Leipzig schafft soziale Stabilität. Ein großes Versprechen, das Oberbürgermeister Burkhard Jung im Vorwort des Arbeitsprogramms 2023 erläutert: „Seit einigen Jahren sind wir die am schnellsten wachsende Großstadt Deutschlands (...). Es gibt keinen Wohnungsleerstand und aus der großen Arbeitslosigkeit ist ein nachgefragter Arbeitsmarkt geworden.“ Diese Entwicklung wolle man fortführen und sozial gerecht gestalten. Dafür wurden im Bereich der sozialen Stabilität sieben konkrete Vorhaben benannt, deren Umsetzung bis 2023 angestrebt wird.
Doch knapp drei Jahre nach Erscheinen des Vorhabenkatalogs zeichnen sich die ersten Widrigkeiten ab. Eines der größten Sorgenkinder: Das „Demenzdorf“. In Deutschland gibt es immer mehr Menschen, die an Demenz erkranken – laut Schätzungen seien es allein in Leipzig 12.000. Auch die Stadt Leipzig wollte ihren Beitrag leisten, um Erkrankten ein „würdevolles Leben und eine angemessene Betreuung“ zu ermöglichen. Auf eine LZ-Anfrage, wann und wo das Dorf errichtet wird, antwortet die zuständige Städtische Altenpflegeheime Leipzig gGmbH: „Unser Geschäftsführer Herr Eckner wird sich hierzu nicht äußern.“ Das involvierte Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt hält sich ebenfalls mit klaren Aussagen zurück: Das Vorhaben befinde sich „derzeit noch in Klärung“. Dabei soll es nicht nur darum gehen, wie das Projekt umgesetzt werden kann, sondern ob es überhaupt dazu kommt.
Wie der Geschäftsführer der Städtischen Altenpflegeheime, Stefan Eckner, bereits im November 2021 der Leipziger Volkszeitung mitteilte, lasse sich das „Demenzdorf“ bei den aktuellen Bau- und Materialpreisen nicht wirtschaftlich finanzieren. Vor allem während der Pandemie sind die Kosten für Bauvorhaben enorm gestiegen. Die derzeitigen Pflegesätze reichten für eine Finanzierung nicht aus.
Doch selbst wenn das geplante Dorf entgegen dem derzeitigen Stand noch gebaut werden kann: Die Unterkünfte sind für knapp 100 Bewohner/-innen ausgelegt. Damit ist der Bedarf noch lange nicht gedeckt.
Bedarf bei weitem nicht gedeckt
Ähnlich verhält es sich mit dem Bedarf an Kita-Plätzen; vor allem an solchen wie in der Komplex-Kita „Naturwerkstatt“. Diese befindet sich derzeit schon im Bau; die Inbetriebnahme ist für 2023 geplant. In der Benedixstraße in Gohlis soll es dann 213 neue Kita-Plätze geben – 24 davon für Jungen und Mädchen mit heilpädagogischem Bedarf und 24 Integrationsplätze. Auch schwerbehinderte Kinder sollen hier betreut werden können.
Zwar schafft der Städtische Eigenbetrieb Behindertenhilfe (SEB) mit der „Naturwerkstatt“ bereits die vierte Komplex-Kita in Leipzig. „Die Nachfrage nach entsprechenden Angeboten ist damit jedoch bei weitem nicht gedeckt“, so Betriebsleiter Peter Böhmer. Schon jetzt gebe es 20 Anmeldungen auf einen Kita-Platz für 2023; ein großer Teil davon für die begehrten Integrations- und heilpädagogischen Plätze.
Auf dem SEB-Gelände sollen jedoch nicht nur Kinder mit unterschiedlichen körperlichen, geistigen und sozialen Voraussetzungen den Kita-Alltag gemeinsam erleben. „In Leipzig gibt es neben dem steigenden Bedarf an integrativen Kita-Angeboten auch einen hohen Bedarf an behindertengerechtem Wohnraum“, so Böhmer. Daher wolle man zusätzlich acht behindertengerechte Wohnungen in den Komplex integrieren.
Das leidige Thema Wohnraum
Und so schnell ist man wieder bei einer der größten sozialen Baustellen: dem Wohnraum. Auch hierzu findet sich ein Punkt im Arbeitsprogramm der Stadt Leipzig: „Bezahlbar Wohnen“. „Die Stadtverwaltung etabliert dafür ein kommunales Förderprogramm für preiswerten Wohnraum“, heißt es dort.
Eine LZ-Anfrage ergibt, dass sich die bisherigen Fördermaßnahmen auf den Wohnungsneubau fokussieren. Was aus der Antwort des Amtes für Wohnungsbau und Stadterneuerung nicht ersichtlich wird: Die kommunalen Möglichkeiten sind begrenzt und nahezu ausgeschöpft.
Für den sozialen Wohnungsneubau vergibt der Freistaat Sachsen zwar seit 2017 Gelder: In Leipzig können damit jedoch jährlich nur knapp 300 der 2.000 neu entstehenden Wohnungen finanziert werden. Und diese 300 Wohnungen decken den ständig steigenden Bedarf nicht einmal annähernd. Und auch Sozialwohnungen sind mit einem Quadratmeterpreis von 6,50 Euro nicht wirklich erschwinglich für Menschen mit niedrigem Einkommen.
Daher sei für 2022 ein kommunales Förderprogramm „für die Aktivierung leerstehender Wohnungen in Großwohnsiedlungen und Plattenbauten“ geplant. Da hat Burkhard Jung den Mund wohl zu voll genommen, als er 2019 im Vorwort schrieb, dass Leipzig keinen Wohnungsleerstand habe.
Mit einer Fördersumme von drei Millionen Euro sollen im Förderprogramm 150 Wohnungen wieder dem Markt zugeführt werden. Der Stadtrat soll das Programm im Februar beschließen. Das scheint dem Vorhabensziel „bezahlbaren Wohnraum (…) über die ganze Stadt (zu verteilen)“ zwar nicht zu entsprechen, aber es ist ein erster Schritt. Eventuelle weitere kommunale Förderansätze in diese Richtung werden im Rahmen der Fortschreibung des Wohnungspolitischen Konzeptes 2022 diskutiert.
Für die Umsetzung des Vorhabens „Bezahlbar Wohnen“ sei die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) die wichtigste Partnerin der Stadt Leipzig. So bleiben die Wohnungen dauerhaft im kommunalen Eigentum und bezahlbare Mieten können gesichert werden. Bislang werde jedoch nur knapp die Hälfte der vom Freistaat Sachsen bereitgestellten Mittel durch die LWB umgesetzt, heißt es aus dem Amt für Wohnungsbau.
Einige Hoffnungsschimmer
Mit einer wachsenden Stadt ergeben sich weitere Anforderungen: so zum Beispiel an den Brandschutz und die Rettungsdienste, die ebenfalls im Arbeitsprogramm aufgegriffen werden. „Gutachterlich wurden sowohl die Anzahl der Rettungswagen und Krankentransportfahrzeuge, als auch die bauliche Infrastruktur der Rettungswachen untersucht“, erläutert ein Sprecher der Branddirektion Leipzig. Im Zuge dieser Begutachtung wurde ein höherer Bedarf an Einsatzfahrzeugen bestätigt. Diese erfordern wiederum eine bessere Rettungswachen-Infrastruktur.
Im April 2021 konnte bereits eine erste Interims-Rettungswache auf der Alten Messe in Betrieb genommen werden. Für zwei städtische Bauprojekte sind die Planungsbeschlüsse im Verwaltungsverfahren. Und auch die Vorhaben am Herzzentrum Leipzig und am Krankenhaus St. Georg befinden sich derzeit in der Planungsphase. „Aktuell geht die Stadt Leipzig davon aus, dass die ersten Baumaßnahmen Ende 2023 abgeschlossen sind. Insgesamt ist die Umsetzung aller 11 Baumaßnahmen bis zum Jahr 2030 geplant“, heißt es aus der Branddirektion.
Weit voran geschritten ist außerdem das Sauberkeitskonzept der Stadt Leipzig. Der Mängelmelder der Stadtreinigung ist im April 2021 online gegangen. Über die Website können Bürger/-innen überfüllte Mülleimer, Schrottfahrräder, Müllablagerungen, verschmutzte Glasinseln, Schäden an Spielplätzen und Bänke und vieles mehr melden. Seit Inbetriebnahme sind nahezu 7.000 Meldungen eingegangen.
„Anhand der eingegangenen Meldungen kann die Stadtreinigung Leipzig auch Bedarfe und Schwerpunkte erkennen. Werden beispielsweise Papierkörbe vermehrt als übervoll gemeldet, können wir entsprechend reagieren und Behälter mit größeren Volumen aufstellen oder weitere Papierkörbe aufstellen“, so die Stadtreinigung. Ab 2023 sollen dann zusätzlich „Umweltdetektive“ zum Einsatz kommen.
„Wir erhoffen uns, dass durch die Arbeit der Umweltdetektive noch mehr Verursacher von illegalen Ablagerungen ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden.“ Im Idealfall diene das nicht nur zur Kostendeckung der Beräumung und Entsorgung von Ablagerungen, sondern könnte gleichzeitig abschreckende Wirkung auf andere potenzielle Verschmutzer haben.
Auch der Bildungscampus Grünau, die Quartiersschule Ihmelsstraße und die erfolgreiche Wiederbelebung des Robert-Koch-Parks zeigen, dass die Stadt Leipzig bemüht ist, das Arbeitsprogramm 2023 umzusetzen. Ob jedoch nur schwer umsetzbare Modellprojekte 12.000 Demenzerkrankten helfen oder die bisherigen Maßnahmen für eine stabile Wohnraumsituation reichen, scheint zweifelhaft.
„Große Versprechen“ erschien erstmals am 28. Januar 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 98 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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