In der sächsischen Innenpolitik ist das Misstrauen tief verankert. Da werden auf Verdacht großflächige Datenerfassungen angewiesen, werden gefährliche Orte und Waffenverbotszonen definiert. Und kaum eine Demonstration geht noch ohne kreisende Polizeihubschrauber über die Bühne. Dass das in Leipzig seit 2018 massiv zugenommen hat, belegen die jüngsten Auskünfte an die Landtagsabgeordnete der Linken Juliane Nagel.

Im Verantwortungsbereich der Polizeidirektion Leipzig war der Anteil an Hubschrauber-Einsätzen, die aufgrund von Versammlungslagen stattfinden, noch nie so hoch wie im ersten Halbjahr 2021, kann sie jetzt feststellen. Fast die Hälfte der Fälle, in denen Helikopter zum Einsatz abhoben, entfiel auf diesen Bereich. Das zeigt die Antwort auf die jüngste Anfrage von Juliane Nagel (Drucksache 7/7054) zum Thema.Das ist dann durchaus ein Leipziger Spezifikum. In den Vorjahren war der Anteil der Versammlungsbeobachtungen an allen Einsätzen geringer: 31,4 % (2020), 12,4 % (2019), 1,1 % (2018). Die Zahlenreihung zeigt, wie die Hubschraubereinsätze bei Versammlungen in den vergangenen drei Jahren in Leipzig systematisch zunahmen.

In 19 Einsätzen an 13 Tagen im 1. Halbjahr 2021 überwachte die Polizei Sachsen dabei Versammlungslagen über viele Stunden hinweg aus der Luft, kann Juliane Nagel feststellen. Indes blieben zahlreiche der überflogenen Kundgebungen ausnahmslos friedlich, an sechs der 13 Einsatztage wurde keine einzige Straftat in deren Kontext registriert (Drucksache 7/7568).

Hubschraubereinsätze im Gebiet der Polizeidirektion Leipzig. Zusammenstzellung und Grafik: Linksfraktion Sachsen
Hubschraubereinsätze im Gebiet der Polizeidirektion Leipzig. Zusammenstellung und Grafik: Linksfraktion Sachsen

„Es ist unverständlich, dass die Polizeidirektion Leipzig im 1. Halbjahr 2021 auch Versammlungen mit Gedenkcharakter wie jene zum Todestag von Oury Jalloh oder zivilgesellschaftliche Gedenkveranstaltungen zum Anschlag von Hanau aus der Luft überwacht hat“, kommentiert die Landtagsabgeordnete diese zumindest bemerkenswerte Entwicklung.

„Diese Einsätze hatten absehbar und offensichtlich keinen Ermittlungsnutzen. Sie haben allerdings Menschen bei der Wahrnehmung ihres Demonstrationsrechtes eingeschüchtert und sie grundlos gesundheitsschädlichen Lärm- und Umweltbelastungen ausgesetzt. Hinzu kommen immense Kosten. Die Grenzen für solche Einsätze müssen enger gefasst werden.“

Obwohl es mehr Hubschraubereinsätze aufgrund von Versammlungslagen gab, ist die Gesamtzahl der von der Polizeidirektion Leipzig angeforderten Hubschraubereinsätze im 1. Halbjahr 2021 gegenüber den Vorjahren merklich zurückgegangen.

Was Juliane Nagel darauf zurückführt, dass die Beschwerden der vom Hubschrauberlärm geplagten Stadtbewohner endlich Wirkung zeigen: „Kritische Nachfragen, Beschwerden und die Selbstorganisation von Bewohner/-innen besonders betroffener Stadtteile haben offensichtlich Erfolg – darüber freue ich mich. Die Anrufe beim Fluglärmschutzkoordinator der Stadt Leipzig, der offene Brief an den damaligen Leipziger Polizeipräsidenten Torsten Schultze im Juli 2020 und die ehrenamtlichen Social-Media-Infokanäle über Hubschraubereinsätze haben gewirkt. Nun sollte sich der Trend fortsetzen und auch die grundlose Luftüberwachung friedlicher Versammlungen unterbleiben. Dies erhöht das Verständnis der Bevölkerung für wirklich nötige Einsätze und schont Gesundheit, Umwelt und Staatshaushalt.“

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten alle Artikel der letzten Jahre auf L-IZ.de zu entdecken. Über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar