Irgendwann gibt es wohl kaum noch einen Flecken auf der Erde, der nicht irgendeinen UNESCO-Titel trägt. Noch sind diese Titel heiß begehrt, gerade dann, wenn sie vergessene, aber schützenswerte Orte wieder ins Bewusstsein der Menschheit heben. Aber die Frage stand durchaus, als die Grünen-Fraktion 2020 ihren Antrag stellte: Braucht Leipzig tatsächlich noch den Titel einer „UNESCO - Welthauptstadt des Buches“?

Das wurde inzwischen diskutiert und auch die Leipziger Literaturmacher wurden gefragt, die das Anliegen ja besonders angeht. Die Grünen machten trotzdem Druck und fragten jetzt nach dem Stand der Klärung mit den Beteiligten, ob Leipzig sich nun bewerben will oder nicht.

Gleichzeitig bedankten sich die Grünen auch: „Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns für das Engagement der Stadtverwaltung für unseren Antrag bedanken; wir haben durchaus den Eindruck, dass dem hier in Rede stehenden Antrag mit ehrlichem Bemühen begegnet wird.“

Leipzig: Pilgerstätte für Bücherfans

Denn tatsächlich wurde ja auch zu Diskussionsveranstaltungen mit den Betroffenen aus der Literaturbranche eingeladen. Und die sehen gar nicht so sehr die Notwendigkeit, Leipzig jetzt auch noch um einen Titel rangeln zu lassen, den die Buch- und Buchmessestadt eigentlich nicht braucht.

Auch wenn der alte Inhalt der Buchstadt verschwunden ist mit dem einstigen starken Druckerei- und Verlagswesen, ist Leipzig noch immer eine Pilgerstätte der Buchfreunde. Mindestens zur Buchmesse im Frühjahr, die hoffentlich bald wieder stattfinden kann.

So sieht es auch das Kulturdezernat. Die Stimmung in der Szene ist ziemlich eindeutig: „Alle Gespräche hatten gemein, dass der Titel in keinem Verhältnis zur Strahlkraft der bestehenden Formate (u. a. Leipziger Buchmesse und Leipzig liest) steht. Folgende Zahlen verdeutlichen diese Diskrepanz. Vor der Pandemie fanden im Jahr 2019 3.600 Veranstaltungen an 500 Leseorten allein im Zeitraum der Leipziger Buchmesse statt. Auf dem Messegelände wurden 2.547 Neuerscheinungen und Ausstellende aus 46 Ländern präsentiert und 286.000 Besucher/-innen in vier Tagen registriert.”

Und weiter: „Aus dem Bericht der Stadt Athen (2018) als aktuellster Titelträger im europäischen Kontext gehen folgende Größenordnungen hervor: 1,1 Millionen Euro Finanzvolumen zur Realisierung von 615 Veranstaltungen durch 212 Kooperationen innerhalb der Bewerbung um den Titel. Dabei richtete sich der Fokus auf die Vernetzung der Branche. Langfristige Effekte darüber hinaus sind nicht zu erkennen.“

Fokus auf Titel? Nein, die Erwartungshaltung ist eine andere

Und: Wer ist eigentlich extra nach Athen geflogen, um die griechische Hauptstadt auch mal als „Hauptstadt de Buches“ zu erleben? Wohl eher niemand. Da bietet die antike Geschichte Athens wesentlich mehr Attraktion.

„Statt sich also diesem Titel zu verschreiben, besteht seitens der Literaturszene die Erwartungshaltung, dass die Stadt Leipzig die Aufmerksamkeit verstärkt auf die bestehende Literatur- und Buchszene richtet“, stellt das Kulturdezernat deshalb fest.

„Die Vernetzung und Kooperation der hiesigen Literaturszene wird schon heute von dieser selbst als gut angesehen. Gewünscht wird daher, Kraft und Mittel somit in Maßnahmen fließen zu lassen, die sich am Entwicklungsbedarf orientieren und nicht am Bewerbungsverfahren um diesen Titel. Daher wird nach wie vor von einer Bewerbung als Welthauptstadt des Buches abgesehen.“

Es bedarf noch mehr Unterstützung

Dass es freilich noch Bedarf nach mehr Unterstützung gibt, darin sind sich die Literatur-Engagierten einig.

„Stattdessen werden im kommenden Jahr mit Blick auf das Themenjahr 2025 Problemstellungen und Potenziale der Branche gemeinsam mit Akteur/-innen der Literaturszene analysiert und durch einen konkreten Maßnahmenplan untersetzt. Das Ergebnis soll in das Themenjahr 2025 unter dem Arbeitstitel ‘Fokus auf den Lettern’ münden und dadurch auch finanziell Unterstützung finden“, formuliert das Kulturdezernat das Ziel, auf das man hinarbeiten möchte.

„Zur Einordnung ist es an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass der Börsenverein des deutschen Buchhandels im Jahr 2025 das 200. Gründungsjubiläum begeht. Die Stadtverwaltung setzt sich dafür ein, dass dieser Festakt in Leipzig stattfinden wird. Dieses Jubiläum und das damit verknüpfte Themenjahr bieten die Möglichkeit, die Literatur- und Buchstadt Leipzig exklusiver in den Mittelpunkt zu stellen.“

Podiumsdiskussion im Juni 2021

Die Frage der Grünen freilich war auch, mit wem die Verwaltung da das Gespräch gesucht hat, innerhalb der Leipziger Literaturszene: „In Vorbereitung wurden Arbeitsgespräche mit Vertreter/-innen der Literaturszene geführt (Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipziger Buchmesse/Leipzig liest sowie Börsenverein des Deutschen Buchhandels). Diese werden fortgesetzt“, betont das Kulturdezernat.

„Am 21.6.2021 wurde die Fragestellung im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Literaturhaus mit einer breiten Öffentlichkeit thematisiert. Zahlreiche Vertreter/-innen der Literaturszene äußerten sich auch aus dem Publikum zu Wort. Auf dem Podium beteiligten sich Oliver Zille (Direktor der Leipziger Buchmesse), Dr. Skadi Jennicke (Bürgermeisterin und Beigeordnete für Kultur der Stadt Leipzig), Katharina Krefft (Stadträtin Bündnis 90/Die Grünen) und Verena Metze-Mangold (ehemalige Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission).“

Leipzig: Rang 8 bei deutschen Verlagsstädten

Wobei mit dem Gründungsdatum des Börsenvereins des deutschen Buchhandels vor allem Verlage und Buchhändler im Fokus stehen. Aber auch die brauchen durchaus mehr Aufmerksamkeit, denn auch die Leipziger Verleger/-innen schwimmen derzeit meist unterhalb des Radars der städtischen Kulturpolitik und die Leipziger/-innen bekommen nur punktuell mit, wie viele engagierte und kreative Buchverlage in Leipzig nach wie vor aktiv sind.

Einen Teil ihrer Buchproduktion besprechen wir ja in unserer Rubrik „Bücher“. Mit Betonung auf „Teil“, denn mit rund 900 Titeln im Jahr hat Leipzig nach wie vor eine sehr ansprechende Buchproduktion, auch wenn sie unter den deutschen Verlagsstädten mittlerweile „nur“ auf Rang 8 liegt, weit entfernt von den heutigen Schwergewichten Berlin oder München.

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Keine Kommentare bisher

Das ist wirklich sächsisch. Dieses schlunzige Desinteresse daran, sich als “Welthauptstadt des Buches” auszeichnen zu lassen, wofür gerade Leipzig aber sowas von berechtigt ist (schlage ich ein Buch aus dem 19. Jhd. auf, steht da “Leipzig” drin und nicht zB München)!

Die Dresdner haben sich weltweit blamiert, den Welterbestatus für das Elbtal (nicht irgendwo kurz vor Böhmen, sondern auch für den bekanntesten Abschnitt mit Brühlscher Terrasse usw.) halt wieder verloren zu haben.

Das ist echte Verhunzung eigener Kultur.

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