2016 erschien โ herausgegeben von Ulrich Brieler und Rainer Eckert โ der Sammelband โUnruhiges Leipzigโ, der erstmals versuchte den Bogen zu spannen vom Leipziger Bรผrgeraufstand von 1215 bis zur Friedlichen Revolution. Ausgerechnet die Beatdemo von 1965 fehlte. Aber auch sie soll jetzt ihren Platz in der Leipziger Erinnerungskultur bekommen.
In der Ratsversammlung am 15. Mรคrz war zuvor schon auf Antrag des Jugendbeirats eine Wรผrdigung der โLeipziger Meutenโ in der NS-Zeit und der Antrag von Mandy Gehrt und Thomas Kumbernuร zur Wรผrdigung der Kerzendemo von 1983 beschlossen worden.
1965: brutales Ende der Liberalisierung
Der Grรผnen-Antrag โDem Beataufstand von 1965 als Teil der Leipziger Demokratiegeschichte angemessen gedenkenโ betont nun die durchaus einzigartige Rolle der Beatdemo vom 31. Oktober 1965, die mรถglicherweise nie so groร geworden wรคre, hรคtten nicht Lehrer รผberall in Leipzig vor der Teilnahme der Schรผler an dieser Demo gewarnt. So zumindest erzรคhlt es Erich Loest in seinem Buch โEs geht seinen Gangโ, das Grรผnen-Stadtrat Jรผrgen Kasek bei seiner Rede zum Grรผnen-Antrag zitierte.
Danach waren es dann รผber 2.000 Jugendliche, die auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz gegen das Verbot der Leipziger Beat-Gruppen protestieren wollten.
1965 war das Jahr, in dem die herrschende SED den Lockerungskurs in Kunst und Kultur radikal abwรผrgte und praktisch alle in Leipzig beliebten Bands verbot โ allen voran die โButlersโ, die Vorlรคufer-Band der spรคter noch viel berรผhmteren Gruppe โRenftโ.
Wenn Jugendliche fรผr ihre Musik-Bands demonstrieren
โDer Leipziger Beataufstand bzw. Beatdemo vom 31. Oktober 1965 hat bislang in der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt, insbesondere zu DDR-Zeiten eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Leipziger Beatdemo war die grรถรte nichtgenehmigte Demonstration in der DDR nach den Ereignissen vom 17. Juni 1953 und blieb neben den Geschehnissen am 7. Oktober 1977 auf dem Berliner Alexanderplatz (468 Festnahmen) bis zum Herbst 1989 in dieser Form einmalig und von besonderer historischen Bedeutung fรผr die spรคtere Friedliche Revolution 1989. 264 Demonstrant/-innen wurden damals festgenommen. Das Ereignis hatte erhebliche Auswirkungen auf die Jugend- und Kulturpolitik der DDR-Fรผhrung und indirekt auf die Jugendkultur in der DDRโ, heiรt es im Grรผnen -Antrag zur Wรผrdigung dieses singulรคren Ereignisses.
โDie Grundlage war das Verbot von 54 von 58 Leipziger Bands. In Leipzig fรผhrte vor allem das Verbot der Band โThe Butlersโ zu Protesten. Mehr als 2.000 Jugendliche hatten sich zu Beginn versammelt. Die aufkommende Beatbewegung hatte auch in DDR viele Anhรคnger gefunden. Das gemeinsame Musizieren in der Gruppe war fรผr viele Jugendliche auch Ventil gegen staatliche Zwรคnge.โ
โNach den Geschehnissen รคnderte sich die Kulturpolitik der DDR deutlich und ein neuer Straftatbestand โRowdytumโ wurde eingefรผhrt. Diese Ereignisse sind bislang trotz einer diesbezรผglichen Initiative des damaligen Stadtrates, Leipziger Romanciers und Hรถrspielautors Gerhard Pรถtzsch vor vielen Jahren nur unzureichend mit einem schmalen Text auf der Seite der Stadt Leipzig gewรผrdigt und entsprechen nicht der Bedeutung der emanzipatorischen Bewegung. Diese vorhandene Lรผcke sollte daher schnellstens behoben werden.โ
Polizeigewalt heute und damals
Denn bislang fokussierte sich die Leipziger Erinnerungskultur auf den Herbst 1989 und sah die Friedliche Revolution eben nicht als Teil jener Kette mutiger Proteste, die in Leipzig immer wieder aufflackerten โ allein fรผr die Nachkriegszeit stehen dafรผr die Jahre 1956, 1965, 1968, 1983 und dann immer dichter bis in das vollgepackte Revolutionsjahr 1989.
Und es war eher Zufall, dass die Stadtratsentscheidungen auf den โInternationalen Tag gegen Polizeigewaltโ fiel, kam es eben auch am 31. Oktober 1965 zu massiver Polizeigewalt gegen die Jugendlichen, wurden Schรคferhunde zum Einsatz gebracht und Wasserwerfer. 97 der verhafteten Jugendlichen landeten auf der Stelle zum Arbeitseinsatz in der Braunkohle.
Und mit Blick nach Russland ist das Ereignis ebenso aktuell, wie Kasek betonte. Denn โautoritรคre Staaten versuchen immer wieder, die Kultur einzuschrรคnkenโ, auf Linie zu bringen und jeden kritischen und rebellischen Geist zu kriminalisieren.
Man kann eine ganze Menge aus den Leipziger Protestbewegungen lernen โ รผber den friedlichen Protest genauso wie รผber das Agieren autoritรคrer Regierungen. Und eine Menge Vorarbeit hat das Archiv Bรผrgerbewegung Leipzig auch zur Beatdemo schon geleistet, zu erleben auch in einer eigenen Wanderausstellung.
Logisch also, dass die CDU-Fraktion hier die Einbeziehung des Archivs Bรผrgerbewegung beantragte, ein Antrag, den die Grรผnen kurzerhand รผbernahmen, auch wenn sie dann den zustimmenden Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung stellten, denn der bestรคtigte, dass die Beatdemo โin das Konzept Erinnerungskultur aufgenommenโ wird. Und: โEs wird empfohlen, den Beataufstand in das Themenjahr 2024 โKunst im Gebrauchโ (AT) und dem Jubilรคum 35 Jahre Friedliche Revolution einzubinden.โ
Der Verwaltungsstandpunkt wurde dann mitsamt dem รnderungsantrag der CDU-Fraktion vom Stadtrat sogar einstimmig angenommen.
Die Debatte vom 15. Mรคrz
Video: Livestream der Stadt Leipzig
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