Wie es am Ende aussehen wird, wenn die jungen Menschen, die auf ihre Weise gegen die NS-Zeit in Leipzig opponiert haben, öffentlich gewürdigt werden, ist noch offen. Lebendig soll es werden, differenziert, kein graues Denkmal, wie Oskar Teufert am 15. März bei seiner Rede zum Antrag des Jugendparlaments im Stadtrat erklärte.

Oskar Teufert ist Sprecher des Jugendparlaments. Und er teilt die Befürchtung vieler seiner Altersgenossen, dass es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird und die Erinnerung an die jungen Menschen, die sich der NS-Gleichschaltung widersetzten, verloren gehen könne.

Obwohl sie so wichtig ist. Denn auch zu der „bewussten Verweigerung“ zum NS-Staat gehörte Mut, sehr viel Mut, wie Linke-Stadtrat Marco Götze betonte. Daran würden inzwischen ja auch wieder die Bilder aus Russland erinnern und der mutige Akt einer Fernsehredakteurin, die für sechs Sekunden mit ihrem Plakat „No War“ im russischen Fernsehen zu sehen war. Woran in der Diskussion am 15. März FDP-Stadtrat Sascha Matzke erinnerte.

Denn wer so gegen die Übergriffigkeit autoritärer Regime protestiert, muss immer mit drakonischen Strafen und Schikanen rechnen. Darin unterscheiden sich autoritäre Systeme in nichts.

Und hätte er das begriffen, wäre AfD-Stadtrat Roland Ulbrich auch nicht ans Rednerpult gegangen und hätte den Leipziger Meuten alles abgesprochen, was sie einer Würdigung wert macht. Und das auch noch mit Falschbehauptungen, etwa der, sie hätten sich selbst niemals so bezeichnet.

Was – wie Sascha Lange schon nachwies – nicht stimmt. Im Gegenteil: Teilweise übernahmen sie diesen diffamierenden Begriff, den sich die Gestapo ausgedacht hatte, sogar selbst, stolz darauf, weil damit auch aktenkundig war, dass ihr Widerstand vom NS-Regime sogar ernst genommen wurde, obwohl er friedlich war und tatsächlich vor allem Verweigerung. Und zwar aus ganz unterschiedlichen politischen Richtungen. Und immer in engen Grenzen, „individuellen Handlungsspielräumen“, wie es Götze beschrieb.

Dass Ulbrich dann gar noch behauptete, das Agieren von Hundestart, Reeperbahn, Lille oder Arndtstraße sei gar kein Widerstand gewesen, klang dann schon wie die nur zu vertraute Argumentation von Autokraten, die jeden humanen Widerstand gegen ihre Polizeistaatlichkeit kriminalisieren und diffamieren.

An ihren Worten soll man sie erkennen. Oder wie sie die Fakten so lange verdrehen, bis aus dem tapferen Nicht-Mitmachen junger Menschen in einem Regime wieder simples Rowdytum wird wird.

Aber diese Verachtung für individuellen Mut und Widerstandsgeist ist im Leipziger Stadtrat die Minderheit. Dass er auch noch unbelesen ist, selbst wenn Ulbrich behauptete, irgendetwas gelesen zu haben zu den Meuten, attestierte ihm dann Stadtrat Bert Sander, der unter anderem auf Sascha Langes profunde Bücher zu den „Leipziger Meuten“ hinwies, in denen sehr wohl nachzuvollziehen ist, wie viel Mut dazu gehörte, damals als junger Mensch nicht die HJ-Uniform anzuziehen und sich von den Aufmärschen der Nationalsozialisten abzusetzen.

Natürlich war das Konkurrenz. Aber nicht die von jugendlichen Banden, sondern von Humanismus gegen Menschenverachtung, Individualismus gegen Gleichschaltung, Tapferkeit gegen opportunistisches Mitmachen.

Und wie man eben heute nicht nur in Russland sieht, braucht es diesen jungendlichen Mut immer noch. Der darf nicht vergessen werden, 77 Jahre nach dem Krieg, appellierte Oskar Teufert.

Das Jugendparlament hatte in seinem Antrag vor allem den Lindenauer Markt genannt, wo man an die „Leipziger Meuten“ erinnern kann. Die Linksfraktion hatte in einem Änderungsantrag auch noch den Schwartzeplatz dazugetan, wo die Meute Hundestart aktiv war. Beides traditionelle Arbeiterviertel, weswegen Ulbrichs Behauptung, es vor allem mit bündischer Jugend zu tun gehabt zu haben, schlicht falsch war. Hier lebten vor allem linke Jugendbewegungen fort.

Das Jugendparlament übernahm den Antrag der Linken nur zu gern in den eigenen Antrag, verzichtete aber auf die Übernahme des Verwaltungsstandpunktes, der vor allem finanziell dem Anliegen, schon 2023 einen Erinnerungsort zu schaffen, nicht genügt.

Die Linksfraktion hatte das noch einmal betont: „Entsprechend dem Erinnerungsformat auf dem Lindenauer Markt soll die Stadt Leipzig Unterstützung und Begleitung des Vorhabens anbieten und angemessene Mittel im Doppelhaushalt 2023/2024 einstellen. Die Realisierung des Erinnerungsortes ist spätestens 2024 umzusetzen, sollte jedoch in die Planung des Amts für Stadtgrün und Gewässer zur Sanierung/Aufwertung des Schwartzeplatzes integriert werden.“

Und am Ende war das Abstimmungsergebnis nur zu deutlich. Nur die AfD-Fraktion verweigerte sich der Zustimmung. Die Stadtratsmehrheit gab den Weg frei zur Schaffung einer öffentlichen Erinnerung an die „Leipziger Meuten“.

Die Debatte vom 15. März 2022 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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