Die Regenkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz hat einmal mehr gezeigt, dass unsere Flüsse und Städte nicht wirklich vorbereitet sind auf die Wetterextreme der nahen Zukunft. Seit zwei Jahren diskutiert auch Leipzigs Stadtrat über das Thema Schwammstadt, also die Fähigkeit der Stadt, extreme Regenereignisse möglichst gut zu überstehen. Die Verwaltung hat einen Arbeitsauftrag. Und die SPD-Fraktion hat jetzt nachgefragt. Und zwar noch vor der Katastrophe an der Erft.
Am 6. Juli hat die SPD-Fraktion ihre entsprechenden Fragen gestellt, auch wenn sie so klingt, als hätte die Fraktion direkt auf die dramatischen Bilder vom 15. und 16. Juli reagiert. Aber die Leipziger SPD hat durchaus mitbekommen, wie schon vor dem 14. und 15. Juli die schweren Regen immer wieder in Westdeutschland herunterkamen, als wäre die Gewitterfront über dem Rhein regelrecht festgetackert. Die Warnungen der Meteorologen erinnerten die Ratsfraktion daran, dass der Stadtrat da ja im Oktober 2010 mit 58 zu null Stimmen und einer Enthaltung einen Arbeitsauftrag erteilt hat.Freilich mit dem seltsamen Ergebnis, das ausgerechnet der Satz „Ein Schwerpunkt des Konzepts soll die sogenannte Schwammstadt (Sponge City) sein.“ mit 30:31 Stimmen aus dem Beschluss gestrichen wurde.
Ein Thema, das gerade für die Rietzschke-Aue wichtig werden wird. Das weiß auch die Verwaltung. Denn im gesamten Gebiet, wo die Östliche Rietzschke in die unterirdische Kanalisation verbannt wurde, weist die Leipziger Starkregengefahrenkarte lauter potenzielle Überschwemmungsgebiete auf, die – seltsamerweise – mit der alten Rietzschke-Aue identisch sind. Hier kann die Stadt nicht einfach nur auf die Pflicht der Hauseigentümer zur Vorsorge verweisen. Hier muss sich auch an der Oberfläche einiges verändern – nämlich hin zur Schwammstadt.
„Klimaforscher warnen, dass es infolge des Klimawandels zunehmend zu Wetterextremen kommen wird. Dazu gehören insbesondere auch regelmäßige Unwetter in unserer Region, mit Starkregen, Hagel, Sturm usw.“, stellte die SPD-Fraktion in ihrer Anfrage fest.
„Die letzten Wochen haben gezeigt, diese Unwetter treten sehr kleinräumig, aber dafür mit großer Kraft und viel Wasser auf, wenn sie über einem Gebiet stehen bleiben. Straßen und Grundstücke können überschwemmt werden, Wasser in tieferliegende Flächen und selbst in Gebäude eindringen. Selbst bei optimaler Ausstattung der Siedlungsentwässerung könnten diese Extremwetterlagen nicht sicher beherrschbar sein. Mieter und Eigentümer sollten sich daher auch selbst vor Schäden durch Starkregen schützen können.“
Da legte die SPD-Fraktion der Stadtverwaltung ja den Ball regelrecht vors Tor. Und entsprechend flott weicht das Baudezernat der Brisanz der Frage dann auch aus: „Auf welche Maßnahmen der schnellen und kurzfristigen Gefahrenabwehr, insbesondere bei Starkregen, ist die Stadt Leipzig aktuell vorbereitet?“
Da muss man nicht von einem Umbau der zubetonierten Stadt sprechen. Also erklärt das Baudezernat: „Die Gefahrenabwehr insbesondere bei Starkregen ist eine Gemeinschaftsaufgabe der Stadt, der Grundstückseigentümer und der Leipziger Wasserwerke. Die Grundstückseigentümer müssen sich präventiv auf das verstärkte Auftreten von Starkregenereignissen einstellen.“ Den Rest machen dann die Einsatzkräfte von Feuerwehr bis THW.
Es ist schon erstaunlich, wie wenig man die Brisanz des von den Grünen eingebrachten Begriffs Schwammstadt begriffen hat.
Und so sah auch die SPD-Fraktion eher die Grundstückseigentümer in der Pflicht: „Sensibilisiert die Stadt Grundstückseigentümer dafür, Versiegelungen zu reduzieren, um die Abnahme der natürlichen Regenzurückhaltung zu reduzieren und wenn ja, wie?“
Das tut die Stadt auch. Aber eher unter dem Aspekt Freiwilligkeit, nicht dem der Pflicht, wie das Baudezernat mitteilt:
„Die Stadt Leipzig hat in Zusammenarbeit mit den KWL im Jahr 2018 die Broschüre ‚Wassersensibel planen und bauen in Leipzig – Leitfaden zur Starkregenvorsorge für Bauherren, Hauseigentümer, Planer und Architekten‘ und im Jahr 2020 die ‚Starkregengefahrenkarte‘ herausgegeben, wo sich die Bürger/-innen über die Gefahrenlage des eigenen Grundstückes sowie über mögliche Vorsorgemaßnahmen informieren können. Gegenwärtig erarbeitet die Stadt gemeinsam mit den KWL einen ‚Leitfaden zur Niederschlagswasserbewirtschaftung‘, der den Grundstückeigentümern eine naturnahe Niederschlagswasserbewirtschaftung nahebringen soll, um das Niederschlagswasser wo immer möglich vor Ort zu belassen.“
Und dann wird es fluffig, wie man es mittlerweile kennt, wenn die Brisanz eines Themas nicht wirklich verstanden wurde: „Schwieriger gestalten sich die Entsiegelung in der bestehenden Bebauung, da diese nicht per Gesetz oder andere Vorschriften durchsetzbar sind. Zum anderen erfolgt gegenwärtig eine Verdichtung der Bebauung, was dazu führt, dass sich die Flächen für eine Bewirtschaftung des Niederschlagswassers weiter reduzieren.“
Und dann?
Nichts. Bestenfalls eine freundliche Beratung, kein Konzept: „Hinsichtlich der Veränderung der Niederschlagswasserbewirtschaftung auf bestehenden Grundstücken beraten die Leipziger Wasserwerke im Auftrag der Stadt und aus Eigeninteresse.“
Bürger können sich zwar beraten lasen und es gibt seit einem Jahr auch eine Starkregengefährdungskarte, die eben nicht nur Grundstücksbesitzern zeigt, wie gefährdet ihr Grundstück ist, sondern auch der Stadtverwaltung, wo sie dringend tätig werden muss, um den Wasserablauf bei Starkregenereignissen wieder zu verbessern.
Aber, so fragte die SPD-Fraktion: „Wie bekommen wir diese kleinräumigen Unwetter in einer Schwammstadt in den Griff bzw. gibt es Möglichkeiten auch größere Regenmengen, die örtlich auftreten, über die Gesamtstadt zu verteilen, um so viel Wasser wie möglich hierzubehalten und so wenig wie möglich Schaden zu machen?“
Und genau da weicht das Baudezernat aus und tut so, als könnte die Stadt tatsächlich nichts tun.
Die Ausrede klingt geradezu fahrlässig: „Da man nie weiß, wo diese kleinräumigen Regenereignisse örtlich genau auftreten, ist auch eine Beeinflussung in Form einer Verteilung über die Gesamtstadt nicht planbar, die auch maximal in Fließrichtung (Oberflächengefälle) möglich ist. Um so viel Wasser wie möglich zurückzuhalten, sind nur Maßnahmen an örtlichen/lokalen natürlichen Tiefpunkten möglich, in einer gewachsenen Stadt sind hier jedoch meist Nutzungskonkurrenzen abzuwägen.“
Nein, sind sie nicht. Die Vorbeugung gegen Katastrophen sollte so ziemlich allen sonstigen Nutzungen gegenüber Vorrang haben. Aber das werden wohl in nächster Zeit die Versicherungen den Gebäudeeigentümern nach und nach und mit Nachdruck beibringen: keine Vorsorge, kein Versicherungsschutz.
Und dann gibt es so etwas wie eine Einsicht von Verwaltungsseite: „Das anfallende Niederschlagswasser in den dargestellten relevanten Starkregenereignissen kann nur an der Geländeoberfläche gesteuert werden, da die Kanalisation wirtschaftlich nicht auf diese Regenereignisse ausgelegt werden kann. Wasser sammelt sich an den Geländetiefpunkten, was in der Starkregengefahrenkarte dargestellt wurde. Damit sind die betroffenen Gebiete identifiziert und es können vorsorglich Maßnahmen geplant und umgesetzt werden, was im innerstädtischen Bereich nicht ohne Konflikte hinsichtlich der notwendigen multifunktionalen Nutzung von Flächen erfolgen wird.“
Man merkt regelrecht, wie der Antwortschreiber an seinem Schreibtisch um die Frage kreist: Wie kann ich die offenkundige Wahrheit vermeiden hinzuschreiben? Sonst steigen mir doch wieder ein paar Leute aufs Dach, die am gegenwärtigen Zustand der Stadt nichts geändert haben wollen!
Das liest sich dann so: „Die schadlose Rückhaltung des Niederschlagswassers muss ortsnah erfolgen. Das Niederschlagswasser kann durch gezielte Geländegestaltung auf nicht bebaute Grundstücke geleitet werden (soweit im städtischen Raum verfügbar), die ein geringes Schadenspotential aufweisen. Bei Gestaltung der Straßen ist darauf zu achten, dass sie bei entsprechenden Starkregenereignissen als Zwischenspeicher dienen. In Neubaugebieten kann dies schon in der Planung berücksichtigt werden. In den Bestandsgebieten fehlen solche multifunktionalen Flächen, die zur Regenwasserzwischenspeicherung dienen können. Diese Problematik wird durch die weitere Innenverdichtung der Stadt verschärft.“
Natürlich sind all die Bauherren, die jetzt „nachverdichten“ nicht außen vor. Aber wie gesagt: Da werden ihnen schon die Versicherungen aufs Dach steigen.
Und die Stadt? So ein wenig weiß man ja, was man eigentlich tun müsste. Und zwar zeitnah. Denn die Katastrophe an der Erft hat gezeigt, dass die Zeit des Zögerns und Vertagens längst vorbei ist. Jetzt ist Zahltag und keiner weiß, wann die Natur wo ihre nächste Rechnung präsentiert.
„Dort wo Flächen vorhanden sind, die sich als multifunktionale Flächen zur Regenwasserzwischenspeicherung eignen könnten, sind zusätzliche Geländeregulierungen notwendig, um das Regenwasser gezielt auf diese Flächen zu leiten“, gesteht das Baudezernat zu. „Daher wird im Bestand langfristig die Eigenvorsorge an erster Stelle stehen. Sowohl die Stadtplanung als auch die Infrastrukturplanung kann und muss zukünftig nur wassersensibel erfolgen. Es wird aber auch zukünftig keinen absoluten Schutz vor Starkregenereignissen geben, daher bleibt die Eigenvorsorge des Grundstückeigentümers unerlässlich.“
Schon das Wort „langfristig“ ist falsch. Da reicht ein Anruf bei den betroffenen Gemeinden im Rheinland. Das 30 Jahre lange Zögern beim Thema Klimavorsorge hat die Chancen auf ein „langfristiges“ Umbauen der Städte aufgefressen. Jetzt geht es um kurzfristige Maßnahmen, die absolute Priorität haben sollten, um wenigstens die größten Gefahrenpotenziale im Stadtprofil zu minimieren.
Die SPD-Fraktion fragte dann noch nach dem Niederschlagswasserkonzept am Eutritzscher Freiladebahnhof, wo überhaupt erstmals in Leipzig bei einer Wohnquartiersentwicklung auch so ein Regenwasserkonzept eingebracht wurde. Aber das ist nicht wirklich das große Problem, wie selbst die Starkregengefahrenkarte zeigt, denn auch hier gibt es Abflussprobleme und die Parthe, in die das Regenwasser abfließen müsste, wird zum Nadelöhr. Auch sie ist an vielen Stellen nicht für die Aufnahme der Regenmengen ausgelegt, die jetzt immer öfter mal vom Himmel rauschen werden.
Die Verwaltung erzählte dann noch ein schönes Märchen von sensorbasierter Steuerung. Aber darum geht es bei Starkregenereignissen nicht. Da geht es nur darum, die Wassermengen oberirdisch möglichst sofort abgeleitet zu bekommen, bevor sie katastrophale Schäden anrichten. Da müssen die Modellierungen im Gelände schon fertig sein, bevor der große Regen kommt.
Aber auch da hat sich die Verwaltung 2020 erst einmal Zeit ausbedungen, weil es im Hauptteil des Antrags erst einmal nur um die Rückhaltung und Nutzung des Regenwassers ging, nicht dessen Ableitung im Katastrophenfall. Zuerst hatten die Grünen als Zielmarke das 1. Quartal 2021 gewünscht.
Im Beschluss steht jetzt das Jahr 2023: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, nach Umsetzung und auf Grundlage der Ergebnisse der vorgenannten Maßnahmen, spätestens jedoch bis zum 30.09.2023, der Ratsversammlung ein gesamtstädtisches Programm für eine wassersensible und klimaangepasste Stadtentwicklung vorzuschlagen.“
Bisschen spät, sagt man sich nach den Bildern aus dem Rheinland.
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