Die Fragestunde der Fraktionen hatte den vielleicht spannendsten Punkt dieses Mal auf den ersten Platz gesetzt. Der deutsche Braunkohleausstieg wird vom Bund bis ins Jahr 2038 hinein mit insgesamt 40 Milliarden Euro fรผr Strukturwandelmaรnahmen gestรผtzt. Angesichts dieser ungeheuren Summe schossen seit 2018 bei manchem in Sachsen und Leipzig die Trรคume wohl etwas in den Himmel, unzรคhlige Projekte wurden angemeldet. Heute, 21. Juli 2021, erlรคuterte Leipzigs OB Burkhard Jung mal im Stadtrat, wie viel Geld nun wirklich in Leipzig fรผr welche Projekte ankommen wird. Und wer da im Hintergrund direkt in die Kommunen hineinregiert.
โWir hatten uns deutlich mehr erhofft. Doch ehrlicherweise muss man sagen, dass Leipzig nur peripher vom Strukturwandel betroffen istโ, so die groรe Klammer, die Burkhard Jung auf Nachfrage der Links-Fraktion um das Thema Strukturwandelgelder heute zog. Aus 2,2 Milliarden Euro an beantragten Leipziger Projekten sind ganze 220 Millionen geworden, oder eben 20 Prozent von 1,1 Milliarden, die das โMitteldeutsche Kohlerevierโ, also die Gegend um Leipzig insgesamt erhรคlt.Immerhin: der Bund fรถrdert Vorhaben mit bis zu 90 Prozent, also nahezu vollstรคndig.
Dann war es jedoch an Jung, erst einmal aufzuzรคhlen, wer oder was alles keine Unterstรผtzungsgelder beantragen konnte, also im eiligen โStrukturstรคrkungsgesetz Kohleregionโ keine Fรถrderungen erfahren wird.
So seien โUnternehmen nicht fรถrderbarโ, โStraรen kรถnnen davon auch nicht gebaut werdenโ und im รbrigen sei das Auswahlverfahren seitens des Bundes unglaublich komplex gewesen. Was Jung jedoch sichtbar รคrgerte, war die รผbliche Fessel, die die Landesregierung an alle Mittel legt.
Ohne die Zustimmung vom neu installierten Regionalentwicklungsministerium mit Ex-Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) an der Spitze geht letztlich nichts. Einen Groรteil der Mittel hat sich zudem die Landesregierung fรผr eigene Maรnahmen gesichert. So regiert die Landesregierung also bei den kommenden Strukturmaรnahmen direkt bis nach Leipzig hinein. Und verhinderte nach der Landtagswahl 2019 erfolgreich, dass der neue Umweltminister Wolfram Gรผnther (Grรผne) zu viel Macht erhรคlt.
Doch eine Maรgabe des โStrukturstรคrkungsgesetzโ ist letztlich noch seltsamer. So kรถnnen all jene Projekte, die gerade Leipzig im Sinne der Metropolregion Mitteldeutschland โ also vor allem in Kooperation mit Halle/Saale โ lรคnderรผbergreifend รผberlegt hatte, nicht durchgefรผhrt werden, weil es strikte Lรคndergrenzen bei den Fรถrderungen gibt.
Mal wieder wird also in einer noch immer relativ strukturschwachen Metropolregion mit rund sechs Millionen Menschen nebeneinander hergewurstelt, weil auf den 30 Kilometern zwischen den beiden Stรคdten eine Lรคndergrenze liegt. Gerade die Vernetzung, die hier auch mit Jena, Chemnitz oder dem Mansfelder Land mรถglich gewesen wรคre, kรถnnte sich als der grรถรte Strukturwandel-Denkfehler fรผr die Zukunft herausstellen.
Die Zahlen und Projekte
Zumindest mit den Landkreisen um Leipzig herum, also in Teilen mit deren Mitteln, will man sich mit etwa 100 Millionen Euro um mehr fossilienfreien รPNV bemรผhen, also entsprechende Fahrzeuge anschaffen.
Was Leipzig mit den derzeit rechnerisch 220 Millionen Euro anstellen will, welche aus den 1,1 Milliarden fรผr das โMitteldeutsche Revierโ auf Leipzig aus den gesamt 14 Milliarden fรผr Sachsen entfallen, war fรผr Burkhard Jung so gut wie geklรคrt. Die Projekte haben alle das komplizierte Antragsverfahren soweit durchlaufen.
So will man davon nun endlich das neue โNaturkundemuseumโ im ehemaligen Bowlingtreff auf oder besser unter dem Wilhelm-Leuschner-Platz errichten, das Projekt โEnergy Cityโ vorantreiben, im Sinne des Tourismus Brรผcken bis zum Cospudener See hinaus ertรผchtigen und last but not least: das โGleisdreieckโ zu einem soziokulturellen Kultur-Highlight um- und ausbauen.
Worum er noch kรคmpfen will, sagte Jung auch: der Tunnel am agra-Gelรคnde, ein Kooperationsprojekt mit der Stadt Markkleeberg sei Thema auch persรถnlich zwischen ihm und Ministerprรคsident Michael Kretschmer (CDU) gewesen. Dieser habe den Tunnelbau bereits zugesagt, persรถnlich, wie auch in einer Pressekonferenz. โSchriftlich habe ich das allerdings nichtโ, so Jung auf Nachfrage von Stadtrat Falk Dossin (CDU).
Geld fรผr neue Arbeitsplรคtze und Nachhaltigkeit?
Blieb also noch die Frage, ob das alles โ wie beim Strukturwandel vorgesehen โ Arbeitsplรคtze schafft. Da war selbst Burkhard Jung skeptisch, nur ein Forschungsprojekt der Uni Leipzig sei noch im Portfolio der Stadtantrรคge, so Jung auf Nachfrage von Linken-Stadtrรคtin Olga Naumov.
Dafรผr sah Leipzigs OB mal weit voraus. Das Ziel sei eben, in rund 15 Jahren Arbeitsplรคtze zu generieren. Ob nicht der Bund selbst durch die rigiden Beschrรคnkungen bei der Projektauswahl eben dies zumindest teilweise torpediert, wird die Zeit zeigen mรผssen. In den gesamten neuen Bundeslรคndern โ also alle drei Kohlelรคnder Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt eingeschlossen โ gab es 2016 noch insgesamt 7.874 Arbeitsplรคtze, die direkt mit dem Kohlebergbau zu tun haben.
Auf Sachsen allein und die Teilreviere in der Lausitz und dem Mitteldeutschen Revier heruntergebrochen, waren es im selben Jahr 2.047 Arbeitsplรคtze. Mit den noch laufenden Kraftwerken macht dies Stand Juni 2019 noch maximal 4.800 Arbeitsplรคtze in ganz Sachsen.
Bliebe also die Frage nach der รถkologischen Nachhaltigkeit der Maรnahmen. Und da ist es gar nicht schlecht, dass zumindest nicht mit jenen Strukturmitteln, die ja auch aus dem fossilen Zeitalter fรผhren sollen, eine Bundesstraรe von hier bis in die Lausitz oder der Ausbau der B87n bei Taucha vorangetrieben wird. Auch diese waren beantragt und abgelehnt worden โ allerdings auch ein neuer S-Bahn-Punkt an der Sรผdsehne der Leipziger Schnellbahnstrecke.
Die zumindest will Jung weiter mit dem Land Sachsen diskutieren.
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