Leipzig wächst. Aber dabei werden immer mehr Flächen versiegelt. Und eine wirkliche Strategie der Stadt, die Versiegelung von Böden zu minimieren, gibt es nicht. Flächenneuinanspruchnahme, wie es im amtlichen Deutsch lautet. Und logischerweise kommt auch der Freistaat Sachsen bei dem Thema einfach nicht weiter. Die Grünen starten jetzt einen neuen Vorstoß im Stadtrat.

„Die Stadtverwaltung wird beauftragt, Strategien und Maßnahmen gegen den zunehmenden Flächenverbrauch und die damit einhergehenden Neuversiegelungen zu entwickeln und dem Stadtrat bis zum IV. Quartal 2021 vorzulegen“, lautet das Kernanliegen des Antrags.Dabei geht es nicht nur um den Verlust wertvoller Böden, die für neue Kiesgruben (wie bei Rückmarsdorf), neue Gewerbegebiete (wie in Seehausen II) oder neue Wohngebiete (wie künftig in der Kiebitzmark) dauerhaft zu verbuchen wäre. Wenn Flächen sich in versiegelte Gebäude- und Platzlandschaften verwandeln, kann weder Regenwasser vor Ort versickern, noch können Pflanzen Schatten bieten oder gar kühlen. Die Stadt heizt sich immer weiter auf, womit sich die Klimabelastung für ihre Bewohner immer weiter erhöht.

Aber Großstädte müssen nicht nur zu einer Schwammstadt werden, wie es seit 2020 endlich Thema auch im Stadtrat ist. Auch ihr Aufheizeffekt muss sich mit den steigenden Temperaturen deutlich verringern. Und das geht nur mit weniger Versiegelung.

„Die Neuversiegelung hat in Sachsen in den vergangenen Jahren weiter dramatisch zugenommen. Leipzig nimmt hierbei als in den vergangenen Jahren stark wachsende Stadt mit großer Sicherheit einen Spitzenplatz ein“, kommentieren die Grünen ihren Vorstoß. „Konkret lässt sich dies jedoch nicht in Zahlen fassen, da die Neuversiegelung wie auch die Entsiegelung nicht systematisch erfasst werden.“

Aber zumindest schätzen kann man die Werte. Auf der Website des Freistaats zum Bodenschutz kann man zum Beispiel lesen: „Zusätzlich zur klimawandelbedingten Beeinträchtigung der Bodenfunktionen hat auch die Flächenneuinanspruchnahme Auswirkungen auf das System Boden. Zwischen 2016 und 2019 wurden im Mittel jeden Tag über 45.000 m² Bodenfläche durch Siedlungs- und Verkehrsflächenbau in Anspruch genommen (Statistisches Landesamt). Diese landnutzungsbedingte Beeinträchtigung der natürlichen Bodenfunktionen schließt auch die Klimaregulierung durch Verdunstung ein, sodass versiegelte Flächen den allgemeinen Erwärmungstrend zusätzlich verstärken.“

2018 waren in Leipzig von 29.780 Hektar insgesamt 11.538 Hektar als Wohnbebauung, Industrie-, Gewerbe- und Verkehrsfläche bebaut. Leider kann man die Zahl nicht mit früheren Statistiken vergleichen, weil sich die Erfassungsmethode inzwischen mehrmals geändert hat. Und es wird nicht wirklich verlässlich dargelegt, ob die Fläche tatsächlich komplett versiegelt ist oder nur zum Teil.

Da reicht schon der Blick in die verschiedensten Innenhöfe: In einigen ist die komplette Fläche als Stellplatz für Autos versiegelt, in anderen findet man sogar ausgewachsene Bäume und Kleingärten. Von den mittlerweile zum Skandal gewordenen Schottergärten ganz zu schweigen.

Aber der Mensch an sich scheint nicht mal zu merken, was er da anrichtet, wenn er „pflegeleichte“ Stadtquartiere baut. Meist wohnen ja die Planer und Investoren nicht in dem Klotz, den sie da hingestellt haben. Und die Kommunen haben die Schaffung von entsiegelten Bereichen in der Stadt noch nicht wirklich auf dem Schirm, obwohl das zwingend Teil einer Klimaanpassungsstrategie werden müsste.

„Mit dem Konzept der doppelten Innenentwicklung, den Zielstellungen des INSEK, der wiedereingesetzten Baumschutzsatzung, der angestrebten Mehrfachnutzung bei Bauvorhaben, sind bereits erfolgreiche oder zumindest in die Wege geleitete Maßnahmen“, zählen die Grünen auf.

„Darüber hinaus gibt es aber weiteres ungenutztes Potenzial. Beispielhaft ist hier eine systematische Erfassung von Ver- und Entsiegelungen und Abbildung der Potenziale in einem sogenannten Entsiegelungskataster zu nennen. In diesen und weiteren Bereichen gibt es Potenziale zu heben, um einerseits die wachsende Versiegelung einzudämmen und andererseits bei der Entsiegelung voranzukommen. Hierfür sind konkrete und ambitionierte Ziele wie die Netto-Nullversiegelung festzuschreiben.“

Was ja letztlich bedeuten würde: Nicht nur für gefällte Bäume müsste in der Stadt Ersatz geschaffen werden, auch für neu betonierte Plätze und zugebaute Wohn- und Gewerbeflächen. An anderer Stelle (oder in der Nähe) müssten also gleichzeitig alte Versiegelungen entfernt werden, um dort wieder Grün wachsen zu lassen.

„Ziel ist es, die immensen Folgekosten, die durch die Aufheizung der Stadt durch Versiegelung und Grünverluste entstehen, zu minimieren“, betonen die Grünen. „Dafür müssen genau diese Kosten auch bei Bauvorhaben bereits bei der Entstehung abgebildet werden.“

Aber sie beantragen nicht nur ein „Kataster zur Erfassung von Ver- und Entsiegelungen“, sondern auch eine „verstärkte Festlegung von sogenannten ,Tabuflächen‘, für die eine besondere Schutzbedürftigkeit aufgrund der Grundwasserneubildung, der Frisch- und Kaltluftentstehung sowie der Minderung des Aufheizeffektes in Überwärmungsgebieten und hohe klimatische Entlastungsfunktion besteht.“

Leipzigs Verwaltung weiß zwar um die immense Rolle dieser Frischluft- und Kaltluftschneisen, hat dafür aber bis heute kein eigenständiges Schutzprogramm aufgelegt. Das übrigens auch wichtige Räume der städtischen Biodiversität erfassen müsste, wie die Grünen fordern: „Berücksichtigung einer vorrangigen Kompensation im Rahmen der zu erarbeitenden Biotopverbundplanung als Biotopvernetzungsinstrument mit Tabuflächen und Flächen für die Schaffung grüner Verbindungsstrukturen.“

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