Es muss nicht immer eine Leiche im Keller sein. Wer wie unsere Kommunalverwaltung in der Öffentlichkeit steht, möchte keine Angriffsfläche für Kritik bieten. Vor genau drei Jahren fragten die Grünen: „Welche Erkenntnisse hat die Stadtverwaltung über die Gründe für den katastrophalen Gewässerzustand in Leipzig?“ Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) redete den Zustand besser und die Verantwortung kleiner.

Was sagt aktuell das sächsische Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG)? „Alle vier Grundwasserkörper im Stadtgebiet Leipzig befinden sich sowohl in einem ‚mengenmäßig schlechten Zustand‘ als auch in einem ‚chemisch schlechten Zustand‘“, so Pressesprecherin Karin Bernhardt. Und auch der chemische Zustand aller Oberflächenwasserkörper ist „nicht gut“.

Elf der 14 Fließgewässer und Seen befinden sich in einem „ökologisch unbefriedigenden“ oder „schlechten Zustand“. Einzig der Kulkwitzer See erhält das Prädikat „gut“. In Parthe und Elstermühlgraben schwimmen unappetitliche Stoffe mit Überschreitung der Umweltqualitätsnorm beziehungsweise des Orientierungswertes: Zink, Ammoniak-Stickstoff, Gesamtphosphor, Sulfat, bromierte Diphenylether, Quecksilber, Nickel, Kupfer, Imidacloprid.

Dabei gilt seit 2000 die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die bis 2003 in nationales Recht umzusetzen war und bis 2015 einen generell guten Zustand forderte. Nun hat das Bundesumweltministerium am 8. Juni 2021 endlich eine nationale Wasserstrategie vorgestellt.

„Deutschland hat aber nicht nur Probleme mit der Wassermenge und der Wasserqualität, sondern auch mit der Ökologie der Gewässer. Nur acht Prozent der Fließgewässer, 25 Prozent der Seen und keines der Übergangs- oder Küstengewässer befinden sich derzeit in einem ‚guten ökologischen Zustand‘, obwohl dieses Ziel eigentlich schon 2015 erreicht sein sollte“, moniert Hydrobiologe Dietrich Borchardt vom Umweltforschungszentrum.

Dieser Zustand sei praktisch unverändert, seit die WRRL eingeführt wurde. Verglichen mit den Meeres- und Landökosystemen sei der Artenverlust im Süßwasser in diesem Zeitraum dabei mindestens doppelt so hoch.

Der Elstermühlgraben an der Jahnallee. © Frank Willberg

Aber weshalb ist der Zustand der Leipziger Gewässer so schlecht? Die Hauptgründe liegen laut LfULG „zum Teil im massiven technischen Gewässerausbau der zurückliegenden Jahrzehnte sowie den Einleitungen von Kläranlagen und Kanalsystemen“. Zwar habe sich die Wassergüte dank verbesserter Abwasserbehandlung und Ausbau des Kanalnetzes seit 2009 deutlich verbessert. Aber die sehr starke Überprägung des Gewässersystems – Stichworte Leipziger Gewässerknoten, Elsterbecken, Neue Luppe – unterbinde „natürliche Prozesse, die zur Erreichung eines guten ökologischen Zustands erforderlich sind“.

Darüber hinaus resultiert die Quecksilberbelastung aus der Kohleverstromung. Schwermetalle und Sulfate stammen ebenfalls aus dem Kohlebergbau, Pestizide aus der Landwirtschaft.

Auch das Leipziger Umweltschutzamt und das Amt für Stadtgrün und Gewässer nennen das jahrzehntelange Umverlegen, Begradigen und Stauen der Leipziger Gewässer als Hauptgrund des Problems, gefolgt vom Bergbau. 2009 habe der erste von drei jeweils 6-jährigen Bewirtschaftungszyklen begonnen, um die WRRL umzusetzen.

Vor allem die chemischen Parameter der Leipziger Gewässer seien durch abwassertechnische Erschließungsmaßnahmen und Ertüchtigungen beziehungsweise Überleitungen aus ehemaligen Kläranlagen (Leutzsch, Lindenthal, Liebertwolkwitz) sowie durch die Umrüstung von Kleinkläranlagen verbessert worden, so Pressesprecher David Quosdorf.

„Die Förderung von naturnahen beziehungsweise natürlichen Wäldern, insbesondere aber von Auwäldern, auch im weiteren Umkreis der Fließgewässer, ist eine gute Maßnahme, den Zustand der Fließgewässer zu verbessern“, unterstreicht Johannes Hansmann vom Verein Naturschutz und Kunst im Leipziger Auwald (NuKLA).

Der Zustand der Leipziger Fließgewässer sei weitestgehend schlecht, weil die meisten im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts gravierend verbaut, zerstört oder in künstliche Betten und Kanäle umgeleitet wurden, um das Umland der Flüsse intensiver für Land- und Forstwirtschaft, Siedlungsbau, Verkehrswege und Braunkohletagebau zu nutzen.

„Seit fast 100 Jahren werden Hochwasser durch wasserbauliche Maßnahmen aus der noch verbliebenen Aue herausgehalten und über die Neue Luppe über den Leipziger Gewässerknoten abgeleitet. Somit kann es weder eine lebendige Aue noch einen besseren Zustand bei den entsprechenden Fließgewässern geben.“

Die Leipziger Zeitung, Ausgabe 92. Seit 25. Juni 2021 im Handel. Foto: LZ
Die Leipziger Zeitung, Ausgabe 92. Seit 25. Juni 2021 im Handel. Foto: LZ

Eine ökologische Verbesserung der Oberflächenwasserkörper verfolgt die Stadt Leipzig nur ansatzweise mit ihrem Projekt „Lebendige Luppe“ und möchte die „Offenlegung verrohrter Gewässer fort- und umzusetzen“. Auch der Knauthainer Elstermühlgraben solle eine wesentliche ökologische Aufwertung erfahren.

Dazu Karin Bernhardt vom LfULG: „Besonders in stark urban geprägten Einzugsgebieten von Gewässern zeigt sich, dass erhebliche Kosten für die Renaturierung der Gewässer oder auch zur Vermeidung von Stoffeinträgen erforderlich sind und die Akzeptanz bei den Aufgabenträgern aber auch in der Bevölkerung zum Teil sehr begrenzt ist.“

„Die Politik als auch die Verwaltung haben die Probleme schlicht nicht in Angriff genommen“, so Hansmann vom Verein NuKLA. „Es gab stets nur Wortbekundungen oder kleine, lediglich symbolische Maßnahmen ohne Auswirkungen.“ Notwendig sei vielmehr, den Leipziger Gewässerknoten zurückzubauen, das Fließgewässersystem zu revitalisieren, dass es weitestgehend frei fließen kann. Das ist möglich, aber teuer, und es erfordert politischen Willen.

„Öko? Logisch.: Quecksilber, Regulierung, Kläreinleitungen und andere Gifte“ erschien erstmals am 25. Juni 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG.

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Es gibt 5 Kommentare

Ja, einfach ist das alles nicht. Aber irgendwie scheint es auch Teilen der Bevölkerung nicht klar zu sein, dass Wasser auch für Menschen überlebenswichtig ist. Vor allem wenn schon die Grundwasserkörper in so schlechten Zustand sind… was denken die Leute denn, wo das Trinkwasser herkommt? Ja, Leipzig bekommt sein Trinkwasser von der Mulde und Elbe, trotzdem ist es schon bezeichnend, dass Leipzig sein Trinkwasser aus recht großen Entfernungen herholen muss, weil hier schlicht keins mehr zu gewinnen ist. Unter dem Gesichtspunkt, dass (Trink)wasser auch irgendwann in der Zukunft knapp werden könnte, kann sich das alles hier noch als sehr tragisch erweisen – nicht nur für die Natur, sondern auch für die Menschen.

>Akzeptanz in der Bevölkerung sehr begrenzt

grins Schon in den ersten Absätzen dachte ich mir schon, dass das wieder so ein ostalgisches Phänomen ist. Man ist hierzusachsen schon glücklich, weil keine Seifenlaugen mehr herumschwimmen und es nicht mehr chemisch riecht.

Was jetzt in der Labdschaft zu sehen ist, hält der gemeine Ossi schon für pure Natur.

Und hält Einschränkungen zB des Bootsverkehrs nicht etwa für verhandelbar in Richtung etwa auf einen Kompromiss hin, sondern schlicht für “ideologisch”.

Die Leipziger Stadtverwaltung hat bekanntermaßen gar kein Interesse an einem guten ökologischen Zustand der Gewässer. Sie will v.a. unter Führung des WTNK-Bürgermeisters Heiko Rosenthal (Linke) und des Amtes für Stadtgrün und Gewässerzernutzung das sog. WTNK (Wassertouristische Nutzungskonzept) umsetzen, sprich noch mehr Massentourismus auf den Gewässern. Auch das berechtigte Interesse der Bürgerinnen und Bürger an Naherholung im Einklang mit der Natur ist diesen Strateg/-innen egal, denn Spaß macht das Paddeln auf den überfüllten Gewässern schon länger nicht mehr.
Und für Massentourismus sind schwankende Wasserpegel, naturnahe Ufer usw. eher störend. Über das WTNK soll auch festzementiert werden, dass das Elsterbecken kein naturnah mäandrierendes Gewässer werden darf, sondern eine naturferne Sedimentfalle bleiben soll (die jährlichen Ausbaggerungen kosten Millionen), auf der Wassersport betrieben werden soll. Sogar das Projekt Lebendige Luppe soll offenbar dafür herhalten, dass sich hieran nichts verändern darf.

Die Stadträte setzen dem nichts entgegen, die Verflechtungen zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft sind offensichtlich; auch ein paar schwammige Änderungsanträge von Stadträt/-innen der Grünen wollen letztendlich nichts ändern, waren sie doch stets so formuliert, dass es die Verwaltung leicht hatte zu argumentieren, dass selbstverständlich das WTNK das Auenentwicklungskonzept berücksichtigt usw….

Strafen?!
Stadträte und sonstige politische EntscheidungsträgerInnen werden gewählt. Wer lieber Lippenbekenntnissen glaubt, statt wirklich ökologisch zu wählen, bekommt die Regierung die er/sie verdient.
Und wer findet, dass Arbeitsplätze oder Wohlstand wichtiger sind, als ein Planet, auf dem unsere Kinder gut leben können und nicht nur überleben (oder auch nicht), ist unverantwortlich dumm.
Sträflich dumm.

Meistens ist es so, dass man bestimmtes Handeln nur durch Androhung oder Ausüben von Strafen erzwingen kann. Ob das nun die Mehrwegquote, Höchstgeschwindigkeit, Nitratbelastung u.v.m. sind.

Hier in diesem Fall müsste das genauso sein. Vor allem sind solcherlei Umweltschäden der vergangenen Jahrzehnte überhaupt nicht in irgendwelchen Schönrechnereien für die touristischen Erschließungen mit eingepreist. Täte man dies, fiele das alles mit Pauken und Trompeten durch.

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