Die kommende Bundestagswahl dürfte spannend werden – auch in den beiden Leipziger Wahlkreisen. Etwas mehr als zwei Monate vor der Wahl hat sich die Leipziger Zeitung (LZ) mit Kandidat/-innen aus dem nördlichen Wahlkreis 152 zum Gespräch getroffen. Im zweiten Teil des Interviews mit Holger Mann spricht der SPD-Kandidat über Negativwahlkampf, prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft und sozialen Sprengstoff in der Wohnraumfrage.
Kann es für die SPD im Wahlkampf ein Vorteil sein, dass sich vieles auf den möglichen Zweikampf zwischen CDU und Grünen konzentriert?
Ich weiß nicht, ob das ein Vorteil ist. Die Rolle als Underdog kann schon nett sein. Wir haben ja den Schulz-Zug erlebt und die Grünen haben in Umfragen zuletzt sieben, acht Prozentpunkte eingebüßt. Im selben Zeitraum haben wir drei Prozentpunkte zugelegt. Wenn das in dem Tempo weitergeht, sind wir am Ende vor den Grünen.
Einige befürchten einen ähnlichen Negativ-Wahlkampf wie in den USA. Teilen Sie diese Befürchtung?
Da müssen wir gar nicht mehr von einer Befürchtung reden – das gehört schon zum Modus. Wir haben ja vier bis fünf Monate vor allen anderen unseren Spitzenkandidaten verkündet und haben dann Negativkampagnen erlebt. Dann wurden die Grünen mit teilweise konstruierten Vorwürfen aufs Korn genommen. Man kann nicht bei Annalena Baerbock darauf verweisen, dass sie im Lebenslauf Änderungen vornimmt, wenn der andere bei der Notenvergabe getrickst hat.Gerade bei Rechten gehört es mittlerweile zum Arsenal, die Gegner schlecht zu reden. Der Politikwissenschaftler würde von asymmetrischer Demobilisierung reden. Bei der CDU geht es stärker darum, dem Ansehen der Gegner zu schaden, als eine eigene Zukunftsvision anzubieten.
Dann reden wir über Inhalte. Bei der SPD sind Sie unter anderem für Hochschulpolitik zuständig. Wie haben Sie die wochenlangen Diskussionen über prekäre Beschäftigung wahrgenommen, die unter dem Hashtag „Ich bin Hanna“ geführt wurden?
Sie waren überfällig. In Sachsen versuchen wir ja schon seit langer Zeit, das Thema nach vorne zu bringen, und haben da mit der Zielvereinbarung und dem Rahmenkodex für bessere Beschäftigungsverhältnisse auch Erfolge. Auf Bundesebene waren die letzten vier Jahre hochschul- und wissenschaftspolitisch eine ziemliche Enttäuschung, was vor allem an einer Fehlbesetzung an der Spitze des Ministeriums liegt.
Man muss aber auch über das Wissenschaftssystem reden. Dass nur die Professoren die Träger der Wissenschaftsfreiheit sind, ist aus meiner Sicht veraltet. Das wurde in den 70er Jahren mal so bestimmt, aber heute ist die Wissenschaftslandschaft hochgradig davon geprägt, dass sogenannte Nachwuchswissenschaftler, die teilweise 40 Jahre und älter sind, ihren Beitrag dazu leisten. Der wissenschaftliche Mittelbau muss mehr Mitsprache bekommen.
Was würden Sie am Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern, wenn Sie es könnten?
Erstmal muss man sagen, dass es eigentlich dafür gedacht war, die Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer vor zu langen Beschäftigungsketten zu schützen – eine Qualifizierungsphase sollte eine Qualifizierungsphase sein. Ich persönlich würde mich am skandinavischen Modell orientieren. Da gibt es eine feste Zeit, in der man sich im Wissenschaftssystem bewähren kann und muss. Wenn man das nicht schafft, muss es eine Exit-Option mit Übergangszeit geben; und wenn man es schafft, muss man eine Chance haben, in die Wissenschaftslandschaft einzusteigen. Das Modell berücksichtigt auch Dinge wie Kinderkriegen, Pflege von Angehörigen und Krankheit.
Kommen wir noch zum großen Thema Wohnen. Sie haben mal geschrieben, dass Ihr Motto „Leipzig – Stadt für alle“ sei. Was bedeutet das?
Wir haben im Osten ein eklatantes Gerechtigkeits- und Zukunftsproblem. In Leipzig leben 88 Prozent der Menschen ohne eigenes Wohneigentum. Diese unterschiedlichen Macht- und Besitzverhältnisse werden dadurch verschärft, dass die Mieten schneller gestiegen sind als die Löhne. Das gibt sozialen Sprengstoff. Das Problem spitzt sich auch deshalb zu, weil wir jedes Jahr eher Sozialwohnungen verlieren als neu zu schaffen. „Bauen, bauen, bauen“ als Lösung ist mir zu kurz gedacht. Wenn man im Internet schaut, wo wir aktuell bei den Quadratmeterpreisen sind, weiß man, dass sich Menschen mit Durchschnittsverdienst keinen Neubau leisten können.
Wir haben aber bei der Stadtentwicklung jede Menge Möglichkeiten. Wir können beispielsweise darauf hinwirken, dass bei neuen Vierteln die 30 Prozent Sozialwohnungen nicht nur ein netter Richtwert sind, sondern auch tatsächlich kommen. In der Vergangenheit haben das einige Investoren unterlaufen. Und wenn diese der Meinung sind, sie könnten große Grundstücke – zum Beispiel am Bayrischen Bahnhof – einfach zehn Jahre liegen lassen, dann muss die Stadt einen Hebel haben, die Grundstücke zurückzubekommen.
Inwiefern sind Hausbesetzungen, wie es sie in Leipzig zuletzt häufiger gab, eine legitime Form des Protests gegen Gentrifizierung?
Rein rechtlich ist es nicht legitim, aber als Protestform ist es mehr als verständlich und hat zum Beispiel in Berlin schon einiges bewirkt. Die Frage ist, ob wir damit dauerhaft weiterkommen. Denn es geht ja nicht nur um Aufmerksamkeit, sondern auch um Zuspitzung des gesellschaftlichen Konflikts.
Man könnte das mit politischen Instrumenten angehen und zum Beispiel die Grunderwerbssteuer verdoppeln. Wenn der Weiterverkauf deutlich teurer wird, dann überlegt man sich dreimal, ob man Häuser kauft, anderthalb Jahre leer stehen lässt und dann zu einem höheren Preis weiterverkauft. Den normalen Häuslebauer könnte man davon freistellen. Außerdem sollte der Staat die Möglichkeit bekommen, zu enteignen, wenn Objekte für eine bestimmte Zeit nicht bewirtschaftet werden. Das ist dann aber eine Aufgabe des Staates, nicht von Individuen. Das gehört zum Rechtsstaat dazu.
Den ersten Teil des Interviews können Sie hier nachlesen.
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