Die kommende Bundestagswahl dürfte spannend werden – auch in den beiden Leipziger Wahlkreisen. Etwas mehr als einen Monat vor der Wahl hat sich die LEIPZIGER ZEITUNG mit Kandidat/-innen aus dem südlichen Wahlkreis 153 zum Gespräch getroffen. Im ersten Teil des Interviews mit Peter Jess spricht der FDP-Kandidat über seine Motivation, in die Politik zu gehen, darüber, wie Handwerksberufe für junge Leute attraktiver werden können, und erklärt, weshalb er für die Meisterpflicht im Handwerk ist.
Du bist nach Deiner Ausbildung zum Zimmerer Anfang der 00er Jahre zum Arbeiten in den Südwesten Deutschlands gegangen und 2014 nach Leipzig zurückgekehrt, um Deinen Meister zu machen. Gab es weitere Gründe für die Rückkehr nach Leipzig?Leipzig ist meine Heimat. Nach 13 Jahren Abwesenheit aus Leipzig hatte ich die Sehnsucht, zu meiner Familie zurückzukehren. Ich habe mich damals erkundigt, wie es in Baubranche hier aussieht. Mein Cousin ist Großbauer und meinte, es läuft gut. Daraufhin bin ich wieder nach Leipzig gezogen und habe schnell einen Job gefunden.
Ich hatte nach meiner Lehre die Wahl – für sehr wenig Geld vorübergehend arbeiten und später vielleicht in der Arbeitslosigkeit landen oder in die alten Bundesländer gehen. Die Baubranche im Osten war Anfang der 00er Jahre tot. Es gab fast keine Stellen. Und wer doch eine gefunden hat, war am Ende zwar im Osten angestellt, aber dann eben doch die ganze Woche auf Montage in Baden-Württemberg – und das für Ostgehalt.
Wie ging es nach Deiner Rückkehr nach Leipzig für Dich weiter?
Ich hatte bald die Aussicht, die Firma meines damaligen Chefs zu übernehmen und mich deshalb dazu entschieden, die Meisterschule in Chemnitz und Leipzig zu besuchen. Doch kurz bevor die Firmenübernahme stattfinden sollte, kam Corona. Die Bank wollte kurz vor dem ersten Lockdown wegen der großen Unsicherheit keine großen Kredite geben. Mein Chef wollte aber zeitnah in Rente, weshalb die Übernahme letztendlich nicht funktioniert hat.
Die Bürokratie rund um die Firmenübernahme hat mir den Rest gegeben. Im April habe ich der Handwerkskammer angezeigt, dass ich einen Betrieb übernehmen will. Meine Vorstellung war, die Firma zum Jahreswechsel zu übernehmen. Der Mitarbeiter sagte trocken zu mir: das wird sportlich. Wie kann es sein, dass acht Monate Vorlauf zu wenig für eine geplante Firmenübernahme sind? Das muss doch schneller gehen.
Die Situation hat mich schon ganz schön frustriert. Das war auch ein Aspekt, der in die Entscheidung eingeflossen ist, zu kandidieren. Es kann nicht sein, dass junge Leute, die sich verwirklichen wollen, so lange warten müssen, bis sie eine Firma gründen können.
Das heißt, wenn Corona nicht passiert wäre, wärst Du jetzt kein Bundestagskandidat?
Hätte ich die Firma übernommen, hätte ich nicht kandidiert.
Was hat Dich politisiert?
Ich war schon immer FDP-Wähler, weil ich der Meinung bin: Wer etwas erreichen will, muss etwas leisten. Ein Schlüsselmoment, in dem ich gemerkt habe, dass ich in der FDP richtig bin, war folgender: Ein ehemaliger Kollege hat oft rumgejammert, dass er zu wenig Geld hat. Ich habe ihm gesagt: Dann arbeite doch einfach mehr und bilde dich weiter. Er meinte dann: Was? Mehr arbeiten? Nee! Ich denke jedoch: Wer viel lernt und viel arbeitet, der soll davon auch was haben.
Wann bist Du in FDP eingetreten?
Vor vier Jahren. Das war kurz nach der Meisterschule, als ich plötzlich ziemlich viel Freizeit hatte und mich nach einem neuen Hobby umgeschaut habe. Dann dachte ich: Probiere es doch mal mit der Politik.
In vielen Handwerksberufen braucht man einen Meistertitel, um eine Firma leiten und ausbilden zu dürfen. Die einen sagen, dass der Meistertitel aufgrund der Kosten und der Dauer eine zu große Hürde darstellt und das Handwerk generell unattraktiv macht. Andere meinen, dass der sogenannte Meisterzwang richtig ist, um die Qualität des Handwerks zu sichern. Wo positionierst Du Dich?
Ich bin für die Meisterpflicht. Es gibt natürlich bestimmte Berufe, für die man keinen Meister braucht. Doch gerade im Handwerk ist ein Meister notwendig, um eine gewisse Sicherheit zu haben, die man erst in der Meisterschule lernt. Wer ausbilden will, muss den Ausbilderschein haben und konkret wissen, welche Inhalte zu vermitteln sind. Die Meisterpflicht ist deswegen extrem wichtig.
Für Fliesenleger beispielsweise wurde die Meisterpflicht abgeschafft. Plötzlich hat sich dann jeder Hinz und Kunz als Fliesenleger betitelt und eine Sauqualität abgeliefert. Der Meister steht für Gründlichkeit und gute Qualität.
Man könnte aber auch sagen: Wer schlechte Qualität abliefert, bekommt irgendwann keine Aufträge mehr und die Situation klärt sich von selbst.
Nein, die Leute schauen meist einfach, wer der billigste Fliesenleger ist, und wundern sich am Ende, warum das Ergebnis nicht zufriedenstellend ist. Natürlich kostet ein Fliesenleger mit Meistertitel mehr als einer ohne, weil die Meisterschule so teuer ist. Doch die Mehrkosten lohnen sich.
Laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks gab es im Jahr 1999 bundesweit 123.000 Handwerk-Azubis. Im Jahr 2016 waren es nur noch 54.000. Was muss die Politik tun, um das Handwerk zu stärken?
Zuallererst muss das Renteneintrittsalter flexibel gestaltet werden. Man sollte ab 60 selbst entscheiden können, ob man in Rente gehen möchte oder nicht. Mach mal einem jungen Kerl klar, dass er mit 65 noch auf dem Dach stehen muss – Handwerk ist harte Arbeit. Dieser Zwang macht die ganze Branche unattraktiv.
Des Weiteren gibt es die Frage: Wie kommen die jungen Leute in die Firma? Die meisten Handwerksbetriebe sind auf dem Land, beispielsweise in Störmthal. Die öffentlichen Verkehrsanbindungen im ländlichen Raum sind eine Katastrophe. Wir müssen daher den ÖPNV auf dem Land stärken. Die Erreichbarkeit von ausbildenden Betrieben muss gewährleistet sein.
Das nächste ist, dass den jungen Leuten vermittelt werden muss, dass ein Beruf in der Handwerksbranche nicht das Ende der Karriereleiter bedeutet und zudem einer der kürzesten Wege in die Selbstständigkeit ist. Selbst mit Hauptschulabschluss kannst du einen Meister machen und somit eine eigene Firma gründen.
Der vierte Aspekt ist Bildung. Wir brauchen naheliegende Schulen für jede Berufsgruppe. Es gibt beispielsweise in Deutschland drei oder vier Gerüstbauschulen. Das heißt, dass ein Leipziger Berufsschüler nach Dortmund muss, um die Ausbildung zu absolvieren. Das macht bestimmte Handwerksberufe unattraktiv.
Der zweite Teil des Interviews erscheint am Freitag, dem 20. August.
Auf dieser Seite sammeln wir alle Interviews mit den Kandidat/-innen.
In der aktuellen Print-Ausgabe der Leipziger Zeitung (LZ) finden Sie einen Schwerpunkt zur Bundestagswahl.
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