Es gibt Phantome in der Leipziger Stadtpolitik, die tauchen immer wieder auf, egal, was der Stadtrat gerade beschlossen hat, wie sich die Verkehrspolitik ändert oder wie viele Anwohner gegen ein Straßenbauprojekt wie den Mittleren Ring im Leipziger Osten protestieren. 2015 hatte der Stadtrat eigentlich ein Planungsmoratorium für dieses 100-Millionen-Euro-Projekt beschlossen. 2018 holten es die Freibeuter wieder aus der Versenkung. Und 2021 widmete sich jetzt die AfD-Fraktion diesem Planungs-Gespenst.
2018 verband die Freibeuter-Fraktion ihren Vorstoß mit der Sorge vor einer verkehrlichen Überlastung des Promenadenrings. Obwohl alle Erhebungen zeigen, dass der Kfz-Verkehr auf dem Ring längst um 30 Prozent zurückgegangen ist. Und so recht sah auch die Verwaltung keinen Sinn, jetzt mit aller Macht doch wieder den teuren Mittleren Ring auszubauen, wenn nicht einmal der Druck da ist, den Promenadenring massiv von Kfz-Verkehr entlasten zu müssen.Aber die Leipziger Autolobby ist vergesslich oder blendet einfach die wirklichen Zahlen aus. Sie kommt immer wieder mit denselben alten Argumenten an die Öffentlichkeit, die letztlich aus den 1990er Jahren stammen und einen Verkehrskollaps suggerieren, der schlicht nicht eingetreten ist.
Und so formulierte das Dezernat Stadtentwicklung und Bau 2018 seinen Gegenvorschlag, der vom Stadtrat auch so angenommen wurde: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, auf Grundlage der Verkehrsprognose 2030 und der vsl. für 2019 zu erwartenden Überarbeitung der Bevölkerungsprognose für die Stadt Leipzig vor Ablauf des 10-jährigen Planungsmoratoriums für den Mittleren Ring Südost eine Verkehrsuntersuchung zu dessen verkehrlicher Wirksamkeit durchzuführen. In diesem Zusammenhang wird auch die verkehrliche Wirksamkeit für die Entlastung der Innenstadt vom Kfz-Verkehr mituntersucht.“
Auf den nun bezog sich die Anfrage der AfD-Fraktion
„Nach wie vor müssen die Hauptstraßen im Leipziger Osten/Südosten nicht nur Quellverkehr, sondern auch massiven Pendlerverkehr aus dem östlichen Leipziger Land aufnehmen. 18.000 bis 20.000 Kraftfahrzeuge rollen täglich über die Paunsdorfer, Engelsdorfer und Sommerfelder Straße durch die Ortsmitte von Mölkau und über die Holzhäuser Straße durch das Zentrum von Stötteritz“, hatte die AfD-Fraktion in ihrer Anfrage formuliert.
„Durch die hohe Verkehrsbelastung beträgt in Mölkau und in Stötteritz an vielen Stellen die Lärmbelastung tagsüber 70 dB(A). Bei Überschreitung dieser Grenzwerte sieht die Stadt Leipzig Handlungsbedarf zur Lärmminderung. Die Gesamtheit der Anwohner wird darüber hinaus durch Emissionen massiv belastet, da Kreuzungen und Kurven im Straßenverlauf den Verkehrsfluss verlangsamen. Fahrradfahrer benötigen, neben den vielen staugeplagten Kraftfahrzeugführern, starke Nerven und Fußgänger müssen für eine Straßenüberquerung entweder bis zur nächsten Ampel laufen oder sprintstark sein. Insgesamt ist die Kapazität der vorhandenen Straßen erschöpft!“
Die Zahlen stimmen schon. Wer die letzten veröffentlichten Verkehrszählungen der Stadt genauer betrachtet, sieht, wie sich die Kraftfahrzeugströme von der Torgauer Straße über die Hochentichelnstraße und dann noch gespeist aus der Permoserstraße Richtung Mölkau und Stötteritz wälzen, um dann im Wesentlichen in die Zweinaundorfer und die Prager Straße stadteinwärts abzubiegen.
Das Problem ist tatsächlich, dass der geplante Mittlere Ring daran nichts ändern würde, eher nur diese Fahrzeugströme in andere Ortsteile umlenken würde – Sellerhausen, Stötteritz und Volkmarsdorf, wo die Bürger jetzt schon auf die Straße gehen, um gegen diese Verschlechterung zu demonstrieren.
Auch deshalb hatte der Stadtrat ja 2015 beschlossen, die Planungen für zehn Jahre erst einmal auf Eis zu legen und lediglich die sogenannte Bahntrasse so lange planerisch frei zu halten.
Die Bevölkerungsvorausschätzung von 2019 liegt ja inzwischen vor und sieht ja statt der prognostizierten 730.000 Einwohner um das Jahr 2030 eher nur 650.000. Aber zwischenzeitlich hat der Stadtrat ja auch ein völlig neues Mobilitätskonzept und einen neuen Nahverkehrsplan beschlossen, die die Verkehrsinvestitionen vor allem im ÖPNV priorisieren.
So betonte es auch Thomas Dienberg in Antwort auf die AfD-Anfrage am 24. Juni. Denn darin war sich die Stadtratsmehrheit beim Beschluss des nachhaltigen Mobilitätskonzeptes einig: Die Verkehrsprobleme der Stadt löst man nicht mit noch mehr Straßen, sondern nur mit der Priorisierung von ÖPNV und Radverkehr.
Und obwohl es bis 2025 noch vier Jahre sind, fragte die AfD-Fraktion: „Konnte bisher auf Grundlage der städtischen Verkehrsprognose 2030 und der überarbeiteten Bevölkerungsprognose eine Verkehrsuntersuchung durchgeführt werden, welche die verkehrliche Wirksamkeit des Mittleren Ringes unter den Aspekten ,Entlastung der Ortschaft Mölkau und angrenzende Orts- und Stadtteile‘ und ,Entlastung der Leipziger Innenstadt‘ herleitet?“
Eine Frage, auf die Dienberg nur mit einem klaren Nein antwortete, nachdem er erläutert hatte, dass die Verwaltung gerade das bislang benutzte integrierte Verkehrsmodell, mit dem bislang Verkehrsströme in Leipzig modelliert wurden, durch ein digitales Modell ersetzt, kurz MoBi genannt.
Von 2020 bis 2024 soll es das alte Verkehrsmodell ablösen. Die Implementierung laufe gerade, so Dienberg. Und ab 2023 wären dann Leipzigs Verkehrsplaner in der Lage, mit dem digitalen Modell neue Verkehrsstrom-Berechnungen vorzunehmen.
Derzeit sei deswegen eine Modellierung des Mittleren Rings noch nicht möglich. Und während die AfD wieder nur die Probleme der Mölkauer benannte, verwies Dienberg darauf, dass auch die Stötteritzer nicht wirklich für ein Projekt wie den Mittleren Ring wären, sondern auch in der Mitmach-Aktion „Aktiv mobil in Stötteritz“ zahlreiche Ideen vorgeschlagen hätten, ihren Ortsteil vom Verkehr zu entlasten. Darunter viele Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung, zur Verbesserung des ÖPNV (wie am S-Bahnhof Stötteritz) und beim Radverkehr.
Und eigentlich ist – mit Blick auf die letzten Verkehrszählungen – heute schon absehbar, dass sich die Mölkauer Probleme mit einem Mittleren Ring in Sellerhausen nicht lösen lassen.
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Um es einmal salopp zu formulieren:
Wir – als wirklich hier in der Stadt wohnende Bürger von Leipzig und deren kommunale Entscheider – sollten es uns in unserer Stadt so schön und nachhaltig wie möglich machen!
Das heißt, wir sollten solchen “Grüne-Wiese-Problemen” wie dem privaten Pendelverkehr eher Steine in den Weg legen, anstatt dies noch zu befördern.
Ich kann die Einwohner der äußeren Stadtteile gut verstehen und sehe / höre dies auch.
Klar ist es schön, draußen vor dem Tor zu wohnen und alle Annehmlichkeiten dort mitzunehmen.
Aber als Dank den in der Stadt Wohnenden zusätzlichen Lärm, Abgase und Staus aufzubürden, finde ich sehr egoistisch.
Ein Mittlerer Ring löst das nicht, trägt eher noch zur Induzierung dieser Effekte bei.
Die Mentalität ist: ich zahle Steuern, also darf und kann ich auch alles mit meinem Auto tun, wo ich möchte.
Ohne gedankliche Restriktionen kann man man über Citymaut nachdenken, oder mehr Anwohnerparkplätze.
Natürlich mit entsprechenden Entlastungen für in der Stadt Wohnende.
Man sollte unbedingt den ÖPNV weiter ausbauen und Übergangsmöglichkeiten am Rand der Stadt zur Verfügung stellen.