Richtungswahl, Superwahljahr, Zukunftsentscheidung: groรŸe Worte in der Nach-Merkel-ร„ra und durchaus mit einiger Berechtigung genutzt. Immerhin kรถnnte die CDU nach 16 Jahren nach dem 26. September 2021 nicht mehr in der Regierung sein. Wie all das auf die beiden Leipziger Wahlkreise 152 (Nord) und 153 (Sรผd) einwirkt und wer am Ende in der Erststimme die Nase vorn hat, kann derzeit niemand verlรคsslich sagen.

Da sind der Bundestrend der Parteien, die einzelnen Kandidatinnen und nun noch ein Mandatsverteidiger, der nach anfรคnglich fairem Wahlkampf mittlerweile zu seltsamen Mitteln greift. Jens Lehmann geht dabei wohl bis zur Verleumdung, so zumindest die Fรผhrung der SPD Leipzig, deren Vorsitzende Irena Rudolph-Kokot den CDU-Direktkandidaten auf Unterlassung verklagt.

Eine Demo und ihre mediale Rezeption

Noch immer wirken die Bilder der am vergangenen Samstag, 18. September, in Leipzig mit gesamt rund 5.000 Teilnehmenden stattgefundenen โ€žWir sind alle LinXโ€œ-Demonstration von Anmelderin Juliane Nagel (Die Linke) fort. Die Bilder, welche von den drei kleineren Barrikaden nach der Demonstration entstanden und den rot gefรคrbten Spuren an der Leipziger Polizeidirektion sowie der eingeworfenen Scheiben an Bankfilialen entlang der Karl-Liebknecht-StraรŸe wรคhrend des Demozuges gen Sรผden.Und die Bilder der Politikerinnen, welche sich am Beginn der Demonstration auf dem Johannisplatz mit dem Anliegen der Versammlung solidarisierten. Darunter von der Linken Sรถren Pellmann, Marco Bรถhme, Nina Treu und anderen, welche damit zeigen wollten: Es ist was faul in Sachsens Polizeibehรถrden und โ€žFree Linaโ€œ bis hin zur Auflรถsung der Sonderkommission des LKA Sachsen forderten.

Am Ende wurden die mehrheitlich friedlichen Demonstranten und ihre Sympathisanten medial eher durch das Wort โ€žConnewitzโ€œ und eine Welle an Bildern von kaputten Scheiben, einer zertrรผmmerten Tesla-Frontscheibe und gefรผhlt hunderten brennenden Barrikaden samt nachfolgendem Polizeieinsatz รผberdeckt.

Diesen werteten heute sogar DJV, DJU, betroffene Journalistinnen und der Leipziger Polizeiprรคsident gemeinsam aus und kamen zum Schluss, dass auch das Handeln einiger Polizeibeamter wohl nicht regelkonform und zu gewalttรคtig war.

โ€žIm Ergebnis der ersten Auswertungen des Einsatzes entschuldigte sich Polizeiprรคsident Renรฉ Demmler bei den Journalisten fรผr das in Rede stehende Vorgehen der Einsatzkrรคfte gegen einzelne Medienschaffendeโ€œ, hieรŸ es danach seitens der Polizei und dass beweiskrรคftiges Material gegen die Beamten gesichert und in einem Fall ein โ€žstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitetโ€œ wurde.

So hatte ein Beamter mutmaรŸlich einer Chemnitzer Einsatzeinheit einen Fotografen รผber den Haufen gerannt und ein weiterer nachgeschlagen, wรคhrend der Mann gegen ein Auto prallte.

Zu einer inhaltlichen Debatte rings um das Anliegen der Demo selbst โ€“ dem Handeln des LKA Sachsen und hier speziell der โ€žSoko LinXโ€œ in den vergangenen Monaten und Jahren โ€“ jedenfalls kam es deshalb noch nicht wirklich, obwohl der aktuelle Prozess um Lina E. neuen Stoff zum wundern aufgibt. Alles drehte sich anschlieรŸend um Gewalt von allen Beteiligten und wie jeder dazu stรผnde.

Wahlkampf โ€“ letzte Runde vor dem Sonntag

Bestes Futter in Wahlkampfzeiten fรผr Konservative und ihre politischen Vertreter, an deren Spitze sich Jens Lehmann fรผr seine CDU zu setzen versuchte.

Jens Lehmann (CDU), aktuell der Bundestagsabgeordnete in Leipizg Nord mit dem Direktmandat. Foto: LZ
Jens Lehmann (CDU), aktuell der Bundestagsabgeordnete in Leipizg Nord mit dem Direktmandat. Foto: LZ

In einem lรคngeren Statement teilte er nach einer starken Verurteilung der Gewalt ohne groรŸe Unterscheidung zwischen gewaltsamen und gewaltfreien Demonstrantinnen mit: โ€žDie Initiative zu der Demo kam wieder einmal von den Linken-Landtagsabgeordneten Juliane Nagel und Marco Bรถhme, der SPD-Kreisvorsitzenden Irena Rudolph-Kokot und den Stadtrรคten Jรผrgen Kasek (Grรผne) und Thomas Kumbernuss (Die Partei).โ€œ

(Der Stadtrat, welcher am 18. September 2021 sich gewohnt wie auch die anderen Genannten an keinerlei Gewalt beteiligte, heiรŸt รผbrigens KumbernuรŸ. d. Red.)

Was fรผr Laien wie eine bloรŸe Aufzรคhlung all jener Menschen wirkte, die irgendwie in Verbindung mit der Demonstration am Samstag stehen kรถnnten, ist fรผr genauere Beobachter und vor allem Juristen Grund zur Klage. Denn die Formulierung โ€ždie Initiative zu der Demo kam โ€ฆโ€œ heiรŸt ja mehr. Mehr als bloรŸe Anwesenheit oder ein Foto zum Start der Versammlung. Es ist eine aktive Formulierung einer hohen Involvierung, die โ€“ betrachtet man die Umgebungszeilen des Statements โ€“ auch die Unterstellung der mangelnden Abgrenzung zur Gewalt beinhaltet.

Sonst als eher ruhig und besonnen bekannt: Holger Mann (SPD), Direktkandidat seiner Partei im gleichen Wahlkreis wie Jens Lehmann (CDU). Foto: LZ
Sonst als eher ruhig und besonnen bekannt: Holger Mann (SPD), Direktkandidat seiner Partei im gleichen Wahlkreis wie Jens Lehmann (CDU). Foto: LZ

Und es ist โ€žeine Lรผgeโ€œ, die Jens Lehmann und Jessica Heller (CDU), welche das gemeinsame Statement am 19. September 2021 ebenfalls bei Facebook verbreitete, da in die Welt gesetzt hรคtten. So zumindest der hochalarmierte Kreisvorstand und SPD-Spitzenkandidat Holger Mann (SPD, WK152). Gerade im Falle von Irena Rudolph-Kokot, seiner Parteikollegin, dรผrfte es Lehmann und Heller tatsรคchlich schwerfallen, eine โ€žInitiative zu der Demoโ€œ nachzuweisen, denn sie war nachweislich nicht vor Ort, geschweige denn die Anmelderin der Versammlung.

Doch lรถschen wollen sie das Statement offenbar auch nicht.

Zu all dem haben Rudolph-Kokot und der Rechtsanwalt Jรผrgen Kasek nun am heutigen 23. September 2021 eine Eilverfรผgung beim Verwaltungsgericht Leipzig eingelegt und diese neben den Screenshots der ร„uรŸerungen mit zwei eidesstattlichen Erklรคrungen versehen. In beiden heiรŸt es sinngemรครŸ, dass sie โ€ždie Demonstration weder angemeldet, noch organisiert oder mitorganisiert oder den AnstoรŸ dazu gegebenโ€œ hรคtten (Kasek) noch โ€žweder initiiert, noch angezeigt oder durchgefรผhrt habe. Ich habe noch nicht einmal teilgenommen.โ€œ (Rudolph-Kokot).

Rechtsanwalt Jรผrgen Kasek (Grรผne) und Irena Rudolph-Kokot (SPD) bei einer anderen Demo. Foto: LZ
Rechtsanwalt Jรผrgen Kasek (Grรผne) und Irena Rudolph-Kokot (SPD) bei einer anderen Demo. Foto: LZ

Interessant ist auch die Begrรผndung des der LZ vorliegenden Antrages. So sei โ€ždie Behauptung geeignet (โ€ฆ), das Ansehen der Antragsteller gerade im politischen Meinungskampf zu schรคdigen. Auch das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass die Grenzen im politischen Meinungskampf weit zu ziehen sind und Personen, die direkt im politischen Meinungskampf stehen, sich mehr gefallen lassen mรผssen. Die gezielte Verbreitung von falschen Tatsachenbehauptungen, um eine bestimmte Meinung zu unterfรผttern, gehรถrt allerdings nicht dazu.โ€œ

Zudem hรคtten die Antragsgegner mitgeteilt, โ€ždass sie zu keiner Klarstellung bereit sind und die falsche Tatsachenbehauptung weiter verbreitenโ€œ.

In Wahlkampfzeiten haben solche ร„uรŸerungen hรถheres Gewicht als sonst, denn der Versuch, hier letztlich alle Parteien links der CDU in einen Topf zu werfen, zeigt die Kalkulation, politischen Kontrahenten um Mandate und Stimmen ein Gewalt-Stigma anzuhรคngen.

Mindestens eine Schmutzelei, wie sie bislang im Leipziger Wahlkampf noch keinen Platz hatte. Sie zeigt wohl auch, dass der wochenlange Umfrageabstieg der CDU bis nach Leipzig durchschlรคgt und die Nervositรคt grรถรŸer als in den Wahljahren zuvor ist.

Ob solche Zuweisungen hingegen juristisch haltbar sind, wird nun das Verwaltungsgericht in einem Eilverfahren entscheiden mรผssen. Vielleicht ja noch vor dem Wahlabend.

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Es gibt 2 Kommentare

Ich unterstreiche den Kommentar von Stefan und mรถchte ergรคnzen: Jessica Heller ist ja schon eine der jungen Frauen in der CDU und hat sich aus Sicht der Antragsteller beim Verwaltungsgericht ja auch nicht so super verhalten.

Noch ein Satz in Richtung chauvinistisch-dรคmlicher Union (CDU): Hรถren Sie einfach mal auf mit ihrem undifferenzierten Geschrei vom Linksterrorismus und der Legende, dass es in Connewitz ja nur Gewalttรคter und linke Verbrecher gebe. Der Stadtteil ist mit ganz wenigen Ausnahmen so bรผrgerlich wie der Rest von Leipzig. Sie bereiten damit den Boden fรผr die ganzen Neonazis von III.Weg, dem Flรผgel der AfD (Auflรถsung, werโ€™s glaubt) und die Basis.

Natรผrlich muss man Gewalt ablehnen, aber wer wie sie nie bei irgendeinem zivilgesellschaftlichen Engagement mit auf die StraรŸe geht, kann sich auch immer schรถn zurรผcklehnen und friedlichen Demonstrationsteilnehmern die immer gleichen und dadurch nicht richtigeren Vorwรผrfe machen.

Glossar: Chauvinismus [สƒoviโ€™nษชsmสŠs] ist der Glaube an die รœberlegenheit der eigenen Gruppe.

Die CDU Leipzig macht sich schon seit Jahr(zehnt)en unmรถglich und zum Fremdschรคmen. Was fรผr krudes Zeugs von denen immer kommtโ€ฆ

Die tonangebenden Mitglieder sollten endlich zurรผcktreten und zB den รคlteren Mitgliedern der JU Platz machen.

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