Es ist ein schon fast wieder vergessener Beschluss, den der Leipziger Stadtrat im Dezember 2017 mit den Stimmen von CDU, SPD und AfD traf: der Beschluss, das Leipziger Ordnungsamt zur Stadtpolizeibehörde zu machen und die Stadtpolizisten künftig mit Schlagstöcken und Pfefferspray auszustatten. Dass Letzteres nicht passiert ist, findet CDU-Stadtrat Konrad Riedel inakzeptabel.

Gut vier Jahre ist es her, dass der Leipziger Stadtrat die Aufwertung des Ordnungsamtes zur Stadtpolizeibehörde beschlossen hat. In diesem Zuge wurde auch eine neue, erweiterte Ausrüstung zugesagt. Zukünftig sollen auch Pfefferspray und Mehrzweckrettungsstöcke zur Grundausstattung der Ordnungshüter gehören. Allein: Beim Zukünftig ist es geblieben, die neuen Hilfsmittel sind weiterhin nicht im Einsatz“, kritisiert die CDU-Fraktion die Nicht-Umsetzung des damaligen Beschlusses, der in einer aufgeladenen Atmosphäre erfolgte, in der auch die Zahlen aus der sächsischen Polizeistatistik als Argument benutzt wurden. Doch diese Zahlen erzählen eben nicht von vermehrter Gewalt in Leipzig, sondern von einer enorm hohen Zahl von Diebstählen.

Die aber hatten und haben eine Menge mit der jahrelangen Einsparung von Polizeipersonal in Sachsen zu tun, nicht mit einer höheren Kriminalitätsneigung der Leipziger. Und so sollte auch Leipzigs Stadtpolizei verstärkt Aufgaben wahrnehmen, die eigentlich zum Aufgabenbereich der Landespolizei gehören. Wozu auch Streitschlichtungen bis spät in die Nacht gehören. Konflikte, zu denen auch die Polizei meist lieber mit mehreren Beamten vor Ort ist, die Erfahrungen im Umgang mit Gewalt haben.

Geht es tatsächlich um Wertschätzung oder um Symbolpolitik?

„Die Nichtbeachtung des Ratsbeschlusses ist gegenüber den Frauen und Männern, die tagtäglich für Ordnung und Sicherheit in unserer Stadt sorgen, verantwortungslos. Gerade aufgrund der immer weiter steigenden Anforderungen und Aufgaben haben wir vor nunmehr über vier Jahren die Aufwertung der Behörde durchgesetzt und in diesem Zuge auch bessere Schutzausrüstung zugesagt. Dies war ein Zeichen unserer Wertschätzung. Welche Wirkung die Ignoranz der Verwaltung nun auf die Bediensteten hat, kann man sich ja ausmalen“, meint nun CDU-Stadtrat Konrad Riedel.

„Gegenüber dem Stadtrat als beschließendem Gremium ist die Nicht-Umsetzung geradezu unverschämt. Man muss sich schon fragen, wieso die Gesundheit der Bediensteten beispielsweise in unserer Nachbarstadt Taucha oder auch in Chemnitz, wo die Aufrüstung funktioniert hat, einen so viel höheren Stellenwert genießt, als bei uns in Leipzig!“

Ist das wirklich Wertschätzung, wenn die städtische Polizeibehörde immer öfter dort tätig werden muss, wo staatliche Polizisten fehlen? Das wurde schon 2017 heftig diskutiert.

Folgen der verkorksten Landespolitik

„Weiterhin riecht es stark danach, dass der Antrag von CDU und SPD Folgen kaschieren soll, die die Koalition beider Parteien auf Landesebene mit der Polizeireform und dem massiven Stellenabbau zu verantworten hatte“, schrieb Sebastian Beyer damals. „Aus Sicht der Stadtratsfraktionen soll mit erhöhter Präsenz der Ordnungskräfte das schwindende Sicherheitsgefühl der Bürger wieder gestärkt werden. Ob die Folgen einer spät korrigierten Landespolitik sich so kaschieren lassen, darf bezweifelt werden. Denn selbst die erweiterten Einsatzzeiten bis 24 Uhr (bisher regulär 21:30 Uhr) und am Wochenende müssen noch mit dem Personalrat geklärt werden.“

Wobei an dieser Stelle zu korrigieren ist: Die SPD war für diesen massiven Stellenabbau nicht verantwortlich, sondern hat den Koalitionspartner CDU ab 2016 erst wieder dazu gebracht, die „Polizeireform 2020“ zu beenden und stattdessen wieder genug Polizisten auszubilden und einzustellen. Was dann freilich umso mehr verwunderte, als die SPD-Fraktion 2017 den Antrag zusammen mit der CDU-Fraktion gestellt hatte, die Stadtpolizei aufzurüsten.

Ein kleines Polizeiproblem von 1832

Denn wer sich auch nur ein bisschen in Geschichte auskennt, der weiß, dass Aufrüstungen keine Konflikte lösen. Im Gegenteil. Das hat schon einmal auch in Leipzig zu einer drastischen Reform der (Stadt-)Polizei geführt. Davon erzählt ein Artikel, den Steffen Poser in der neuen Museumszeitung „MuZe“ des Stadtgeschichtlichen Museums zu einigen besonderen Exponaten aus der Militaria-Sammlung geschrieben hat.

Dort findet sich nämlich ein Rohrstock mit Lederschlaufe, beinernem Knauf und der Ziffer Neun. Ein Stock, der an ein militärisches Ausrüstungsstück erinnert, aber tatsächlich zur Ausrüstung der vor 190 Jahren gegründeten „Sicherheitsdeputation“ gehörte, die aus guten Gründen nicht Polizei genannt wurde. Denn die damals noch königliche sächsische Polizei hatte kurz zuvor „einen unbewaffneten Kaufmannsgehilfen erschlagen“. Die ganze Truppe wurde entlassen.

„Die neuen Hüter der öffentlichen Ordnung müssen zur Beruhigung der erregten Bevölkerung auf eine reguläre Bewaffnung verzichten“, schreibt Poser. „Etwas später stattet man sie mit durchnummerierten Stöcken mit Beinknopf aus.“

Ein Ordnungsbürgermeister zweifelt

Ob die Ausrüstung mit Pfefferspray und Schlagstöcken überhaupt so selbstverständlich ist, wie das Konrad Riedel mit dem Verweis auf Taucha und Chemnitz suggeriert, hat Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal bei der letzten CDU-Anfrage zum Thema 2020 zumindest leicht bezweifelt.

Damals sagte er: „Im Rahmen einer Arbeitsanweisung werden dann verbindliche Regelungen zum Tragen und zum Einsatz der Schutzwesten festgeschrieben. Grundlage insbesondere auch für den Rettungsmehrzweckstock/Schlagstock – der Begriff wird auch tatsächlich im neuen Sächsischen Polizeibehördengesetz verwendet – sind die Regelungen in dem zum 01.01.2020 in Kraft gesetzten Sächsischen Polizeibehördengesetz, wo nunmehr für den eigentlichen Polizeivollzugsdienst oder gemeindlichen Vollzugsdienst auch die Möglichkeiten der Anwendung des unmittelbaren Zwangs und des Einsatzes von Hilfsmitteln zum Thema körperliche Gewalt und Waffengebrauch für den gemeindlichen Vollzugsdienst präzisiert und abschließend geregelt sind.

Präzisiert heißt, dass der Gesetzgeber nunmehr dann, wenn die Kolleginnen und Kollegen im gemeindlichen Vollzugsdienst tätig sind und bei der unmittelbaren Zwangsanwendung entsprechend Hilfsmittel benötigen, ausschließlich Schlagstöcke und keine anderen sonstigen Waffen zum Einsatz bringen können.“

Schlagstöcke sind also nur das maximal mögliche Mittel, mit dem Stadtpolizeibehörden ausgerüstet werden dürfen, nicht müssen.

Aber ob die Stadtpolizisten damit auch herumlaufen sollten, war für Heiko Rosenthal nicht so naheliegend: „Im Ergebnis dieser Konkretisierung im Sächsischen Polizeibehördengesetz wird jetzt entsprechend meiner Ausführungen zu den Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes im Weiteren geprüft, inwieweit für die Kolleginnen und Kollegen dieses Hilfsmittel zur Ausübung unmittelbaren Zwangs auch zum Einsatz kommen kann. Im Ergebnis wird es dann ebenfalls wiederum eine Festlegung geben, je nachdem, ob hier tatsächlich dieses Mittel und, wenn ja, in welcher Form zum Einsatz kommen kann.“

Zeit zum Widerspruch?

In einer Anfrage bittet die CDU-Fraktion jetzt „um Auflistung der tatsächlich einsatzbereiten Ausrüstungsmittel, der Beschaffung nach Kalenderjahren für 2019, 2020, 2021, 2022 sowie der jeweiligen Angabe der Zahl von bei der Stadtpolizeibehörde für den Außendienst angestellten Mitarbeiter.“

Und sie hat da so die Vermutung, dass auch OBM Burkhard Jung keine Aufrüstung des Stadtordnungsdienstes will.

„Stimmt der Oberbürgermeister der Rechtsauffassung des Bürgermeisters Rosenthal hinsichtlich einer weiteren Prüfung zu?

1. Falls ja: Wieso ist kein Widerspruch des OBM zum Stadtratsbeschluss erfolgt?
2. Falls nein: Was verhindert die Umsetzung des Beschlusses? Wann erfolgt die Umsetzung des gefassten Beschlusses?“

Gute Frage: Wäre es nicht an der Zeit, dass der OBM einen solchen Widerspruch formuliert und der Ordnungsdienst sich wieder verstärkt um die Dinge kümmert, die eigentlich zu seinen zentralen Aufgaben gehören? Der Kontrolle des „ruhenden Verkehrs“ zum Beispiel? Könnte man ja mal fragen. Und vielleicht tut das auch mal eine Fraktion, wenn die Anfrage der CDU-Fraktion im Stadtrat aufgerufen wird.

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Es gibt 2 Kommentare

für mich steht fest, der Stadtordnungsdienst braucht ein Mittel zur Abwendung von Gewalt gegen die eigene Person, aber nicht in Form des “Rettungsmehrzweckstocks”. Dieser ist dazu geeignet, teilweise fatale Verletzungen herbeizuführen. Sicher muss dann noch eine Schulung oder Ähnliches erfolgen, aber in Konfliktsituationen (die ja bei dieser Verwaltungstätigkeit eigentlich nur in ordnungswidrigen, aber nicht strafbarem Handeln zu sehen ist) fände ich den Einsatz von Tonfas oder Ähnlichem zu “krass”. Da schlägt auch das Thema Hundestaffel mit hinein, was soll der Hund denn machen, jemanden in den Arm beißen weil dieser an einer zu lauten/zu großen Veranstaltung teilnimmt oder handgreiflich gegenüber dem Kontrolleur wird? Das halte ich für eher gegen das Übermaßverbot verstoßend

Also ich muss mich schon fragen, ob Herr Julke überhaupt Ahnung hat, von was bzw. insbesondere wem er schreibt. Der letzte Absatz lässt mich daran stark zweifeln. Nein, die Inspektorinnen und Inspektoren, die zusätzlich ausgerüstet werden sollen, sind eben NICHT zur Kontrolle des ruhenden Verkehrs da! Das sind die Politessen und Politeure. Die Inspektionen übernehmen alle anderen Aufgaben, die immer konfliktbehafteter und auch immer öfter handgreiflich werden (was hier nicht beleuchtet wird). Gefahrenabwehr, Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten fast aller Art, Ermittlungstätigkeiten für die Fachämter, Kontrollen von Bürgerbeschwerden, Vollstreckungen, seit Pandemiebeginn Coronakontrollen, usw. sind deren grob zusammengefasste Aufgabengebiete – für den ruhenden Verkehr gibt es eine eigene Abteilung.

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