Wie viel Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an ihrer eigenen Stadt ist möglich? Darüber diskutiert der Stadtrat schon seit Jahren. Sogar seit Jahrzehnten, wenn man Linke-Stadtrat Steffen Wehmann so zuhört, der am Donnerstag, 14. April, auf ähnliche Anträge der PDS-Fraktion aus früheren Zeiten verwies. Aber seitdem hat sich auch im Leipziger Stadtrat einiges verändert.

Denn das Misstrauen in die Fähigkeit der Bürger und Bürgerinnen, für ihre eigene Stadt vernünftige Vorschläge machen zu können, hat spürbar nachgelassen. Das Stichwort „Bürgerhaushalt“ ist kein Reizwort mehr, auch wenn es 2020 mit der Aufstellung des Doppelhaushalts für die Jahre 2021 und 2022 ein Novum war. Damals beschloss der Stadtrat erstmals, eigene Budgets für die Stadtbezirksbeiräte zu ermöglichen. Mit bis zu 20.000 Euro können seitdem in den Stadtbezirken kleine Projekte verwirklicht werden, die die Bewohner/-innen des Stadtbezirks selbst vorschlagen und die der gewählte Stadtbezirksbeirat dann nach Beschluss ins eigene Budget mit aufnimmt.

Vorschläge für die ganze Stadt

Aber jetzt soll es noch eine Nummer größer werden. Und es war nicht nur Lob, das Steffen Wehmann da in Richtung Finanzbürgermeister Torsten Bonew aussprach, nachdem der die Vorlage zum Bürgerhaushalt vorgestellt hatte. Es klang auch ein gehöriger Respekt an, denn gerade Bonew hat sich in den letzten Jahren deutlich auf die Ratsfraktionen zubewegt und Anliegen, die vorher eher so als ein Wunschprojekt der Linken galten, mit zunehmender Aufmerksamkeit in die eigene Planung mit aufgenommen.

Denn die Planung des Doppelhaushalts ist ja zuallererst Aufgabe des Finanzbürgermeisters. Und für gewöhnlich dürfen die Ratsfraktionen dann, wenn das dicke Papier vorgelegt wurde, eigene Änderungsanträge/Haushaltsanträge stellen, was einige Fraktionen ja auch bewusst nutzen, um im nächsten Doppelhaushalt auch ihre politischen Forderungen mit entsprechenden Budgets zu untermauern.

Aber dass die Bürger selbst Einfluss nehmen auf den Stadthaushalt, das gab es bislang noch nicht.

Und die eine Überraschung am Donnerstag war auf jeden Fall, dass alle anwesenden Stadträt/-innen der Vorlage des Finanzbürgermeisters zustimmten. Es wird also einen Bürgerhaushalt geben.

Nur knapp kam der Antrag von Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) nicht durch. Foto: Videostream der Stadt Leipzig. Screenshot: LZ

Nur eine Stimme fehlte

Die zweite Überraschung war eine, die dann ganz knapp nicht zustande kam, denn kurzerhand hatte Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) beantragt, in der Vorlage das generische Maskulinum konsequent durch das generische Femininum zu ersetzen, also stets von Leipzigerinnen zu sprechen und damit eben auch deutlich zu machen, dass etwas mehr als die Hälfte der Bürgerschaft weiblichen Geschlechts ist.

Beinah hätte es geklappt. Mit 24:25 Stimmen scheiterte der Antrag. Eine einzige Stimme hätte genügt, die Sache zu drehen.

Vorschläge werden auf dem Beteiligungsportal gesammelt

Aber wie soll nun die Bürgerbeteiligung im Haushalt passieren?

Erster Schritt: Bis zum 15. Mai dürfen alle Leipziger/-innen auf der Beteiligungsplattform der Stadt ihre Vorschläge machen. Möglichst kompetent und überlegt, denn ob sie eine Chance auf Umsetzung haben, entscheiden dann mehrere Entscheidungsrunden.

Die erste findet in der Verwaltung statt, die die Vorschläge sortiert nach Doppelung, gesellschaftlicher Relevanz und auch kritischen Inhalten. Was dieser ersten Prüfung standhält, wird dann wieder einer beschränkten Öffentlichkeit zur Abstimmung vorgelegt.

Das heißt: 15.000 Leipziger/-innen sollen repräsentativ aus dem Melderegister ausgewählt werden und dürfen online ihre Favoriten wählen, sodass man erstmals eine Rangliste der Bürgervorschläge bekommt. Diese Abstimmung soll im Juni/Juli stattfinden.

Die abgestimmten Vorschläge werden noch einmal in einer Bürgerkonferenz auf den Prüfstand gestellt. Die Ergebnisse beider Abstimmungen werden dann 50:50 gewertet. Die zehn Vorschläge, die dann an der Spitze stehen, bekommt dann der Finanzbürgermeister, um sie ab August in den neuen Doppelhaushalt 2023/2024 einzuarbeiten.

Nur drei oder doch zehn Bürgervorschläge?

An der Stelle ging es dann am 14. April etwas hin und her. Finanzbürgermeister Torsten Bonew wollte erst einmal vorsichtig sein und nur drei Vorschläge zur Übernahme zusagen. Denn natürlich muss die Stadt ja trotzdem die Finanzierung sicherstellen. Aber selbst die CDU-Fraktion war eher dafür, zehn Vorschläge zu übernehmen. Wofür sich Bonew dennoch offen zeigte.

Und natürlich bedeutet es deutlich mehr Wirksamkeit für alle Bürger/-innen, die mitmachen, wenn am Ende tatsächlich zehn Projekte im Haushalt stehen, die direkt aus der Bürgerschaft kommen. Und die dann auch umgesetzt werden. Ein gelebtes Stück Demokratie, wie auch Wehmann betonte.

Und da die Änderungsanträge von Linken und von CDU übernommen wurden, steht jetzt fest: Erstmals bekommt Leipzig einen richtigen Bürgerhaushalt. Die Beteiligungsplattform wird demnächst online gehen und jede und jeder kann jetzt richtig gute Vorschläge machen, was in den nächsten beiden Jahren finanziert werden soll.

Die Debatte vom 14. April 2022 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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