Da haben die drei Dürrejahre 2018 bis 2020 nur zu offensichtlich gemacht, wie gestresst und gefährdet das „Straßenbegleitgrün“ in Leipzig ist, wenn die nötigen Niederschläge fehlen. 2020 fasste der Stadtrat deshalb einen Beschluss, der den Umgang mit dem Straßengrün schnell und gründlich ändern sollte. Aber irgendetwas klemmt. Und es hört sich gar nicht gut an, wie die Linksfraktion jetzt erfährt.
„Am 14.10.2020 wurde auf Antrag des Jugendparlaments und dessen Zusammenarbeit mit dem Ökolöwen sowie der Fraktion Die Linke beschlossen, künftig das sogenannte Straßenbegleitgrün, also die Grünflächen im Verkehrsraum, nicht mehr bis zum Wurzelansatz runterzumähen. Stattdessen sollten diese mit geeigneten Pflanzen in blühende Oasen verwandelt werden“, ging die Linksfraktion in einer Anfrage an die Stadt auf den Kern des damaligen Beschlusses ein.
„Konkret wurde beschlossen, die ‚Standards der Stadt Leipzig für die Planung und Ausschreibung von Straßenbegleitgrün‘ zu aktualisieren und eine jährliche Zielmarke von 5 % für ökologisch zu bewirtschaftendes Straßenbegleitgrün festzusetzen. Bis 2026 soll ein Drittel des Straßenbegleitgrüns ökologisch gepflegt werden.“
Auf die damit verbundenen Fragen hat jetzt das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) geantwortet. Eine Antwort, die eigentlich ein in Worte gefasster Seufzer ist, dass man dieses Thema eigentlich auch nicht schafft zu bearbeiten. Oder drei Seufzer. Es waren ja auch drei Fragen.
Wenn grundsätzliche Daten fehlen
„In welchem Stadium befindet sich die Überarbeitung der Standards für die Planung und Ausschreibung von Straßenbegleitgrün?“, wollte die Linksfraktion wissen.
Wahrscheinlich hätte man im VTA auch gern gewusst, welche Standards das nun sind. Aber dafür ist ein anderes Amt zuständig, das leider noch nicht geliefert hat: „Die Überarbeitung der Standards erfolgt im Amt für Stadtgrün und Gewässer; hier soll in diesem Jahr, anschließend an die Abstimmung der Flächenparameter und die Grundlagen zur Art der Ausführung, die Überarbeitung der Standards erfolgen.“
Auch die Antwort auf die nächste Frage macht deutlich, dass die Stadt 2020, als im Stadtrat so heftig diskutiert wurde, überhaupt nicht wusste, welches Stück Straßenbegleitgrün eigentlich in welcher Weise gepflegt wird. Eine Stelle, die das alles erfasst, gibt es augenscheinlich nicht. Also ziehen die Mähkolonnen los, um einfach nach Schema F zu arbeiten. Hauptsache der Rasen wird kurz.
„Wie viel Prozent des Leipziger Straßenbegleitgrüns werden aktuell, wie am 14.10.2020 beschlossen, ökologisch bewirtschaftet und wie viel Prozent waren es vor dem Beschluss?“, hatte die Linksfraktion gefragt.
Aber genau das kann niemand beantworten. Denn, so das VTA: „Da noch kein digitales Kataster Verkehrsgrünflächen verfügbar ist, liegen zur Umstellung auf eine ökologisch ausgerichtete Unterhaltungspflege im Verkehrsgrün derzeit keine Zahlen vor. Die Ökologische Anlage und Bewirtschaftung durch das Verkehrs- und Tiefbauamt erfolgt bereits für einzelne ausgewählte Flächen.“
Diese Flächen sind noch schön überschaubar. Deswegen kann man sie auch nennen:
Pilotprojekt Straßenbegleitgrün Mittelstreifen Semmelweisstraße, seit 2018
Anlage Blühwiesen Möckernscher Markt, seit 2020
Verkehrsgrünabschnitt Alte Tauchaer Straße
Verkehrsgrünabschnitt Muldentalstraße, südlicher Streifen, Anlage Blühstreifen Herbst 2021
Wo sind die Fachfirmen, die das können?
Aber das sind natürlich nur einsame Vorboten eines anderen Umgangs mit den Grünstreifen an den Leipziger Straßen und mit großer Wahrscheinlichkeit weit entfernt von 5 Prozent. Umso deutlicher wird das Seufzen aus dem VTA in der Antwort auf die dritte Frage der Linksfraktion: „Erachtet die Verwaltung die Erreichung des Eindrittel-Ziels bis 2026 als realistisch und welche Hindernisse bestehen diesbezüglich?“
Hat der Stadtrat der Verwaltung da wirklich eine zu umfangreiche Aufgabe gestellt? Das könnte man fast vermuten, wenn das VTA antwortet:
„Die Erreichung des Ziels steht vor erheblichen Herausforderungen. Zur weiteren Umsetzung ist die Erstellung eines gesamtstädtischen Pflegekonzeptes auf Basis eines digitalen Verkehrsgrünflächenkatasters und die Verfügbarkeit der erforderlichen Pflegekosten eine elementare Grundlage, da eine Umstellung der Pflegeverfahren entsprechend höherer ökologischer und klimatischer Zielsetzungen zu höheren Unterhaltungskosten führt. Diese sind aber nur im Kontext der Möglichkeiten des Gesamthaushaltes der Stadt zu gestalten.“
Das Problem geht also schon mit den Firmen los, die die Pflegearbeiten bisher übernommen haben. Denn Raspelkurz-Mähen ist ziemlich einfach, verglichen mit der Pflege eines Grünstreifens, in dem auch noch Insekten herumflattern sollen.
Das wird deutlich, wenn das VTA auflistet: „Derzeit sind im Verkehrs- und Tiefbauamt folgende Arbeitsschritte notwendig:
1. Auswertung der aktuellen Straßenbefahrung, ergänzende Datenerfassungen vor Ort, Bearbeitung und Übernahme analoger Daten aus den eingemeindeten Ortsteilen.
2. Erfassung und Darstellung der Flächenausprägung der Teilflächen (Lang- bzw. Kurzgraswiesen, Bodendecker, Strauchflächen).
3. Erarbeitung eines gesamtstädtischen Pflegekonzeptes für Verkehrsgrünflächen unter Beachtung von definierten Eignungsparametern sowie einer Abstimmung mit dem Naturschutz.
Die Bearbeitung ist aktuell ressourcenseitig nicht gesichert. Unabhängig davon sind derzeit immer weniger Firmen bereit, für die gestellten Anforderungen ein Angebot zu unterbreiten und die Arbeiten zu übernehmen.“
Womit sich die Diskussion im Stadtrat von 2020 ja bestätigt, dass das Mahdregime einfach nach 08/15 erfolgt und Überlegungen zu Arten- und Insektenschutz hier noch nie eine Rolle gespielt haben. Weder für die städtischen Auftraggeber, noch für die beauftragten Firmen.
Entsprechend groß müsste jetzt der Lernprozess sein, wie man auch diese Grünstreifen an den Straßen pflegt, damit sie artenreicher werden und Zuflucht bieten für all das, was so in der Stadt herumsummt und flattert.
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