In der Ratsversammlung am Donnerstag, 24. Juni, ging es auch um den „Sozialreport“ der Stadt. Den gibt es seit 2004. Jedes Jahr erscheint eine neue Ausgabe mit aktualisierten Zahlen. Zumindest all den Zahlen, die die Stadt erheben kann, um irgendwie ein Bild davon zu bekommen, wie es um die sozialen Problemlagen in der Stadt eigentlich steht. Und dann müsste man ja nur gegensteuern, oder?
Müsste man, befand jetzt die Linksfraktion und hat einen entsprechenden Antrag eingereicht.„Die Berichterstattung erfolgt dabei mehrdimensional. Sie nimmt Bezug auf zentrale sozialpolitische Themen und beschreibt Entwicklungen im Zeitverlauf. Außerdem werden kleinräumige Unterschiede aufgezeigt und spezifische Zielgruppen betrachtet“, heißt es im jüngsten „Sozialreport 2020“, den noch das Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt allein herausgegeben hat.
Schon 2021 soll sich das ändern. Dann sollen zwei Dezernate verantwortlich sein und der Bericht soll mehr Querverweise bieten, die sichtbar machen, wie die Stadt auf die Befunde im Sozialreport reagiert.
So steht es im Verwaltungsstandpunkt. Künftig soll es auch einen Abschnitt „Entwicklungen und Herausforderungen“ geben. Denn wer den „Sozialreport“ aufmerksam liest, merkt, dass sich einige Dinge in der Stadt verschlechtert haben, auch schon vor Corona, während die Stadt augenscheinlich wirtschaftlich immer besser dastand.
„Der Sozialreport der Stadt Leipzig wird kontinuierlich weiterentwickelt. 2020 wurde er hinsichtlich der Bedürfnisse von Menschen mit Sehbeeinträchtigungen überarbeitet. Der Sozialreport 2021 wird Neuerungen bei der genderdifferenzierten Berichterstattung enthalten“, gesteht die Verwaltung zu. „Ab dem Erscheinungsjahr 2021 wird er gemeinsam von dem Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt und dem Dezernat Jugend, Schule und Demokratie vorgelegt.“
Mehr wäre wohl auch nicht leistbar, betonte die Grünen-Vorsitzende Katharina Krefft in ihrer Rede zum Linke-Antrag, in der sie den Verwaltungsvorschlag zur Abstimmung stellte. Denn die von der Linken gewünschte Bürgerbeteiligung sei schlicht im Jahresrhythmus nicht leistbar. Und all die Programme, mit denen Leipzig gegenzusteuern versucht, brauchten in der Regel vier bis fünf Jahre vom Beschluss über die Beteiligung bis zur Umsetzung.
Und oft hat die Stadt gar nicht die Mittel, selbst zu steuern, weil die Entscheidungen im Bund fallen. Was dann eben auch bedeutet, dass eine Stadt wie Leipzig trotz Wirtschaftswachstum und wachsenden Durchschnittseinkommen die Armut nicht loswird und die Geringverdiener dann trotzdem die steigenden Kosten zu tragen haben.
Sichtbar wurde das ja gerade erst bei den Hilfen zur Erziehung, deren Zahl unablässig steigt. Eigentlich nicht begreifbar, wenn man nur auf die sinkende Arbeitslosigkeit und die steigenden Durchschnittseinkommen schaut.
Aber mit 17,2 Prozent liegt die Armutsgefährdungsquote noch immer auf dem seit Jahren gewohnten Level. Und während Vermieter stolz darauf verweisen, dass die Leipziger immer noch nur 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben, zeigt schon die Zahl für 2019 eine Steigerung von 29,9 auf 30,4 Prozent. Die Zahl der jährlichen Wohnungsnotfälle hat sich deutlich über 2.000 etabliert und die Zahl der „Empfänger/-innen Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ zieht gerade kräftig an.
Und das hat auch damit zu tun, dass in Leipzig immer noch jedes Jahr 11 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verlassen. Das kann man Absicht nennen oder Systemversagen, es spricht für sich. Denn es erzählt von der Gleichgültigkeit der verantwortlichen Politik ausgerechnet den Menschen gegenüber, die sowieso schon finanziell knapp gehalten werden und keine Reserven haben, ihren Statusnachteil in irgendeiner Weise auszugleichen.
Und die Steuerungsmöglichkeiten der Stadt sind da natürlich denkbar gering, auch wenn die Sozialausgaben schon lange der größte Batzen im Stadthaushalt sind. Oder wie es im „Sozialreport 2020“ heißt: „Im Haushaltsjahr 2019 wurden in der Stadt Leipzig 1.067,3 Mio. Euro für sozialpolitische Aufgaben aufgewendet. Das entspricht 59 % des Gesamthaushaltes der Stadt. Seit dem Jahr 2005 steigen die Aufwendungen der Stadt Leipzig für sozialpolitische Aufgaben kontinuierlich an. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Aufwendungen für sozialpolitische Aufgaben um 41,7 Mio. Euro.“
Hier wird die gesetzlich erzeugte Ungleichheit in unserer Gesellschaft für alle sichtbar – und letztlich auch die Machtlosigkeit der Städte, denen die Instrumente fehlen, Armut und Bildungsungerechtigkeit wirklich nachhaltig zu beseitigen.
Logisch, dass sich Volker Külow, der den Antrag für die Linksfraktion einbrachte, mehr Querverweise zu Initiativen der Stadt wünschte, damit die Ratsfraktionen auch sehen können, ob und wie diese Initiativen wirken oder ob nachgesteuert werden muss.
Das werde es künftig auch geben, stellt die Verwaltung in Aussicht.
Und so stand am Ende – von Grünen und CDU gewünscht – die Verwaltungsvorlage zur Abstimmung und wurde – bis auf Gegenstimmen aus der Linksfraktion – so auch angenommen.
Die Debatte vom 24. Juni 2021 im Stadtrat
Video: Livestream der Stadt Leipzig
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