Langsam aber trotzdem unübersehbar ändert sich unsere Vorstellung von dem, was Stadt sein kann und soll. Vor unseren Augen. Auch wenn das auf festbetonierte Vorstellungen und uralte Gesetze trifft und sich die Verwaltung – wie etwa bei den Themen Schwammstadt und Fassadenbegrünung – unheimlich schwertut. Da wirkt es schon erstaunlich fix, wie sie dafür die Idee blühender Baumscheiben annimmt. Beinah jedenfalls.

In der Vergangenheit war es ja meist so, dass bei den jährlichen Baumbeschnitten auch gleich die Baumscheiben mit entkrautet wurden. Das sei Aufgabe der Stadteinigung, argumentierte das Umweltdezernat, das könne man nicht einfach ändern. Geändert haben es dann teilweise einzelne Hausgemeinschaften, die die Baumscheiben vorm Haus in Eigenregie in bunte Blumenwiesen verwandelten.

Die Dürre brachte das Umdenken

Das Umdenken begann in den drei Dürrejahren 2018 bis 2020, als die Leipziger Umweltverbände immer lauter trommelten, dass die Stadt ihre Haltung zu Baumscheiben dringend überdenken muss. Denn wenn der Regen ausbleibt, dürsten die Straßenbäume ja nicht nur und die Stadt muss eine Bewässerung der Straßenbäume mit allen verfügbaren Kräften organisieren.

Die Baumscheiben selbst trocknen ja aus, die Erde liegt blank und ohne schützende Krautdecke. Begrünte Baumscheiben würden nicht nur die Verdunstung verringern, sondern gleichzeitig auch was für die bedrohte Biodiversität in der Stadt tun und Insekten und anderen Kleinlebewesen einen Lebensraum geben.

Nach der letzten Mahnung von NABU und Ökolöwe griffen die Fraktionen von Grünen und Linken das Thema fast gleichzeitig auf und stellten entsprechende Anträge, auf die nun das Umweltdezernat mit einer Stellungnahme aus dem Eigenbetrieb Stadtreinigung mehr oder weniger positiv reagiert.

Wobei die Stadtreinigung darauf verweist, dass die ratzekahl gesäuberten Baumscheiben meist auch das Resultat von Einsätzen sind, die von Bürgern ausgelöst wurden, die der felsenfesten Meinung sind, dass Kräuter nichts auf den Gehwegen zu suchen haben.

Kleinklein der Paragraphen

„Neben den benannten positiven, ökologischen Effekten ist zu beachten, dass die Baumscheibe ein Teil der Verkehrsanlage bzw. ein Ausstattungselement der Straße ist, von der keine Gefahr ausgehen darf (§2 SächsStrG). Die Bepflanzung (Baumscheibe) gehört somit als Zubehör zur Straße und wird von der Reinigungspflicht umfasst (§ 51 SächsStrG)“, geht die Stadtreinigung auf diese ratzekahlen Bürgermeldungen ein.

„In den befestigten Straßenkörper hineinwuchernde Wildkräuter sind Fremdkörper, die eine Straße (und damit auch Baumscheiben) oder einen Gehweg verunreinigen. Das hierdurch ausgelöste Reinigungsbedürfnis obliegt grundsätzlich der Kommune, die dafür eine Organisation einzurichten hat. Vorrangig hieraus erwächst auch die Haftung der Kommune für Organisationsverschulden. Entgegen den Forderungen des Antragstellers erreichen den Eigenbetrieb Stadtreinigung Leipzig (EB SRL) regelmäßig Beanstandungen von Bürgern, dass Baumscheiben leichte Verunreinigungen vorweisen, sowie Forderungen/Bitten zu einer Komplettreinigung der Baumscheibe.“

Schwierig, könnte man meinen. Aber augenscheinlich gibt es noch etliche Einwohner in der Stadt, für die darf da nichts Wildes wuchern in den Straßen.

Bürger dürfen aktiv werden – bedingt

Während die Verwaltung hier insbesondere den Linken-Vorstoß durchaus berechtigt findet: „Die Durchgrünung des Gebietes der Stadt Leipzig auch auf Baumscheiben und die damit verbundene Erhöhung der Biodiversität wird vom Amt für Stadtgrün und Gewässer (ASG) unterstützt. Es gilt jedoch verschiedene Pflegeschritte in der Baumscheibe weiterhin zu erhalten und zu ermöglichen. Dazu gehören die Auflockerung des Oberbodens, um eine stetige Verdichtung der Baumscheibe zu verhindern und dadurch die Wasserdurchlässigkeit und den Gasaustausch im Boden zu gewährleisten, sowie die Entfernung bestimmter Spontanvegetation, wie z. B. Japanischer Staudenknöterich, Ambrosia und anderer als invasiv einzustufender Pflanzenarten. Ein Radius von 0,5 m um den Stamm ist generell von Pflanzen sowie Stammtrieben freizuhalten, um die Baumkontrolle zu ermöglichen.“

Eine durchaus überraschende Aussage, weil der Staudenknöterich andernorts fleißig vor sich hinwachsen darf – wenn man etwa an das Gebiet der östlichen Rietzschke denkt.

„Nicht an jedem Standort ist eine Begrünung auch naturschutzfachlich sinnvoll, noch rechtlich erlaubt“, betont die Verwaltungsvorlage, sieht aber das Aktivwerden der Bürger in sehr strengen Grenzen zumindest als möglich an.

Viele Vorschriften zu beachten

„Bei einer aktiven Begrünung von Baumscheiben durch die Bürger sind folgende Punkte aus naturschutzfachlicher und auch naturschutzrechtlicher Sicht unbedingt zu berücksichtigen“, wozu dann das Verhindern von Vermüllung gehört, aber auch: „Spontanvegetation ist einer Begrünung mit Ansaatmischungen oder Bepflanzungen vorzuziehen. Insbesondere, wenn die vorhandene Vegetation aus heimischen Blühpflanzen und Arten der Roten Listen besteht. Das Ausbringen invasiver Arten ist nach § 40a BNatSchG verboten. In der freien Natur nach § 40 BNatSchG, insbesondere in Schutzgebieten oder im Bereich von gesetzlich geschützten Biotopen ist ausschließlich gebietsheimisches Saat- und Pflanzgut auszubringen. Die Beseitigung invasiver Arten muss weiterhin möglich sein.“

Und natürlich: „Diese Vorgaben des ASG an den Pflegebedarf sind bei einer angepassten Bearbeitung zu beachten.“

Typisches Verwaltungsdenken

Wobei die Verwaltung – wie könnte sie anders – auf einer „erhöhten fundierten Fachkenntnis im Bereich der Pflanzenkunde“ beim ausführenden Pflegepersonal beharrt. Das nennt man wohl: Barrieren aufbauen, auch wenn man die Bepflanzung von Baumscheiben durchaus in Patenschaft mit Leipzigs Umweltverbänden organisieren kann – wenn man nur will.

Und dann folgt gleich die nächste amtliche Denkbarriere: „Andererseits wird dadurch auch der zeitliche Aufwand für die fachgerechte Baumscheibenpflege deutlich erhöht. Derzeit werden die rund 18.600 Baumscheiben in bis zu 2 Durchgängen von beauftragten Dritten der erforderlichen Pflege unterzogen. Dabei werden im ersten Durchgang alle Baumscheiben betreut. In einem zweiten Durchgang werden aufgrund der limitierten Finanzmittel vorrangig nur die Baumscheiben erneut betreut, welche in Haupt- und Schwerpunktstraßen liegen. In der aktuellen Pflegeperiode zeigt sich aufgrund der günstigen Witterungsbedingungen ein starkes Vegetationswachstum, das den Aufwand erhöht.“

Man merkt schon: Die Verwaltung tut sich unheimlich schwer, aus ihren eingetakteten Denkschemata herauszukommen.

Deutsche Revolutions-Mentalität

„Der Eigenbetrieb Stadtreinigung Leipzig verhandelt die geänderten auszuschreibenden Reinigungs- und Pflegeleistungen mit den bisherigen Leistungserbringern nach oder schreibt diese, sofern erforderlich, neu aus. Das Ergebnis wird dem Betriebsausschuss Stadtreinigung zur Auswertung vorgelegt“, betont die Verwaltungsvorlage. „Eine stadtweite Kontrolle der von Bürgern gepflegten Baumscheiben durch Mitarbeiter der Naturschutzbehörde, ob diese den Anforderungen entsprechen, ist nicht leistbar.“

Lenin lässt grüßen. Es ist schon erstaunlich, wie gut der russische Revolutionsführer die deutsche Bürokratie studiert hat. Die ist nämlich darauf geschult, alles gut zu begründen, was nicht geht.

Deshalb kaufen deutsche Revolutionäre auch erst mal eine Bahnsteigkarte, bevor sie Revolution machen.

Prüfung bis Ende 2021 zugesagt

Und so geht das munter weiter: „In der Baumscheibe dürfen keine Einbauten wie Insektenhotels und andere Gegenstände, die im Boden befestigt werden müssen, aufgebaut werden. Beim Einbau könnten Wurzeln des jeweiligen Baumes beschädigt werden. Auch am Baum selbst dürfen keine Gegenstände befestigt werden. Vorhandene Einzäunung würden eine erhöhte Stolper-, Verletzungs- und Sachschadensgefahr zum Beispiel für geh- und sichtbeeinträchtigte Personen, Kinder, Tiere oder Kraftfahrzeugführer bei Ein- und Ausparkvorgängen darstellen.“

Was ausgerechnet Kraftfahrzeugführer mit Ein- und Ausparkvorgängen auf Bürgersteigen und Baumscheiben zu suchen haben, erschließt sich wahrscheinlich nur aus Ämterperspektive.

Bis zum vierten Quartal 2021 will die Verwaltung zumindest prüfen, „in welchem Umfang eine Patenschaftsvergabe an Bürgerinnen und Bürger für die Reinigung und Pflege möglich ist, um bürgerschaftliches Engagement auch in diesem Bereich zu fördern.“

Wenn es dann mal konkret wird, beginnen die Probleme

Kein Wort zu den Umweltverbänden, mit denen gemeinsam man schon längst einen Leitfaden zur naturfreundlichen Pflege von Baumscheiben in Leipzig hätte entwickeln können. Man steckt noch in der alten Das-Kraut-muss-weg-Mentalität.

Die Stellungnahme zum Grünen-Antrag liest sich nicht anders. Verbal begrüßt man die Vorstellung von mehr Grün in der Stadt. Aber wenn es konkret wird, richtet man sich lieber nach den grimmigen Bürgern, die bei jedem wilden Grashalm das Beschwerdetelefon anrufen.

So wird das natürlich nichts. Und Linke und Grüne sollten sich – vielleicht noch mit ein, zwei anderen Fraktionen – zusammentun und eine mit den Naturschutzverbänden abgestimmte Vorlage formulieren, die sie dann der Verwaltung einfach als Aufgabe aufs Auge drücken. Mit der Hoffnung, dass die fleißigen Stadtbereiniger nicht all die blühenden Baumscheiben wieder sauber putzen, die emsige Bürger in der letzten Zeit schon bepflanzt haben.

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Es gibt 4 Kommentare

Irgendwie werden hier unter dem Begriff “Verkehrssicherheit” verschiedene Dinge vermischt.
Die Straßenverkehrsbehörde ist für die Sicherheit der Teilnehmer am Straßenverkehr zuständig.
Da geht es um “Sichtdreiecke” an Kreuzungen, Einmündungen und Überwegen.
Abhängig von gefahrener Geschwindigkeit und Kurven, Steigungen.
Dieser Sichtbereich(1*) ist zu 90% durch die Straße gegeben.
Überschneidungen mit dem Fußweg (also auch Baumscheiben) gibt es eigentlich nur im direkten Kreuzungsbereich.
Insofern entbehren sogar die generalisierten 70cm Wuchshöhe jeder rechtlichen Begründung.
Zumal dann auch nur 80cm hohe Autos am Straßenrand halten/parken dürften..
Und nur Menschen unter 70cm am Straßenrand ^^

Das andere ist die “Verkehrssicherheit” des Baumes, also dessen Standfestigkeit bzw. Schutz vor abbrechenden Ästen.
Auch auf Fußgänger auf dem Fußweg.
Dazu muss ein Baumgutachter den Baum anschauen. Oberirdisch, auch die “Wurzelanlauffläche” am oberirdischen Stamm.
Und bei Gefahr wird tiefergehend geprüft und Äste oder der ganze Baum entfernt.
Dass bei Gefahr im Verzug, die Bepflanzung der Baumscheibe nachrangig ist, versteht wohl jeder.

Erschreckend finde ich ja die vorauseilenden Begründungen der Verwaltung.
Wieso sollte jemand “invasive” bzw. allergieauslösende Arten anpflanzen? Und dieses Unkraut dann auch noch “asphaltbrechend” über den Bordstein hinweg, in die Straße wuchern lassen?
(Wobei, wenn das so einfach wäre..)

Die 50cm Einpflanzungs-Abstand um den Baum, müssen vernünftig kommuniziert werden.
Da geht es, auch bei Baum-Tiefwurzlern, um den Wurzelschutz. Oberirdisch stören die (angepflanzten) Pflanzenzweige nicht, wenn sie in Richtung Baum-Stamm wachsen. Solange der Baumgutachter sie zur Seite biegen kann, denke ich.
Ob man einer “Pflege”-Firma, die die Schönheit und Sinnhaftigkeit von bewachsenen Baumscheiben nicht sieht,
das Abschneiden von Stammtrieben (und Stockausschlägen) überlassen sollte,
im Zweifelsfalle wird eine Eintrittsöffnung für Baumschädlinge geschaffen und der Baum stirbt ab.

Und zur “Vermüllung”, was immer die Verwaltung der besorgten Bürger darunter versteht. Schlimmer für den Baum sind Hundekot und -urin bzw. das daraus resultierende Stickstoffüberangebot, wenn’s nicht durch andere Pflanzen “verdrängt” und vielleicht, das dann wenige, abgebaut wird.

Wie genau, man das allerdings in einer Ausschreibung formuliert, da sollten sich die an einem umwelt- und menschenfreundlichen Zusammensein interessierten Fraktionen noch mal zusammensetzen.
Um nicht nur der Verwaltung zu helfen.

PS: Wenn die bisherige Pflegefirma bis zum Oktober 2021 beauftragt ist, sollte man vielleicht schon ab Anfang III. Quartal nochmal prüfen..
1*)
https://www.stvo2go.de/sichtdreiecke-berechnen/

Naja Straßenbäume führen ein anstrengendes Leben… und so eine Stammfußnekrose ist schon ein deutliches Zeichen, dass da was im Argen ist. Oder auch bestimmte Pilze – klar, dass die Stadt daher den Bereich um die Stämme frei haben will. Die Stadt ist ja entlang der öffentlichen Straßen und Wege gesetzlich verpflichtet, auf Standsicherheit zu kontrollieren. Ich weiß auch nicht, wie sehr man mit den bepflanzten Baumscheiben die Welt retten kann, gibt es hierzu schon Berechnungen über die Effizienz? Ich finde die Idee ansonsten schon niedlich, weiß aber eben nicht, ob man hiermit viel erreicht.

“Ein Radius von 0,5 m um den Stamm ist generell von Pflanzen sowie Stammtrieben freizuhalten, um die Baumkontrolle zu ermöglichen”, heißt es im Text – ich kann also nur hoffen, dass das Foto vom Ökolöwen nicht die Verwaltung zu Gesicht bekommt, denn da ist keinerlei Abstand gewahrt und Baumkontrolle unmöglich. Irre das Ganze…

Der Text der Verwaltung ist kabarettreif. Das Schlimme ist, dass sie ihre Realsatire ernst meint.

Das verwaltungstechnische Zauberwort heißt “Ermessen”, gerne übersetzt mit “Entscheidungsspielraum”.

Aber dieses “Ermessen” und eine damit einhergehende “wohlwollende Prüfung” scheinen dem gärtnerischen Amtsleiter in seinem grünbewachsenen Königreich einfach nicht einzufallen.

So geht Klimawandel in Leipzig. Viele Leute würden gerne, aber die kleinen Könige Amtsleiter wollen nicht.

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