Bislang hatte Leipzig ja auch kein so besonders engagiertes Ziel, wann die Stadt die Klimaneutralität erreichen wollte. 2014 hatte die Stadt mit dem Energie- und Klimaschutzprogramm das Jahr 2050 als Zieljahr definiert. Ein Jahr, das geradezu absonderlich wirkt, wenn man den Abschlussbericht der Europäische Energie- und Klimaschutzkommune für 2019/2020 liest. Denn danach hat Leipzig sein Budget schon 2026 verbraucht.
„Die gesamte, in Leipzig freigesetzte Menge an Treibhausgasen betrug im Jahr 2018 rund 3,4 Millionen Tonnen (Abb. 2). Gegenüber 2011 erhöhte sich der Wert trotz eines warmen Winters um 4 %. Leipzig ist in diesem Zeitraum stark gewachsen, um etwa 15 %. Auf alle in Leipzig wohnenden Personen kommen nach dieser Bilanzierung im Jahr 2018 pro Kopf 5,77 t der klimaschädlichen Treibhausgase. Das sind 10 % weniger, als noch 2011. Die klimapolitische Zielstellung aus dem Jahr 2014, einer Reduktion um 10 % alle 5 Jahre, wird jedoch verfehlt“, kann man in diesem Bericht lesen, den das Umweltdezernat gerade vorgestellt hat. Tatsächlich letztes Berichtsjahr ist das Jahr 2018.
Weiter stellt der Bericht fest: „Aktuellste wissenschaftliche Studien zeigen auf, wie viel Treibhausgas die Atmosphäre noch aufnehmen kann. Der Leipziger Anteil von 32 Millionen t passt umgerechnet in den unten abgebildeten Eimer. Seit 2016, dem Jahr nach Abschluss des Pariser Klimaschutzabkommens, füllt sich dieser jährlich mit ca. 3,4 Millionen t. Bereits ein Drittel ist voll.“
„Geht man davon aus, dass sich an dieser Entwicklung in den Jahren 2019 und 2020 nichts geändert hat, ist der Eimer schon halb voll. Wenn der Verbrauch in den nächsten Jahren nicht sinkt, ist dieser bereits 2026 randvoll. Jeder weitere Treibhausgasausstoß würde ihn zum Überlaufen bringen. Die Abbildung unten rechts zeigt, durch welche Energieträger besonders viele Treibhausgase in Leipzig verursacht werden. Dort liegen die größten Hebel für eine Veränderung.“
Der Eimer läuft bald über
Die Grafik dürfte auch in der Verwaltung selbst einige Furore gemacht haben, denn sie zeigt ziemlich deutlich, dass sich Leipzig 2014 viel zu geringe Ziele gesetzt hat, um klimaneutral zu werden. Und dass das Zieljahr 2050 überhaupt keinen Sinn ergibt, wenn Leipzig einen relevanten Beitrag zur Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels leisten will.
Die Ratsversammlung wusste das schon ein paar Jahre früher und hat ja 2019 den Antrag aus dem Jugendparlament zum Beschluss gemacht und für Leipzig den Klimanotstand ausgerufen.
Und nichts anderes erzählt ja der Eimer: Dass es im alten Trott einfach nicht geht. Am Samstag, 30. April, machte Simone Ariane Pflaum, Leiterin des Referats Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz der Stadt, zur Einweihung der Warming Stripes auf der Sachsenbrücke schon mal klar, dass das Jahr 2050 für die Klimapolitik der Stadt keine Rolle mehr spielt, dass jetzt ernsthaft daran gearbeitet werden soll, die Klimaneutralität bis 2030 zu schaffen.
Dass das sogar eine Verpflichtung ist, ist seit Freitag, 29. April, klar, als Leipzig es in die Runde der 100 europäischen Städte schaffte, die gemeinsam die Klimaneutralität bis 2030 erreichen wollen – mit Unterstützung der EU.
Rückfallvariante 2035?
Dass das mit dem Jahr 2050 schlicht nicht mehr geht, hatte auch einer der eifrigsten Petitions-Schreiber der Stadt so gesehen, Dieter Krause. Er hatte eine Petition geschrieben, in der er „die Einleitung einer Debatte bzw. die Erstellung eines Konzeptes zu einer Klimaneutralität der Stadt Leipzig bis zum Jahr 2035“ forderte.
Da konnte er noch nicht ahnen, dass er diesmal offene Türen einrannte, denn das Referat Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz stellt zur Petition nun fest, dass die Verwaltung tatsächlich daran arbeitet, das Ziel 2030 ins neue Klimaschutzprogramm hineinzuschreiben.
„Seitens der Verwaltung wird darauf verwiesen, dass die Klimaneutralität der Stadt Leipzig erklärtes Ziel entsprechend der Ausrufung des Klimanotstandes vom 30.10.2019 ist. Das aktuell bestehende Zieljahr 2050 muss vor dem Hintergrund des Urteils des BVerG vom 29.04.2021 und der Anpassung der Ziele der Bundesregierung neu bewertet werden. Dies wird im Rahmen der Beschlussfassung zum Energie- und Klimaschutzprogramm 2030 (EKSP 2030) erfolgen“, kündigt das Klimareferat an.
Nur muss das ganze Papier natürlich neu geschrieben werden. Eine simple Fortschreibung des windelweichen Papiers von 2014 (dessen Ziele ja noch dazu völlig verfehlt wurden), wird nicht mehr funktionieren.
„Die Erarbeitung einer Klimaneutralitätsstrategie ist als Maßnahme im EKSP 2030 (Energie- und Klimaschutzprogramm, d. Red.) zur Umsetzung in den Jahren 2023/2024 vorgesehen. Ziel ist, im Rahmen einer Beauftragung zur Erstellung einer Klimaneutralitätsstrategie, den möglichen Weg ab 2030 bis zur Klimaneutralität zu analysieren. Aufgrund des begrenzten CO₂-Restbudgets ist eine drastische Senkung der CO₂-Emissionen in den kommenden Jahren erforderlich. Es ist deshalb absehbar, dass auch die Erreichung der Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 als ein mögliches Szenario in die Betrachtung aufgenommen werden kann.“
Denn tatsächlich heißt das Zieljahr 2030, dass das CO₂-Aufkommen der Leipziger von zuletzt 5,77 Tonnen pro Kopf (2018) in den nächsten acht Jahren auf unter 2 Tonnen absinken muss.
Wobei der Umsetzungsbericht ja auch noch betont, dass ein Drittel der Emissionen in der Leipziger Statistik nicht erfasst werden, weil zum Beispiel die Nahrungsmittel- und Konsumgüterproduktion nicht auf Leipziger Stadtgebiet stattfindet. Über ihrem Konsum verursachen die Leipziger aber auch diese Emissionen.
Aber die Leipziger Stadtbilanzierung zeigt zumindest, wo die städtischen Stellschrauben sind, den CO₂-Ausstoß im Stadtgebiet deutlich zu senken.
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