Wie entschärft man ein Thema? Man beruft eine Kommission ein. Da wird es erstens entpolitisiert und zweitens – da notwendig einmütig – auch noch einmal hübsch eingeordnet. Und zur Verblüffung aller stellt so eine Kommission dann am Ende fest, dass man „die historischen Umstände sowie die ideellen und politischen Gegebenheiten der damaligen Zeit“ berücksichtigen müsse. Was dann schon mal zu einem Freispruch für den „Franzosenfresser“ Ernst Moritz Arndt & Co. in Leipzig wird.
Stadtverwaltung: „Zeitumstände“ sowie „ideelle und politische Gegebenheiten“ einbeziehen
Zumindest klingt das so, wenn Leipzigs Stadtverwaltung jetzt meldet: „Die wissenschaftliche Beratungskommission zur Straßenbenennung hat empfohlen, dass die Arndtstraße, die Jahnallee sowie die Ernst-Pinkert-Straße in Leipzig ihren Namen weiter führen sollten. In drei ausführlichen Gutachten hatten sich die Expertinnen und Experten jeweils mit der historischen Bedeutung der Persönlichkeiten Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Pinkert befasst und sie einer kritischen Würdigung unterzogen.
Dabei ging es beispielsweise um die antifranzösischen und antijüdischen Texte Arndts, die Vereinnahmung Jahns durch die Nationalsozialisten sowie die Völkerschauen, die Pinkert im Zoo Leipzig initiierte. Diese Aspekte wurden bewertet, zugleich jedoch die historischen Umstände sowie die ideellen und politischen Gegebenheiten der damaligen Zeit berücksichtigt. Die entsprechenden Gutachten der Kommission hat die Stadtspitze jetzt erhalten.“
In der Dienstberatung des Oberbürgermeisters hat man darüber geredet und dieses Fazit aus den drei Gutachten gezogen.
Straßenbenennung als politisches Zeichen der Vergangenheit
Was eigentlich zu erwarten war, denn die Kommission ist nun einmal genau so zusammengesetzt, wie man eine Kommission zusammensetzt, die jene Haltung der Stadt bestätigen soll, wonach Straßenbezeichnungen das „Stadtgedächtnis“ darstellen.
Ganz so, als wären die Straßenbenennungen eine Art städtisches Geschichtsbuch und nicht die politischen Zeichensetzungen vergangener Stadtregierungen.
Natürlich standen die Namen der drei Erwähnten vorher nie zur Debatte. Zurückliegende Zeitepochen hatten damit kein Problem. Auch, weil sie sich allesamt nie um den offenen und versteckten Rassismus und Kolonialismus kümmerten.
Das tun erst heute engagierte Gruppen, die aber in der Kommission nicht vertreten sind.
Kommission soll klares Votum formulieren
Der Kommission gehören als ständige Mitglieder an: Prof. Dr. Rose Marie Beck, Professorin für Afrikanistik am Institut für Afrikastudien der Universität Leipzig, der Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, Dr. Anselm Hartinger, Professor Dr. Manfred Hettling, der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Neuere und Neueste Geschichte lehrt sowie Professor Dr. Dirk van Laak, der in Leipzig den Lehrstuhl für Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts innehat.
Dr. Katarina Ristic, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Global and European Studies Institiute der Universität Leipzig, der Direktor des Leipziger Stadtarchivs, Dr. Michael Ruprecht, sowie Prof. Dr. Susanne Schötz, die Inhaberin der Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte am Institut für Geschichte der Technischen Universität Dresden, vervollständigen die Runde.
Die Kommissionsmitglieder treffen sich etwa viermal pro Jahr, sie arbeiten ehrenamtlich und sind damit nicht weisungsgebunden. Die Mitglieder sollen in ihren Stellungnahmen möglichst ein klares Votum formulieren.
Entscheidende Frage wurde nicht beantwortet
So hat es die Ratsversammlung im vergangenen Jahr beschlossen. Die Kommission soll den Rat und die verwaltungsinterne AG Straßennamen beraten. Hierbei geht es insbesondere darum, Namen von Straßen und Plätzen hinsichtlich ihrer kolonialen Vergangenheit sowie mit Blick auf mögliche Diskriminierung zu bewerten. Der erste Prüfauftrag umfasste die drei benannten Straßen.
Womit die Frage eigentlich wieder so steht, wie sie zu Anfang der Debatte stand: Bleiben die Namen auf den Straßenschildern stehen, weil sie im Rahmen ihrer Zeit zu akzeptieren sind? Oder hat die Gegenwart das Recht, damals akzeptierte (aber nicht unbedingt akzeptable) Haltungen für nicht akzeptabel zu erklären und die Namen auszutauschen? Die Antwort auf diese Frage wurde wieder vermieden.
Es gibt 3 Kommentare
Wo soll das alles hinführen? Wer hier der Meinung ist, daß man alle paar Jahre mal eben die Straßennahmen ändert, der oder die hat echt nicht richtig überlegt. Jede Änderung eines Straßennamen ist für die Anwohner wie ein Umzug, d.h. alle Dokumente (Ausweis, Versicherungen, Banken, …) müssen auf eigene Kosten geändert werden. Wer will sowas? Heute sind es die Straßennamen und morgen sind Fabeln und Märchen drann.
Ganz ehrlich, wen interessiert die Geschichte von Straßennamen? Ich selber kenne das nur aus der Schule und da war es eine Aufgabe und kein eigenes Interesse. Das Thema wird künslich aufgeblasen. Eventuell sollten Straßennamen nur noch Vornamen oder Ortsnamen sein, dann muß sich keiner mehr damit beschäftigen.
bei uns in karlsruhe gibt es natuerlich aehnliche probleme. kleine zusatzschilder erlaeutern die umstaende der namensgabe und setzen so vieles in ein relativierendes umfeld. das dient geschichtsbewusstem denken ohne zu verbieten.
Schön, da hat man wieder ein paar Leute beschäftigt. Diese ganzen verkopften Diskussionen
Gibt es eine Mehrheit im Stadtrat, die für die Umbenennung ist? Dann umbenennen.
Ansonsten belassen. Kann man alle x Jahre wiederholen und gut.
Es könnte so einfach sein. Schließlich sind es nur Straßennamen. Klar, man kann alles aufblasen und Politikum machen.