Mit ihrem Antrag, im Norden von Leipzig fünf Fluglärmmessstationen in kommunaler Hoheit aufzustellen, sind ja die Grünen in der Ratsversammlung im März mehr oder weniger gescheitert. Die 100.000 Euro dafür wurden nicht in den Doppelhaushalt 2021/2022 aufgenommen. Das Anliegen wurde dennoch „zur Kenntnis genommen“. Also damit mal wieder vertagt. Jetzt hat die Stadt dazu noch einmal Stellung genommen.
„Für den Aufbau und den Betrieb von fünf kommunalen Fluglärm-Messtationen (nach dem Vorbild von Frankfurt/Main) an Standorten in  Lindenthal, Lützschena-Stahmeln, Böhlitz-Ehrenberg, Wiederitzsch und Seehausen werden Haushaltsmittel in Höhe von 100.000 € in 2022 zur Verfügung gestellt. Neben den berechneten Messdaten sollen endlich auch die tatsächlich gemessenen Lärmpegel (Lärmspitzen) für die Öffentlichkeit online dokumentiert werden und in regelmäßigen Zeitabständen analysiert werden“, hatten die Grünen beantragt.Das Anliegen fand durchaus Verständnis auch bei der Verwaltung. Aber die klemmt beim Thema Flughafen Leipzig/Halle zwischen Baum und Borke, will es sich weder mit dem Flughafeneigentümer Sachsen noch mit dem Flughafen und den Logistikfirmen, die dort wirtschaften, verderben. Und so nutzt Leipzigs Verwaltung lieber die beiden Gremien, in denen man den Fluglärm ansprechen kann, um ihre Positionen zu äußern, wenn auch nicht wirklich mit aller Macht durchzukämpfen.
Neben der in der Regel zahnlosen Fluglärmkommission gehört dazu auch das Dialogforum Flughafen, in dem etwas öffentlicher diskutiert werden kann und wo das Amt für Umweltschutz auch die Diskussion um eigene Lärmmessstellen gern platzierten möchte.
„Das Anliegen der Durchführung von stadteigenen oder weiteren Fluglärmmessungen im Stadtgebiet von Leipzig wird in der ersten Sitzung des Dialogforums Flughafen Leipzig/Halle der Stadt Leipzig im Jahr 2022 unter Einbeziehung aller involvierten Akteure inklusive des Flughafens Leipzig/Halle in einem ergebnisoffenen Dialog grundlegend analysiert, erörtert und geprüft“, schlägt es deshalb in der Stellungnahme des Umweltdezernats vor.
„Dabei soll herausgearbeitet werden, aufgrund welcher Motivation welche Ziele mit den Messungen verfolgt werden sollen und wie diese Ziele effizient (stadteigene oder Flughafenmessungen) realisiert werden können. Das Dialogforum erarbeitet dann dazu ein Positionspapier. Dieses wird dem Stadtrat vor Bestätigung des Doppelhaushalts 2023/24 zur Entscheidung vorgelegt.“
„Messphänomene“ selbst im 21 km entfernten Markkleeberg
Ausgelöst hatte den Grünen-Antrag ja ein auffälliges Messergebnis einer mobilen Lärmmessstation in Lützschena-Stahmeln, aufgestellt an einer Stelle, die eigentlich deutlich außerhalb des öffentlichen Lärmschutzgebietes liegt. Aber die Messungen zeigten einige auffällige Unregelmäßigkeiten, die darauf hindeuten, dass deutlich größere Teile des Leipziger Nordens von Fluglärm betroffen sind, als vom Lärmschutzgebiet erfasst. Ob es ähnliche Effekte auch in Böhlitz-Ehrenberg gab, wo eine zweite mobile Messstelle aufgestellt wurde, ist noch offen.
Die Ergebnisse der von der Stadt Markkleeberg beantragten Messungen im Markkleeberger Gebiet wurden am 14. September vorgestellt und zeigen die ganzen Probleme der Messungen. Denn sie beruhen wie gehabt auf der rechnerischen Ermittlung von Dauerschallpegeln. Erst hier sorgen die Grenzwert-Überschreitungen dafür, dass überhaupt Lärmschutzmaßnahmen ergriffen werden müssten.
Das Fazit des Flughafens zu den Markkleeberger Messungen lautete dann auch: „Die Schutzkriterien für den Tagzeitraum (06:00–22:00 Uhr) gemäß Planfeststellungsbeschluss vom 04.11.2004 zum Ausbauvorhaben der Start- und Landebahn Süd mit Vorfeld sehen die Auslösung von Schallschutzmaßnahmen bei einer Lärmbelastung in einer Höhe von Dauerschallpegel L, Aeq > 60 dB(A) für einen Durchschnittstag vor.“
Dummerweise schrecken Menschen aber nicht vom Dauerschallpegel aus dem Bett, sondern bei den ganz konkreten ĂśberflĂĽgen von lauten, schweren Maschinen, die in Markkleeberg nun seit einigen Jahren fĂĽr heftigen Ă„rger sorgen.
Im Messbericht findet man sehr wohl Hinweise auf diese lauten Überflüge: „Die Statistik weist als höchsten Pegel im Zeitraum tags jeweils zwei Fluglärmereignisse und nachts ein Fluglärmereignis in der Pegelklasse von 70,0–74,9 dB(A) aus. Der überwiegende Teil der Fluglärmereignisse nachts lag in der Pegelklasse von 55,0-59,9 dB(A)“, kann man da zum Beispiel für den Messzeitraum 15.12.2020 bis 25.03.2021 lesen.
Eine Aussage, die völlig vernachlässigt, dass auch Lärmpegel über 55 und 60 dB(A) in der Nacht im eher stillen Markkleeberg für Aufweckereignisse sorgen. Und das sind eben nicht nur zwei. Und die Statistik zeigt gerade für die Nacht, dass die Frachtflieger hier deutlich häufiger über Markkleeberger Stadtgebiet donnern als tagsüber. Im Messzeitraum gab es z. B. 452 nächtliche Überflüge mit 55 bis 59 dB(A), 120 mit 60 bis 64 dB(A) und 17 mit 65 bis 69 dB(A).
Es wäre eine Überraschung, wenn es in Lützschena-Stahmeln und Böhlitz-Ehrenberg anders wäre. Eher ist dort mit deutlich mehr Lärmereignissen zu rechnen.
Der Flughafen macht das schon richtig …
Und es dürfte die Fluglärmbetroffenen im Leipziger Norden und Westen nicht wirklich trösten, dass 2022 erst einmal die Diskussion über den Sinn eigener Lärmmessungen beginnen soll.
Denn so sieht es das Amt für Umweltschutz: „Vor diesem Hintergrund wird alternativ zum Beschlussantrag A 0062/22 vorgeschlagen, beginnend mit der ersten Sitzung des Dialogforums Flughafen Leipzig/Halle im Jahr 2022 das Anliegen der Fluglärmmessungen mit allen Beteiligten umfassend und grundsätzlich ergebnisoffen zu diskutieren. Dabei soll zuerst herausgearbeitet werden, mit welcher Motivation und welchen Zielen weitere Fluglärmmessungen im Leipziger Stadtgebiet erfolgen sollen und welche Handlungsbedarfe sich aktuell und voraussichtlich zukünftig in den benannten Ortsteilen Lindenthal, Lützschena-Stahmeln, Böhlitz-Ehrenberg, Wiederitzsch und Seehausen erkennen lassen. Dies kann unter Zuhilfenahme von bereits vorliegenden Messergebnissen für diese Ortsteile erfolgen. Erst danach ist zu analysieren, zu diskutieren und festzulegen, ob und wenn ja, wann und an wie vielen und welchen Standorten Messungen durch wen und zu welchem Zweck durchgeführt bzw. finanziert werden sollen.“
Dass das Amt für Umweltschutz dabei sogar darauf vertraut, dass die Lärmmessungen des Flughafens selbst aussagekräftig genug sind, wird in diesem Absatz deutlich: „Die Flughafen Leipzig/Halle GmbH betreibt demgemäß eine Fluglärmessanlage mit zehn stationären Messstellen. Die Auswertung der Aufzeichnungen der Fluglärmmessstationen des Flughafens Leipzig/Halle werden regelmäßig durch das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Referat Luftverkehr, unter Einbeziehung eines unabhängigen Ingenieurbüros kontrolliert. Auch die Fluglärmkommission wird in ihren Sitzungen stets über die Messergebnisse informiert, sodass eine regelmäßige Kontrolle der Einhaltung der Schallschutzauflagen sichergestellt ist.“
Sind die Bewohner im Nordwesten nur zu geräuschempfindlich?
Worum es ja im Antrag gar nicht ging. Es ging eindeutig um das Erfassen des (nächtlichen) Fluglärms in den Leipziger Ortsteilen, die von Fluglärm betroffenen sind, aber nicht im Lärmschutzgebiet liegen. Dazu muss man aber messen.
Und dass die Messungen überraschen, gibt auch das Amt für Umweltschutz zu: „Überprüfungsmessungen im Windmühlenweg im Ortsteil Lützschena-Stahmeln seit dem Jahr 2016 hingegen haben eine Überschreitung des Kriteriums zur Auslösung von Schallschutzmaßnahmen für den Nachtzeitraum ergeben. Dem Eigentümer des Messortes wurde daraufhin die Herstellung von baulichem Schallschutz nach Maßgabe der Festlegungen des Planfeststellungsbeschlusses seitens des Flughafens angeboten.“
„In Abstimmung mit der Fluglärmkommission, dem Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie sowie der Stadt Leipzig laufen die weitergehenden Untersuchungen zur Klärung des Messphänomens und der räumlichen Abgrenzung. Gemäß Beschlussempfehlung der Fluglärmkommission hat sich die Flughafen Leipzig/Halle GmbH im letzten Jahr eine weitere zusätzliche mobile Messstation angeschafft, um dauerhaft drei mobile Messstellen einsetzen zu können und damit dem Messbedarf gerecht zu werden, sodass keine allzu langen Wartezeiten entstehen.“
Nur ein Messphämonen? Das dürften die Bürger im Leipziger Nordwesten, die nachts aus den Betten gerüttelt werden, durchaus anders sehen. „Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die Flughafen Leipzig/Halle GmbH über entsprechende Messtechnik verfügt, um regelkonforme und amtliche Fluglärmmessungen durchführen zu können. Bei entsprechenden Messergebnissen erfordern diese Messungen auch direkt ein Agieren des Flughafens“, meint das Amt für Umweltschutz.
Man wird das Gefühl nicht los, dass die Verwaltung das Thema nicht wirklich erfassen will. Sind ja nur – je nach Bürgerumfrage – zwischen 5 und 9 Prozent der Leipziger/-innen, die sich über starke bis sehr starke Fluglärmbelastung beklagen. Das sind also „nur“ so 30.000 bis 50.000 Menschen, die – wie die Karte aus der „Bürgerumfrage 2019“ zeigt – vor allem im Norden und Nordwesten wohnen.
Da kann man sich natürlich als Verwaltung darauf berufen, dass die Lärmmessungen vom Flughafen „regelkonform und amtlich“ durchgeführt werden. Aber was nutzen die amtlich geglätteten Messungen, die dann in der Regel Dauerschallpegel ergeben, die deutlich unter dem Auslösewert für Schallschutzmaßnahmen liegen, obwohl die Bewohner der Region durch die Lärmspitzen der lauten Frachtflieger aus den Betten gerissen werden?
Das passt alles nicht zusammen. Und eine sehr rege Diskussion im Dialogforum ist jetzt schon absehbar.
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Die Stadt ist es ihren Einwohnern schuldig, sich um deren Schutz zu kĂĽmmern.
Da ist es zu erwarten, dass sich die Stadt um die Einhaltung von Recht und Gesetz stark macht.
Bei Einnahmen durch bspw. Gewerbesteuern wird bestimmt auch niemand auf Jahre vertröstet, wenn Probleme entstehen.
“Dabei soll herausgearbeitet werden, aufgrund welcher Motivation welche Ziele mit den Messungen verfolgt werden sollen und wie diese Ziele effizient (stadteigene oder Flughafenmessungen) realisiert werden können”
“Das Dialogforum erarbeitet dann dazu ein Positionspapier.”
“2034/24 zur Entscheidung vorgelegt”.
Das ist eine schriftlich fixierte Verarschung der Antragsteller bzw. BĂĽrger der eigenen Stadt!
Das Thema ist seit Jahren bekannt.
Die Stadt sitzt es aus.
Der BĂĽrger ist offensichtlich – egal.