämlich all die Auswirkungen nicht, die Michael Billig in seinem Buch „Schwarz. Rot. Müll“ beschrieben hat. Denn ein großer Teil des Mülls wird noch immer illegal irgendwo deponiert, er wird verbrannt oder irgendwohin exportiert, wo er wieder aus unseren Augen verschwindet. Externalisiert. Womit auch die wertvollen Bestandteile wieder verschwinden und unsere Ressourcenprobleme wachsen.
Es geht um ein völlig anderes Konsumverhalten
Es geht bei „Zero Waste“ eben nicht nur darum, dass mal wieder ein paar Gutwillige bereit sind, ein bisschen weniger Müll zu produzieren, auch wenn ein zentrales Ziel der noch zu erarbeitenden „Zero Waste“-Strategie der Stadt Leipzig darin bestehen soll, das jährliche Restmüllaufkommen von 139 Kilogramm pro Kopf auf 125 Kilogramm zu senken.
Die Leipziger/-innen also durch intensive Bürgerbeteiligung dazu zu bringen, weniger und bewusster zu konsumieren und damit weniger Müll zu verursachen.
Oder mit den Worten der Vorlage: „Um die Auswirkungen des Klimawandels zu begrenzen, gilt es, den Kohlendioxid-(CO₂)- Ausstoß weiter zu reduzieren. Jede Maßnahme, die dazu beiträgt, hilft dem Klimaschutz. Hier sind nicht nur direkt CO₂-mindernde Maßnahmen wichtig. Beinah jeder Lebensbereich hat eine CO₂-Relevanz und kann daher auch indirekt zum Klimaschutz beitragen. Solche CO₂-Einsparungspotentiale bestehen auch in der Abfallwirtschaft, die bereits als direkte Maßnahme mit der Dekarbonisierung des erforderlichen Fuhrparks umgesetzt werden. Zusätzlich können mit Maßnahmen der Abfallvermeidung CO₂-Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette reduziert werden.“
Was augenscheinlich vielen älteren Herren bis heute nicht klar ist: In jedem einzelnen Produkt, das sie kaufen, steckt schon ein CO₂-Rucksack. Jedes konsumierte Produkt belastet unsere Atmosphäre mit zusätzlichem CO₂.
Weshalb eine „Zero Waste“-Strategie auch viele andere Maßnahmen einschließen muss.
Die jetzt aber erst einmal in verschiedenen Arbeitsgruppen erarbeitet werden sollen, damit daraus erst einmal ein schlüssiges „Zero Waste“-Konzept werden kann. Dazu gehört die Erhöhung der Recycling-Quote bei allen eingesammelten Wertstoffen genauso wie die Schaffung städtischer Kreisläufe – man denke an Second-Hand-Läden, Verleihsysteme für technische Geräte, viel mehr Reparaturangebote für alle Produkte, deren Lebensdauer man durch Reparatur problemlos verlängern kann, usw.
Kann man das Restmüllaufkommen bis 2035 halbieren?
Der Änderungsantrag der Grünen, der einiges in der Verwaltungsvorlage noch zuspitzte, geriet freilich auch in die Diskussion, aber nicht so sehr seines Anliegens wegen, die Sache noch zu forcieren. Das kann man machen – aber man kann es nicht einfach so beschließen –, etwa die Senkung des Pro-Kopf-Restmüllaufkommens von 139 auf 70 Kilogramm bis 2035.
Denn das ist – anders als man denkt – keine „Stellschraube“. Wenn diese Zahl herauskommt, weil solche wie die oben genannten Maßnahmen greifen, vielleicht sogar flankiert durch einen Gesetzgeber, der die CO₂-Last aller Produkte auch in den Ladenpreis einpreist, dann kann es passieren, dass Leipzig das tatsächlich schafft.
Aber man kann den Leuten nicht einfach sagen: Du musst jetzt dein Müllaufkommen halbieren. Das klappt nicht. Vorher braucht es funktionierende Angebote und Kreisläufe, die es den Leipziger/-innen leicht machen, ihr Konsumverhalten zu ändern.
Ein Begriff, den Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal ins Zentrum seiner Rede gestellt hatte. Denn genau darum geht es. Und genau darum wehren sich einige Fraktionen vehement gegen jeden Klimaschutzvorstoß.
Wir alle müssen als Verbraucher umlernen – und verstehen lernen, dass der gedankenlose Konsum mit seiner riesigen Abfallproduktion eine Katastrophe ist. Für das Klima genauso wie für die Umwelt und für die Resourcenverfügbarkeit.
Bis 2025 soll das „Zero Waste“-Konzept stehen
Es ist also auch noch kein fertiges Konzept, das der Stadtrat da am 19. Mai beschlossen hat, sondern erst der Beschluss, eine solche Konzeption bis 2025 zu erarbeiten. Mit den Bürgern zusammen übrigens. Wobei den Grünen das Jahr 2025 viel zu weit weg war. Sie hätten gern das Jahr 2024 da stehen gehabt. Denn auch beim Müll sind wir um viele Jahre hinterher. Über funktionierende Kreisläufe wurde schon vor 20 Jahren diskutiert.
Aber wir haben sie bis heute nicht. Die Müllberge sind immer weiter gewachsen. Und erst so langsam setzt sich auch in der Wirtschaft das Wissen durch, dass jedes weggeschmissene Produkt auch verlorene Rohstoffe bedeutet, die immer wertvoller werden, je mehr die international verfügbaren Rohstoffquellen ausgebeutet sind.
Die beiden Punkte aus ihrem Antrag, in denen das stand, haben die Grünen dann freilich zurückgezogen und nur als Protokollnotiz vermerken lassen.
Nur zwei ihrer Punkte stellten sie tatsächlich zum Beschluss. Das waren die Punkte zu mehr Personalstellen für „Zero Waste“ und für ein unabhängiges Begleitgremium, sodass auch Expertise von außerhalb einfließen kann.
Sie lauten:
„Kapitel V. A, Punkt 2, Absatz 1 (S. 8) wird wie folgt ergänzt: Seitens der Stadtverwaltung bzw. des Eigenbetriebs Stadtreinigung werden hierzu mindestens 3 zusätzliche Stellen zur Organisation, inhaltlicher Bearbeitung und Öffentlichkeitsarbeit bereitgestellt.
Kapitel V. B, erster Absatz (S. 10) wird wie folgt ergänzt: Für die Beratung und Prüfung bei der zu erarbeitenden Konzeption wird eine unabhängige fachliche Begleitung durch eine geeignete wissenschaftliche Institution beauftragt. Die weitere Planung und Durchführung der Bürgerbeteiligung wird mit dem Forum Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement abgestimmt.“
Diese beiden Punkte bekamen übrigens mit 32:17:2 Stimmen eine klare Zustimmung. Genauso wie sie die Vorlage der Stadtverwaltung mit 34:17:1 Stimmen bekam.
Während der Umformulierungswunsch der CDU-Fraktion mit 16:26:9 Stimmen abgelehnt wurde.
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