Die Diskussion um Tempo 30 hat in allen deutschen Großstädten 2021 richtig Fahrt aufgenommen. Auch wenn es noch eine Weile dauern wird, bis sich der Bund dazu aufrafft, in Städten Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit zu akzeptieren. Bis dahin werden auch Städte wie Leipzig jeden vorgeschlagenen Straßenabschnitt akribisch untersuchen, ob da eine Tempodrosselung überhaupt machbar ist. Aber eine Antwort aus dem Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) erfreut jetzt die SPD-Fraktion.
„Im Oktober 2021 wurde eine Tempo-30-Zone in der Odermannstraße beim Rundgang mit dem Oberbürgermeister von verschiedenen Akteuren angeregt, jetzt haben wir im Stadtrat nachgefragt und die Information bekommen, dass für den Bereich des Horts der Nachbarschaftsschule (NaSch) eine Anordnung von Tempo 30 von Montag bis Freitag jeweils von 6 bis 18 Uhr in der Odermannstraße vorbereitet wird“, teilt die SPD-Fraktion erfreut nach dieser Antwort aus dem Planungsdezernat mit.„Im Moment ist die Odermannstraße noch Baustelle. Wir hoffen aber, dass die Tempo 30-Anordnung zeitnah nach Beendigung der Baustelle erfolgt und dass auch eine sichere Führung des Radverkehrs insbesondere für die Schülerinnen und Schüler der NaSch bedacht wird“, erklärt Stadtrat Christian Schulze, der seinen Wahlkreis in Altwest hat.
„Außerdem unterstützen wir, dass die Merseburger Straße am Knoten zur Aurelienstraße im 1. Halbjahr 2022 abgepollert wird, damit die Aufenthaltsqualität um die zahlreichen Freisitze erhöht werden kann.“
Poller für die Merseburger
Hierzu befindet sich auch ein Antrag des Stadtbezirksbeirates Alt-West im Verfahren. lm Rahmen des Antrags sollen die Möglichkeiten der Verbesserung der städtebaulichen Qualität des öffentlichen Raums der Merseburger Straße zwischen Karl-Heine-Straße und Lützner Straße unter Einbeziehung von Anwohnenden, Gewerbetreibenden und Stadtteilakteuren untersucht und erste Umsetzungsvorschläge erarbeitet werden. Auch der Ökolöwe hat sich für eine autofreie Merseburger Straße in diesem Abschnitt starkgemacht.
Das VTA teilte dazu mit: „Im 1. Halbjahr 2022 wird die Merseburger Straße am Knoten zur Aurelienstraße abgepollert und im letzten Abschnitt ein Halteverbot angeordnet, um das notwendige Wenden zu gewährleisten. Hierzu befindet sich auch ein Antrag des SBB Alt-West im Verfahren. Der Verwaltungsvorschlag wird hier ebenso eine mögliche Umgestaltung aufgreifen. lm Rahmen des Antrags sollen die Möglichkeiten der Verbesserung der städtebaulichen Qualität des öffentlichen Raums der Merseburger Straße zwischen Karl-Heine-Straße und Lützner Straße unter Einbeziehung von Anwohnenden, Gewerbetreibenden und Stadtteilakteuren untersucht und erste Umsetzungsvorschläge erarbeitet werden.“
Aber nicht nur Tempo-30 in der Odermannstraße ist jetzt ein Thema für die Verbesserung der Verkehrssicherheit im Leipziger Westen. Auf dem OBM-Rundgang wurden ja auch noch andere brisante Stellen thematisiert.
Und an einigen will das Verkehrs- und Tiefbauamt jetzt Änderungen vornehmen, die die Sicherheit gerade für Fußgänger erhöhen.
So zum Beispiel am Knoten Endersstraße/Merseburger Straße: „Hier wird sowohl am westlichen als auch am östlichen Arm der Endersstraße eine Anordnung für Fußgängerüberwege umgesetzt.“
Verbesserungen am Karl-Heine-Platz
Auch der Zugang zum Karl-Heine-Platz/Aurelienstraße soll sicherer werden:
„Das Markieren von Parkzu- und -ausgängen kann eine schnelle Lösung sein, auf die Problemlage des Parkens vor dem Platzzugang adäquat zu reagieren. Daher wurden von der Verwaltung in Zusammenarbeit mit der AG Fußverkehrsförderung bereits Entwürfe entwickelt, um durch eine Markierung eine weitestgehende Zugänglichkeit zu erreichen. Zudem wurde eine verwaltungsinterne Abfrage veranlasst, um stadtweit Problemstellen zu ermitteln.
Diese Markierung stellt jedoch keine verkehrsrechtliche Anordnung dar, sondern soll durch ihre optische Gestaltung eine zusätzliche Sensibilisierung erzeugen, hier nicht zu parken. Die Markierungslösung kann in Anliegerstraßen auch noch mit Fahrradbügeln auf der Fahrbahn ergänzt werden. Dadurch entsteht eine Verbindung mit dem Aktionsprogramm Radverkehr, Handlungsfeld 7, Maßnahme 57 (Fahrradabstellanlagen an Parkeingängen). Auf dieser Grundlage werden beginnend in 2022 Maßnahmen schrittweise umgesetzt.“
Noch mehr autofreie Straßen?
Aber noch spannender war eigentlich die Frage: „Wie steht die Stadt zur Forderung nach autofreien Straßen in jedem Stadtviertel? An welchen Stellen in welchen Stadtteilen sieht die Verwaltung hierfür Potenzial?“
Im Rahmen der Mobilitätsstrategie 2030 könnte das Thema „autofreie Straßen auch infrage kommen“, stellt das VTA ganz vorsichtig fest.
Immerhin geht es dabei auch um „eine gerechte Aufteilung des öffentlichen Raums (…) Ein aktuelles Beispiel für die Evaluierung einer autofreien Straße ist die bereits erwähnte Merseburger Straße zwischen Karl-Heine-Straße und Aurelienstraße. Nach dem Rahmenplan zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie wird es jedoch keine gleichmäßige Verteilung autofreier auf jeden Stadtteil geben. Es bleiben individuelle Einzelentscheidungen für die jeweiligen Straßenabschnitte, die auch mit rechtlichen Abwägungen evaluiert werden müssen und bei der eine Beteiligung mit Anwohnenden, Gewerbetreibenden und Stadtteilakteuren stattfinden wird.“
Man ahnt nur, wie groß die Besorgnis ist, das Projekt „autofreie Straßen“ überhaupt anzupacken und damit Beispiele zu schaffen, wie sich die Aufenthaltsqualität auf den Straßen deutlich erhöht, wenn man sie dem Autoverkehr einfach mal komplett entzieht.
Dabei ist der Verwaltung längst klar, dass nicht das Auto Handel und Gewerbe in einer Straße stärkt: „Das Potenzial für die Stärkung des Einzelhandels durch verkehrsberuhigte Bereiche ist stark von der Art des Einzelhandels abhängig, aber auch von der Einwohnerdichte und den vorhandenen Erschließungsmöglichkeiten. Kleinere Nahversorger in den innerstädtischen Bereichen werden sehr häufig zu Fuß oder mit dem Rad erschlossen. Hier haben verkehrsberuhigte Bereiche momentan höheres Potenzial zur Stärkung.“
Supermärkte funktionieren auch ohne Parkplätze
Aber jahrelang galt die Sorge in Leipzig eben nicht den Kleinen, sondern den Großen. Und die bauen in der Regel auch immer gleich große Parkplätze neben ihren Supermarkt:
„Bei größeren Nahversorgern hingegen wird häufiger das Auto als Transportmittel genutzt, jedoch ist auch hier ein Trend hin zu mehr Fuß- und Radverkehr zu erkennen, besonders bei Nahversorgern in Quartieren mit einer hohen Einwohnerdichte, wie bspw. am Lindenauer Markt. Es gibt keine allgemeingültige Aussage über den Einfluss von verkehrsberuhigten Bereichen zu den umliegenden Einzelhandelsstandorten. Ein positiver Einfluss ist jedoch deutlich auf die Gastronomie zu erkennen, vor allem, wenn diese zur Aufwertung des öffentlichen Raums beitragen.“
Aber so eine Ahnung ist in der Verwaltung schon da, dass die Trendwende überfällig ist:
„Mit dem beschlossenen Nachhaltigkeitsszenario und dem Rahmenplan zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie 2030, durch die der Umweltverbund gestärkt werden soll, wird auch der Erschließungsverkehr vom Einzelhandel neu gedacht werden müssen. Dabei sieht die Verwaltung vor allem bei der Erschließung von kleinerem Einzelhandel und kleineren Nahversorgern Potenzial zur Stärkung durch verkehrsberuhigte Bereiche.
Durch die Stärkung des Umweltverbundes, bspw. durch den Bau von Fahrradabstellanlagen für Lastenräder oder neue Mobilitätsstationen, wird sich auch die Verkehrsmittelwahl des Einkaufsverkehrs ändern und verkehrsberuhigten Bereichen auch bei größeren Nahversorgern eine stärkere Rolle zukommen. Diese siedeln sich bereits zunehmend an schon vorhandenen verkehrsberuhigten Bereichen oder Fußgängerzonen an. Zwischen 2011 und 2018 wuchs z. B. die Zahl der Supermärkte in der Innenstadt von 7 auf 11.“
Was ja darauf hindeutet, dass die Leipziger/-innen nur zu gern zu Fuß einkaufen gehen – wenn das denn ohne massive Konflikte mit dem Autoverkehr möglich ist. Und dass Supermärkte auch ohne Parkplatz funktionieren. Denn es ist bei Parkplätzen wie bei Straßen: sie erzeugen erst den Autoverkehr, der dann scheinbar nicht mehr wegzudenken ist aus der Stadt.
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