Dass eine Diskussion im Leipziger Stadtrat am Ende tatsรคchlich herzerwรคrmend enden kann, das wurde am 20. Januar erlebbar, als ein scheinbar staubtrockenes Beschlusspaket aufgerufen wurde: โAnpassung des Abonnements sowie Optimierung der Platzkategorienโ in der Leipziger Oper Leipzig ab der Spielzeit 2022/2023. Wer geht denn schon in die Oper? Ist das denn nicht ein Eliten-Vergnรผgen? Oder ist es nicht eher so, dass sehr viele Leipziger/-innen, die gern in die Oper gehen wรผrden, sich die Karten gar nicht leisten kรถnnen?
Das war nicht das erste Mal Thema in der Ratsversammlung. Seit Jahren wird immer wieder darรผber diskutiert. Viel zu oft, wie man nach den Wortmeldungen aus dem konservativen Teil des Stadtrats meinen kรถnnte. Da wirkte der รnderungsantrag aus der Linksfraktion, den Mandy Gehrt vorstellte, wie ein weiterer Versuch, den Leuten auf den billigen Plรคtzen immer mehr Platz einzurรคumen. Und das mit Argumenten, die am Ende Thomas Kumbernuร (Die PARTEI) so richtig auf die Palme brachten.Denn derart abgrรผndig รผber die eigenen Wรคhler und Wรคhlerinnen hat man in der Leipziger Ratsversammlung lange nicht diskutiert.
Er nannte die Diskussion um die Kosten fรผr die Neuausstellung von Hundemarken interessant, die mit dem Argument befeuert worden war, die Hundebesitzer wรผrden mit den Marken einen regelrechten Schwarzmarkt betreiben. Und er war richtig wรผtend รผber das in der Diskussion vorgebrachte Argument, Opernbesucher, die sich locker etwas teurere Plรคtze leisten kรถnnten, wรผrden absichtlich Plรคtze in der preisgรผnstigsten Platzgruppe kaufen, um billig in die Oper zu kommen und um sich in der Vorstellung dann auf leere Plรคtze weiter vorn vorzumogeln.
Die anderen Leute sind immer Egoisten
Eine Stelle, an der einem tatsรคchlich wieder Rutger Bregmans Buch โIm Grunde gutโ einfรคllt, mit seiner begrรผndeten Kritik an der derzeit im ganzen Westen regierenden Meinung, der Mensch sei eigentlich schlecht, dรคchte nur an seinen Vorteil, und wรคre stets bestrebt, den anderen รผbers Ohr zu hauen.
Allein schon fรผr diese Wortmeldung von Thomas Kumbernuร lohnt es sich, die komplette Diskussion zu verfolgen, in der es eigentlich gar nicht so sehr um die neue Entgeltordnung in der Oper Leipzig ging. Denn die Kartenpreise bleiben weitgehend dieselben.
Aus gutem Grund, wie man in der Begrรผndung zur Verwaltungsvorlage lesen kann:
โDie weitestgehende Beibehaltung der bestehenden Platzpreise soll die Rรผckgewinnung des Publikums im Zuge der Wiederaufnahme des Spielbetriebes und schrittweisen Rรผckkehr zur Normalitรคt nach der fรผr den Kulturbereich einschneidenden Periode der Corona-Pandemie befรถrdern. Gleichzeitig soll das Niveau der Eintrittserlรถse durch die strukturellen Verรคnderungen im Abonnementbereich und deren Auswirkungen auf die Anzahl der Besucher, Auslastung und durchschnittliche Rabattierung erhalten werden. Unter Anwendung der angepassten Entgeltordnung strebt die Oper Leipzig jรคhrliche Erlรถse aus Eintritten von rd. 7.500 Tโฌ und eine Gesamtanzahl von rd. 205.000 Besuchern in entgeltlichen Theaterveranstaltungen an, was einer durchschnittlichen Auslastung von rd. 79,0 % entspricht.โ
Neben der preisgรผnstigen Platzkategorie gibt es noch zahlreiche Rabatte fรผr einzelne Gruppen, wie man auch in der neuen Entgeltordnung lesen kann: โDie Oper Leipzig gewรคhrt ausgewรคhlten Personenkreisen im Rahmen regulรคrer Ermรครigungen Nachlรคsse auf den Eintrittskartenpreis. Dies dient der Fรถrderung des Theaterbesuches von Kindern, Jugendlichen, Familien, Menschen mit Behinderung sowie fรผr Personen mit geringem Einkommen.โ
Den Ratsfraktionen ist eigentlich sehr wohl bewusst, dass es eine Menge Leipziger/-innen gibt, die es im Geldbeutel nicht wirklich dicke haben, aber trotzdem ihre paar Krรถten zusammenkratzen, um die Vorstellungen in den groรen Musikhรคusern zu besuchen.

Eine Handvoll โbilligeโ Plรคtze
Aber was hat eigentlich die Linke beantragt, dass das wieder derart schrรคge Gegenargumente hervorrief?
โPunkt 1, Anlage 2 wird wie folgt geรคndert: Die Ratsversammlung beschlieรt die Neufestsetzung der Entgeltordnung fรผr den stรคdtischen Eigenbetrieb Oper Leipzig fรผr Vorstellungen und sonstige Veranstaltungen ab dem 01.08.2022 gemรคร Anlage 2, mit folgender รnderung: Die Anzahl der Sitzplรคtze des Saalplanes des Opernhauses wird in der preisgรผnstigsten Platzgruppe von 40 auf 80 Plรคtze gesteigert.โ
Vorgesehen hat die Oper mit dem neuen Preissystem nur eine Erhรถhung von 40 auf 50 Plรคtze.
Das klingt viel. In vielen Kleinkunstbรผhnen der Stadt ist das schon der komplette Zuschauersaal.
Aber da war die Rรผckfrage nur zu berechtigt, wie viele Sitzplรคtze das Leipziger Opernhaus tatsรคchlich hat. 1.148 sind es, stellte sich nach kurzem Hin und Her heraus.
Es geht also tatsรคchlich nur um eine Handvoll Sitzplรคtze ganz hinten im Saal, egal, ob man dort nun ein schlechteres Erlebnis der Auffรผhrung hat oder โ wie CDU-Stadtrรคtin Siegrun Seidel meinte โ ein besseres.
Die von der Linksfraktion beantragte Verdoppelung dieser โbilligenโ Plรคtze รคndert also nicht wirklich viel an der Einnahmesituation der Oper Leipzig.
Auch wenn Kulturbรผrgermeisterin Skadi Jennicke das suggerierte, als sie die Haltung der Stadt und der Opernleitung versuchte in Worte zu fassen. Es gรคbe ein gewisses Optimum fรผr die Gestaltung der Preiskategorien โ wenn man das รผberschreite, wรผrde das Preisgefรผge nicht mehr funktionieren.
Das Misstrauen in die โda hintenโ
Aber so recht รผberzeugte das Argument nicht. Oder jedenfalls nur jene Faktionen, die nur zu geneigt sind zu glauben, dass alle Menschen in der โGeiz ist geilโ-Mentalitรคt leben und auch Opernkarten nach dem Prinzip kaufen: mรถglichst billig, egal, ob sie sich nicht auch teurere Karten weiter vorn im Saal leisten kรถnnten.
Da war es schon sehr ehrlich, wenn Mandy Gehrt sagte, dass sie sich einen Opernbesuch mit Familie nur in der billigsten Kategorie leisten kรถnne. Und das wird mindestens 137.000 Leipziger/-innen so gehen, wahrscheinlich sogar noch mehr, denn unter dem aktuell gรผltigen Mindestlohn verdienen fast die Hรคlfte der Leipziger Beschรคftigten. Ihr Kunsterlebnis mรผssen sie in der Regel hart vom Haushaltsgeld absparen und sind glรผcklich, wenn sie noch Opernkarten in der billigsten Preisklasse bekommen.
Denn รผber die Qualitรคt dessen, was die Oper zeigt, stritt an diesem Tag niemand. Das kann sich sehen lassen. Und wer es sich leisten kann, kauft sich auch die teuren Premieren-Karten ganz vorn im Parkett.
Aber wie es den Einkommensschwachen in Leipzig tatsรคchlich geht, das ist einem Teil der Ratsversammlung nicht wirklich bewusst. Genauso wenig wie die Tatsache, dass das Geiz-ist-geil-Denken ein zentrales Vorurteil vor allem all derer ist, die โ meist gutverdienend โ immer besser zu wissen glauben, wie die anderen Leute, die ohne viel Geld in der Tasche, tatsรคchlich denken.
Und wie man an diesem Tag nun schon zwei Mal hรถren konnte, traut man ihnen alles Mรถgliche zu. Nur nicht, dass sie Gesetze genauso respektieren wie andere Leute und ihre Rechnungen anstรคndig bezahlen, egal, wie wenig sie sich leisten kรถnnen.
Und genau an der Stelle wurde es einem schon beim Zuschauen eiskalt. Bringt es dieser Stadtrat tatsรคchlich fertig, den Linke-Antrag mit solchen Argumenten vom Tisch zu fegen?
Die Spannung blieb bis zuletzt. Und dann gab es doch die รberraschung: Mit ganz knapper Mehrheit von 30:29 wurde der รnderungsantrag der Linken angenommen. Die Zahl der โbilligenโ Plรคtze wird verdoppelt. Und das dรผrfte das stรคrkste Signal derzeit an all jene sein, die sich schon seit Monaten darauf freuen, endlich wieder in die Groรen Hรคuser gehen zu kรถnnen, die sich aber nur genau diese Plรคtze da ganz hinten leisten kรถnnen.
Und das dรผrften deutlich mehr sein, als eine Stadtratshรคlfte immer noch glauben will.
Die Gesamtentgeltordnung der Oper wurde dann mit einer deutlichen Mehrheit von 50:5 Stimmen angenommen. Auch das ein Zeichen, das darf man nicht vergessen, gerade jetzt, wo alle auf ein Ende der Pandemie hoffen und endlich wieder ein Kulturerlebnis auf ihre Wunschliste setzen.
Die Debatte vom 20.01.2022
Video: Livestream der Stadt Leipzig
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