Am 24. Juni stellte Leipzigs Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal die Fortschreibung des Leipziger Lärmaktionsplans vor, zu dem am Dienstag, 6. Juli, die Bürgerbeteiligung startet. Aber der Plan hat seine alten Probleme behalten – veraltetes Zahlenmaterial und fehlende Handlungsspielräume der Stadt. Dabei hat gerade Verkehrslärm in Leipzig sehr viel mit Klimazerstörung zu tun. Aber dass der Lärmaktionsplan eher ein zahnloser Tiger ist, ist der Wille des Gesetzgebers.
Grundlage des Lärmaktionsplans ist das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BimSchG).
Zum nun vorliegenden Planentwurf der 2. Fortschreibung können die Leipzigerinnen und Leipziger vom 6. Juli bis 3. August 2021 Stellung beziehen.Im Rahmen der öffentlichen Auslegung kann der Entwurf nach vorheriger Terminvereinbarung per E-Mail an uiz@leipzig.de oder telefonisch über 0341 123-6711 im Umweltinformationszentrum der Stadt Leipzig (UiZ) im Technischen Rathaus (Prager Straße 118–136) eingesehen werden.
Die digitale Fassung steht im Internet unter www.leipzig.de/laerm zur Verfügung. Hinweise, Einwände oder Anregungen zum Planentwurf können unter vorgenannter Adresse in postalischer sowie per E-Mail an umweltschutz@leipzig.de in elektronischer Form beim Amt für Umweltschutz eingereicht werden. Ergänzend steht online auch ein Beteiligungs-Formular zur Verfügung.
Aus Sicht des Dezernats Umwelt, Ordnung, Sport ist vor allem neu eine Neuaufteilung des Entwurfs in den eigentlichen Textteil sowie weitere sechs umfassende Anlagen. Dazu zählen unter anderem ausführliche Informationen zum Flugverkehrslärm (Anlage 1) sowie der Umsetzungsbericht zum aktuellen Stand der Lärmaktionsplanung (Anlage 2).
Der ungelöste Ärger mit dem Fluglärm
Wie viel Augenwischerei gerade bei Fluglärm mit von der Partie ist, zeigt gerade der Anhang zum Fluglärm, in dem es heißt: „Es ist darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung des notwendigen Lärmschutzes nur auf rein rechnerischer Basis anhand eines Mittelwertes erfolgen kann. Lärmbelästigungen sind weiterhin zu erwarten, auch außerhalb der Kontur des Nachtschutzgebietes. Außerdem werden zur Berechnung von Betroffenheiten die Fassadenaußenpegel herangezogen. Im Fall geöffneter Fenster ist also ebenfalls weiterhin mit deutlich hörbarem Lärm zu rechnen.“
Deswegen kann man auch die im Entwurf genannten Zahlen von knapp 28.000 Fluglärm-Betroffenen in der Nacht nicht wirklich ernst nehmen. Denn wer im Überfluggebiet lebt, weiß, dass nicht die rechnerischen Mittel über Aufwachen, Wachliegen und Krankheitsfolgen entscheiden, sondern die Lärmspitzen, wenn wieder eines der lauten Flugzeuge übers Stadtgebiet dröhnt.
Und die Stadt macht in diesem Extra-Teil auch ihre ganze Machtlosigkeit sichtbar, etwa zum vergeblichen Kampf gegen den Missbrauch der Kurzen Südabkurvung: „Durch Agieren von Bürger/-inneninitiativen, der FLK und der Stadt Leipzig konnte bisher nur der Kompromiss mit einer Beschränkung auf 136 Tonnen maximales Abfluggewicht und eine Optimierung der Flugrouten über dem Leipziger Stadtteil Grünau im Jahr 2009 erreicht werden.“
„Das umfangreiche Agieren der Stadt Leipzig zur Nutzungsänderung der kurzen Südabkurvung hat bisher nicht zum erhofften Erfolg geführt, wie z. B. Schreiben an den Bundesverkehrsminister im Jahr 2007, den Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr im Jahr 2009, das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung im Jahr 2010 sowie Anträge in der FLK (2010, 2014); Unterstützung des Naturschutzvereins Grüne Liga Sachsen e. V. im Rechtsstreit gegen die kurze Südabkurvung ab 2014; Unterstützung der Leipziger Bürger/-inneninitiativen gegen Fluglärm in Bezug auf die Bundestagspetition (Schreiben des Bürgermeisters und Beigeordneten für Umwelt, Ordnung, Sport vom 5. Oktober 2018 und Schreiben des Oberbürgermeisters vom 11. Februar 2019).“
Und weiter: „Der Deutsche Bundestag hat in seiner Sitzung am 29. Juni 2017 beschlossen, die Petition zur kurzen Südabkurvung am Flughafen Leipzig/Halle mit der Forderung der Tonnagebegrenzung der Flugrouten auf 30 Tonnen maximales Abfluggewicht der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Das zuständige Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat die Beschlussempfehlung bisher allerdings nicht umgesetzt.“
Genauso erfolglos der Kampf um eine Gleichverteilung der Bahnnutzung, die Bonusliste für den Nachtflugbetrieb, das Verbot nächtlicher Triebwerksprobeläufe oder die Ausweitung des Siedlungsbeschränkungsbereichs.
Ebenfalls neu aufgenommen wurde die Festlegung von 35 sogenannten Lärmbrennpunkten, für die verschiedene Lärmminderungsmaßnahmen hinsichtlich einer möglichen Umsetzung geprüft werden sollen. Insgesamt wurden 78 Einzelmaßnahmen aus den Bereichen Kfz-Verkehr, Umweltverbund, Flug- und Eisenbahnverkehr sowie für den Schutz ruhiger Gebiete definiert.
Was hat der letzte Lärmaktionsplan gebracht?
Rund die Hälfte aller Maßnahmen, die mit den beiden vorangegangenen Plänen beschlossen wurden, sind umgesetzt oder befinden sich derzeit in der Umsetzung, bilanziert das Umweltdezernat. Da es oft Maßnahmen wie Fahrbahndeckenerneuerungen oder gar Straßenneubau sind, dauert die Umsetzung in der Regel mehrere Jahre. Schneller wird der Lärm vermindert, wenn zum Beispiel die Richtgeschwindigkeiten deutlich verringert werden – etwa bei Einführung von Tempo-30-Zonen.
Beim Thema Fluglärm hat das Dezernat gleich ein Dutzend Leipziger Vorstöße aufgelistet, die von den Betreibern des Flughafens bisher immer abgeblockt wurden. Darunter auch den Punkt „Überprüfung der Lärmbelastung in Leipziger Ortsteilen durch stationäre und mobile Fluglärmmessstationen und deren Darstellung im Fluglärmvisualisierungstool TRAVIS“ oder „mehrere Stimmen der Stadt Leipzig in der FLK (Fluglärmkommission, d. Red.)“. Denn da Leipzig dort nur eine Stimme hat, wird die Stadt regelmäßig allein schon von den Nutzern des Flughafens überstimmt.
So nebenbei erfährt man auch, dass sogar die Anlage von Radfahrstreifen am Straßenrand die Lärmbelastung für die angrenzenden Wohnhäuser mindert. Eigentlich würde man da ein viel ambitionierteres Ausbauprogramm für Radwege erwarten, denn neben dem Fußverkehr ist der Radverkehr eindeutig die leiseste Verkehrsart. Aber irgendwie arbeitet man doch wieder nur stückweise daran, wie es im Schwerpunkt M47 heißt: „weiterer Ausbau des Hauptnetz Rad und Herstellung eines zusammenhängenden Hauptradroutennetzes“.
So wird das natürlich nichts und so bekommt Leipzig auch nicht in wenigen Jahren mal ein belastbares Radwegenetz, das so attraktiv ist wie etwa das in Utrecht. Dabei muss genau das das Ziel sein. Alles andere ist Augenwischerei.
Utrecht: Planning for People & Bikes, Not for Cars
Wobei eben auch festzustellen ist, dass der Lärmaktionsplan mit ziemlich alten Zahlen aus der Lärmkartierung von 2017 agiert. Hauptplage natürlich der Kfz-Lärm: „Demnach sind rechnerisch knapp 40.000 Leipziger Einwohnerinnen und Einwohner entlang der kartierten Straßenabschnitte ganztägig Pegeln von über 65 dB(A) ausgesetzt, die zu einer Erhöhung des Risikos gesundheitlicher Beeinträchtigungen führen können. Die Anzahl der Personen, welche nachts mit Pegeln oberhalb der Grenze zur Gesundheitsrelevanz von > 55 dB(A) belastet sind, ist mit knapp unter 38.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ähnlich hoch.“
Die Lärmbrennpunkte findet man auf Seite 20. Sie befinden sich genau dort, wo sich der Kfz-Verkehr drängt und staut. Und das sind nicht nur Hauptstraßen wie die Georg-Schumann-Straße, der Ranstädter Steinweg oder der Täubchenweg. Das sind auch Straßen mit altem Pflaster – wie etwa die Möbiusstraße, die aber – wie der Entwurf feststellt – überhaupt nicht von der Lärmkartierung erfasst werden. Der Lärmaktionsplan ist also auch noch voller Löcher und so manches Viertel würde schon viel leiser werden, wenn das alte Katzenkopf- oder Schlackesteinpflaster ersetzt werden würde.
Und auch die Straßenbahnen müssten – trotz vermehrter Rasengleise und dem Einsatz der Schienenschleiffahrzeuge – noch leiser werden: „Laut Kartierung sind ganztags noch über 16.000 und nachts über 20.000 Personen von gesundheitlich bedenklichen Pegelwerten durch den Stadt-und Straßenbahnlärm betroffen.“
Kleine Erfolge in der Lärmaktionsplanung
„Eine flächenhafte Minderung der Lärmbelastung im Stadtgebiet um 2 dB(A) ganztags ist offensichtlich“, stellt das Dezernat dabei fest. „Insbesondere entlang der in der 1. Fortschreibung des LAP definierten hochbelasteten Abschnitte der Antonienstraße, Max-Liebermann-Straße, Richard-Lehmann-Straße, Dufourstraße und des Nordplatzes haben die Betroffenenzahlen abgenommen. Erfolge sind auch mit der kontinuierlichen Anordnung von Tempo 30 vor Schulen und an hochbelasteten Straßenabschnitten sowie der Errichtung von Geschwindigkeitsanzeigetafeln zur Sensibilisierung der Verkehrsteilnehmer zu verzeichnen.“
Aber gleichzeitig stellt der Entwurf auch fest, dass es Leipzig auch in den nächsten fünf Jahren nicht schaffen wird, auch nur alle Lärmbrennpunkte zu entschärfen: „Aufgrund der hohen Verkehrsbelegungen in der Stadt Leipzig würde, wie in den meisten anderen Ballungsräumen auch, die Behandlung lärmbelasteter Bereiche nach den o. g. Werten allerdings einen kaum überschaubaren und mittelfristig nicht zu bewältigenden Handlungsbedarf bedeuten. Dies entspricht jedoch nicht dem Zeitrahmen der Lärmaktionsplanung, die gewöhnlich alle 5 Jahre eine Fortschreibung vorsieht. Für den ersten Lärmaktionsplan 2012 wurden Auslösewerte von 70 dB(A) ganztags und 60 dB(A) nachts zugrunde gelegt, die in der Fortschreibung von 2018 um 3 dB(A) gesenkt wurden.“
Gemäß Paragraf 47d des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) ist durch die zuständige Behörde der Lärmaktionsplan alle 5 Jahre zu aktualisieren. Der nun vorliegende Entwurf der 2. Fortschreibung des Lärmaktionsplans basiert auf den Ergebnissen der Lärmkartierung 2017 und den Ergebnissen umfangreicher Bürgerbeteiligungen von 2016 bis 2019. Im integrativen Ansatz der Lärmaktionsplanung werden gesamtstädtische Planungen und Ziele berücksichtigt, insbesondere strategische Pläne der Stadtentwicklung und der Bauleitplanung sowie Verkehrs- und Mobilitätskonzepte. Damit unterstützt die Lärmaktionsplanung auch den Gesundheitsschutz, das INSEK-Ziel „Leipzig setzt auf Lebensqualität“ sowie die Sicherstellung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse.
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Es gibt 2 Kommentare
Es ist einfach der Zeitgeist. Dass die Motordrehzahl bei vielen Autos durch einen anderen Getriebegang bei Tempo 30 höher ist als bei Tempo 50, sich dadurch mehr Lärm und je nach Modell auch Abgas ergibt, passt nicht zum kommunalen Klimanotstands”gedanken”.
Auch auf den paar Strecken, auf denen die Autobahn unbegrenzt in der Geschwindigkeit ist, muss man es den paar Leuten noch verbieten, die ihr Auto dort schnell bewegen, weil es einfach der Zeitgeist ist. Hebel an tatsächlichem Effekt gering, Erfüllung des grünen Markenkerns dafür groß.
Das nächste Argument wird sein, dass die Modellversuche zum Thema “Tempo 30 in Ortschaften” ja nur ein VERSUCH seien und niemand Sorge haben müsse, dass es auf Dauer so bleibe, wenn es nichts bringt.
Ich könnte jetzt schon wetten, dass bei Ausbleiben des Erfolges (je nachdem wie man den misst) die Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden. Die wirkungsvolle Leipziger Umweltzone gibts ja auch noch. Auch den neuen Radweg auf der Fahrbahn der Dufourstraße stadtauswärts, auf dem ich bisher einen (!) Radler gesehen habe (dafür circa zwei Dutzend auf dem Fußweg daneben, wo der Radweg vorher war), werden wir in 10 Jahren noch sehen.
Was ich am Artikel auch gut fand, war die Erwähnung der LVB-Panzer:
“Und auch die Straßenbahnen müssten – trotz vermehrter Rasengleise und dem Einsatz der Schienenschleiffahrzeuge – noch leiser werden”
Es ist auch eine Frage der Konstruktion, die zum Beispiel den Leolinern (mittleres Drehgestell) und den Niederflurbeiwagen häufig Bremsflachstellen bescheren. Diese Fahrzeuge neigen schnell zum Dröhnen, Klopfen und Wummern. Selbst die Tatras sind (ohne Niederflurbeiwagen) meist leister!
Es ist auch eine Frage des Schienenunterbaus. Das gleiche Fahrzeug (Bombardier Flexity Classic XXL) ist in Dresden leiser als in Leipzig. Kann an der Wartung liegen, hat aber sicher auch was mit der Schienenbautechnik zu tun.
Und es ist eine Frage des Fahrzeugmanagements. Wenn ein Fahrzeug dröhnt, muss es umgehend zur Drehbank ins Depot. Sonst stört das nicht nur Anwohner von Bahnstrecken und Fahrgäste immens, sondern belastet den Schienenkörper sowie den Rest des Fahrzeuges durch Erschütterungen. Dafür braucht der Verkehrsbetrieb natürlich ein Mehr an Reservefahrzeugen und entsprechende Kapazität in der Werkstatt.
Kostet alles Geld, bringt aber viel für die Akzeptanz des ÖPNV. Sowohl bei Anwohnern als auch Mitfahrern.
Die als Grundlage für die abgeleiteten Lärmminderungsmaßnahmen im Verkehrsbereich herangezogenen Lärmpegel basieren auf einem veraltetem Berechnungsmodell (RLS-90), welches mit der Einführung der neuen Modells (RLS-19) fachlich überholt sind. Insbesondere sind die Pegelerhöhungen zwischen 30 und 50 km/h wesentlich flacher bzw. sogar konstant. Hier werden deshalb überwiegend in Bezug auf Lärmminderung (mind. 3 db(a)) nicht begründbare Maßnahmen ( wie 30er-Zonen, Umleitungen) bestimmt, die dann nach Einführung fast gar keine Lärmminderungen für die Bevölkerung bewirken werden. Die Gesamtsumme des Lärms (also die Zeit der Lärmeinwirkung) wird durch die Einrichtung von 30er-Zonen sogar noch vergrößert, da die Durchfahrtszeiten sich merklich erhöhen werden. Reiner teurer Aktionismus. Diese Aussagen sind aufgrund des verbrauchsabhängigen Schadstoffausstoßes analog auch auf die Schadstoffbelastung übertragbar. Reiner teurer Aktionismus, der im Widerspruch steht zum eigentlichen Ziel (Lärm- und Schadstoffminimierung).