Ganz kurz war es vor einem Jahr Thema, als Leipzig nach Möglichkeiten suchte, den Gastwirten mehr Platz im Freien zu verschaffen, damit möglichst viele Menschen im Freisitz sitzen konnten und die Corona-Ansteckungsgefahr in Innenräumen vermindert wurde. Da sollten auch Parkbuchten für Freisitze freigegeben werden und sogar ein Teil, der Gottschedstraße für den Autoverkehr gesperrt werden. Aber es ist kompliziert geblieben, kritisiert der Ökolöwe.
„Mehr Platz für Menschen, anstatt für Autos“, so muss aus der Sicht von uns Ökolöwen das Motto für diesen zweiten Corona-Sommer lauten. „Damit sich das Leben in den kommenden Wochen nach draußen verlagern kann, braucht es mehr Platz auf Leipzigs Fußwegen. Deshalb fordern wir Ökolöwen: Macht Parkplätze zu Freisitzen!“Der Leipziger Umweltverbund richtet seinen Blick dabei auf die bayrische Landeshauptstadt München, wo das mit den Freischankflächen augenscheinlich problemlos umgesetzt wurde.
„In der bayrischen Landeshauptstadt wurden bereits 2020 Parkplätze kurzerhand in Freisitze umgewandelt. Diese sogenannten Freischankflächen auf ehemaligen Parkplätzen waren bei den Münchner/-innen sehr beliebt, sodass diese auch in diesem Jahr erneut eingerichtet werden dürfen“, wirbt der Ökolöwe für dieses bayrische Modell, mit dem Gastwirten auf unbürokratische Weise geholfen wurde, mehr Gäste im Freien bewirten zu können.
„Der dazugehörige Stadtratsbeschluss geht sogar noch einen Schritt weiter“, stellt der Ökolöwe fest. „Künftig ist es den Münchner Gastronom/-innen erlaubt, jedes Jahr von April bis Oktober ihre Freisitze auf die angrenzenden Parkplätze zu erweitern. Von dieser Möglichkeit machten die Münchner Gastronom/-innen regen Gebrauch. Binnen kürzester Zeit wurden fast 1.000 neue Freisitze auf ehemaligen Parkplätzen genehmigt. Hier finden nunmehr 5.000 Menschen einen Platz, ohne den Fußgänger/-innen den Platz wegzunehmen.“
Und die Münchner fanden ihr Vorbild in einer Stadt, die beim Thema Mobilitätswende sowieso schon allen um Jahre voraus ist: der österreichischen Landeshauptstadt Wien.
„In Wien ist es Gastronomen schon seit einigen Jahren möglich, Parkplätze am Straßenrand in Freisitze umzuwandeln. In Österreichs Hauptstadt sind sie schon seit Jahren nicht mehr aus dem Stadtbild wegzudenken. Hier heißen sie Schanigärten. Der Begriff ,Schani‘ bedeutet dabei nichts anderes als ,Kellner‘“, so der Ökolöwe. „Dieser ist in Wien weit verbreitet. Ursprünglich kommt er vom französischen Vornamen ,Jean‘, manche sagen auch, er beziehe sich auf den italienischen ,Gianni‘, weil Italiener in Wien vor ihren Kaffeehäusern die ersten Tische im Freien aufstellten.“
Aber die Frage steht jetzt im Raum: „Wann gibt es die Schanigärten auch in Leipzig?“
„Wir Ökolöwen wollen, dass sowas auch in Leipzig unkompliziert möglich ist, und zwar dauerhaft“, betonen die Ökolöwen.
„Deshalb fordern wir die Stadtverwaltung auf, wohlwollend für Freisitze auf Parkplätzen und Fahrbahnen zu entscheiden, so wie das in Wien und München praktiziert wird. Der Stadtrat hat die Verwaltung auf Antrag der Fraktion Die Linke bislang beauftragt, die Gebühren für Freisitze bis zum Kalenderjahr 2021/22 zu erlassen, um die Folgen der Corona-Pandemie für Gastronomen abzumildern. Wir Ökolöwen gehen noch einen Schritt weiter und sagen: für eine lebendige Stadt – Schanigärten jedes Jahr!“
Ganz unmöglich ist es den interessierten Gastwirten freilich nicht, auch die Parkplatzflächen vor dem Lokal für ihren Freisitz zu beantragen. Das hat Leipzig 2020 möglich gemacht. Aber halt unter Vorbehalt und nach Einzelfallprüfung, wie das Dezernat Stadtentwicklung und Bau auf einen entsprechenden Antrag der Linksfraktion hin erläuterte: „Es ist daher stets anhand der aktuellen Situation, der Funktionsbedeutung der Straße, der durchschnittlichen Frequentierung, der zum Zeitpunkt der gewünschten Inanspruchnahme bestehenden anderweitigen Sondernutzungen, des dort vorhandenen Anliegerverkehrs sowie gegebenenfalls Baustellen und Umleitungen, unter Berücksichtigung von Flucht- und Rettungswegen eine Einzelfallentscheidung zu treffen, inwieweit eine Sondernutzung erlaubt werden kann. Dies kann gerade nicht generalisiert werden.
Insbesondere bei der Nutzung der Parkflächen oder Fahrbahnen entstehen große Anwohnerprobleme, z. B. durch zusätzlichen Freisitzlärm und fehlende Parkplätze. Ebenfalls stellt sich die Frage des Angebotes für die Anwohner nach Ausweichparkplätzen. Es ist zu bedenken, dass in bestimmten Bereichen der Stadt Leipzig das Bewohnerparken angeordnet ist und eine weitere Verknappung von Stellflächen in diesen Bereichen eine konfliktträchtige Auswirkung auf die dort lebenden Menschen hat. Ebenso muss die Andienung durch Dienstleister (Handwerker, Pflegedienste etc.) in diesen, aber auch in allen anderen Bereichen der Stadt Leipzig gewährleistet bleiben.“
Man merkt dieser Stellungnahme aus dem Juli 2020 schon an, wie sehr der geharnischte Protest der Autofahrer gegen das kommende Anwohnerparken im Waldstraßenviertel in der Verwaltung für Unruhe sorgte. Andererseits freilich auch, wie sehr Leipzig selbst der Entwicklung in München hinterherhinkt, was das Gewohnheitsrecht im öffentlichen Raum betrifft.
Von Münchner oder gar Wiener Gelassenheit bei dem Thema ist Leipzig noch weit entfernt, obwohl auch die Verwaltung durchaus für eine Erweiterung der Freisitze plädiert. Aber dann doch lieber auf dem Bürgersteig.
Und was ist nun mit der Gottschedstraße?
Ein Jahr nach dem Vorschlag, daraus sogar ein Projekt im Klima-Sofortprogramm zu machen, steht die Umsetzung immer noch aus. Augenscheinlich wird noch immer geprüft, wie es im Juli 2020 der CDU-Fraktion mitgeteilt wurde: „Es wird geprüft, in einem ersten Pilotprojekt die Gottschedstraße zwischen Dittrichring und Schauspiel (Bosestraße) für den Verkehr zu sperren. Hierdurch würde eine typische ,Kneipenmeile‘ umgestaltet, um sie im Rahmen des Corona-Krisenmanagements temporär als ,Freisitzstraße‘ zu nutzen und damit bereits kurzfristig in ihren Funktionen grundlegend zu verändern.
Vorab werden Anwohnerinnen und Anwohner sowie anliegende Gewerbetreibende beteiligt und deren Anliegen berücksichtigt. Ziel ist es, weitere Straßen als dauerhafte grüne Begegnungsräume auszubauen. Durch die intelligente Gestaltung mit Grünflächen und großkronigen Bäumen sowie einem Wasserspielplatz und Sitzgelegenheiten gewährleisten diese Räume auch in stetig zunehmenden Hitzeperioden einen angenehmen Aufenthalt im Freien.
Bepflanzte Flächen und gegebenenfalls abgesenkte Teilflächen dienen bei Starkregenereignissen als Retentionsräume und entlasten damit aktiv das Kanalnetz. Diese Räume dienen beispielgebend als Impuls an die Stadtgesellschaft, die zunehmend erforderliche Multifunktionalität von öffentlichen Räumen zu erkennen und deren Vorzüge anzuerkennen. Sie können zudem ein Motor für anliegende Gewerbetreibende sein.“
Augenscheinlich prüft man noch immer.
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Es gibt 4 Kommentare
Bitte nochmal meinen Kommentar vor Ihnen lesen – ich hatte darauf hingewiesen, dass das Jeder anders sieht mit dem Ambiente und dem, was er erwartet. Vorschriften hatte ich keine erlassen.
Es gibt zudem genug Bilder, auf denen man flanierende Menschen aus der von Ihnen angesprochenen Zeit der DDR findet. Leute, die ohne Eile den Fußweg benutzen, ohne dass es auf den “einzig zugelassenen” Verkehrszweck reduziert werden kann. Man kann an ätzende Dinge wie die schnelle Verdachtsaufnahme von Belanglosigkeiten erinnern, muss man aber nicht in dem Zusammenhang.
(Dass schnelle Verdachtsaufnahme auch negative Dinge wie öffentlicher Drogenkonsum und -verkauf, Graffitti und andere Delikte senkt, sei an dieser Stelle nur erwähnt. Ich wünsche mir die Zeit auch nicht vollumfänglich zurück).
Mein Opa, ein überaus “braver” (?) Bürger, ist mangels Führerschein übrigens sein ganzes Leben Fahrrad gefahren. Bei Wind und Wetter, zur Arbeit, in der Freizeit. Zum Einkaufen gab es den Rollfix, wenn mal mehr anstand. Ebenso mein Vater. Ich kann Ihrer tendenziösen Argumentation nicht folgen, die “verdächtiges” Gehwegbenutzen und “falsches” Radfahren erwähnt.
Es ging um die Umnutzung von Straßenanteilen für Gastronomie. Es gibt Leute, die wollen es, der Zeitgeist im urbanen Gebiet möchte es auch – bitteschön. Käffchen überall!
Lieber Sebastian,
Ihr schöner Kommentar kreist um die Frage
>frage ich mich halt schon, wer denn bitte auf einer Straße sitzen und dort gemützlich essen möchte
Es gibt wohl eine ganze Menge Leute, die das wollen. Und in anderen Städten funktioniert das sogar sehr gut, weil die Autofahrer nicht so d*mlich sind wie die in Leipzig. Selbst in Paris mit seinen engen Straßen kann man gemütlich auf dem schmalen Bordstein den Café au lait schlürfen, während ein halber Meter nebenan die Autofahrer kurven. Die fahren da aber auch nicht mit offenem Messer wie hierzustadt.
Und wenn Sie nicht auf der Straße sitzen wollen, dann ist das auch gut. Es gibt auch Leute, die lieber in Innenhöfen sitzen. Auch schön.
Aber bitte legen Sie nicht fest, wer wo seinen Kaffee schlürfen kann.
Die Zeit, wo die Straße nur dem Autoverkehr vorbehalten ist, Menschen auf dem Fußweg gefälligst nur zum Einkaufen unterwegs zu sein haben, während Menschen, die sich irgendwo an eine Hauswand anlehnten, schon verdächtig waren – diese Zeit ist sowas von 1960-1990. Gut dass das vorbei ist. Straße ist Lebensraum für alle, nicht nur für Gangster.
Es gibt sogar Ladengeschäfte, die eigens Sitzbretter vor die Schaufenster hinstellen, um dem Fußweg etwas menschliches Flair zurückzugeben, selbst wenn die Sitzenden gar nicht in den Laden reingehen. So war es sehr lang bei einem Skaterladen in der Nikolaistraße.
Irgendwie erinnert mich Ihre Argumentation daran, dass Fahrradfahren bei braven Bürgern mal regelrecht verpönt war, wenn es nicht Sport, Ausflug oder Radtour war.
Aber bitte, Sebastian, legen Sie doch nicht fest, ob man auf der Straße sitzen darf oder nicht.
Sie finden auch in Leipzig noch genügend Straßen, wo man sich nicht hinsetzen kann. Reichen die Ihnen nicht? Gibt auch welche mit LVB-Panzern. Ich empfehle Ihnen die beiden GSS, die es in Leipzig gibt. Aber beeilen Sie sich, diese beiden GSS werden – wenngleich im Schneckentempo – so langsam von Cornerern und anderen Leutchen in Beschlag genommen…
Und ich frage mich, ob eigentlich jedes Mittel Recht ist, dass man noch ein Argument zur Verschlechterung des Autobesitzes und -benutzens findet. Man soll natürlich nicht immer nur von sich ausgehen, aber zumindest im ersten Schritt frage ich mich halt schon, wer denn bitte auf einer Straße sitzen und dort gemützlich essen möchte. Schon auf dem Bürgersteig ist es für mich grenzwertig, Beispiel Café Maitre oder Kollektiv. Und zwar sowohl als Gast als auch aus der Fußgängersicht.
Aber gut, es scheint ja genug Leute zu geben, die genau das wollen. Man setzt sich an die Karli, unterbricht im Abstand der vorbeirollenden LVB-Panzer sein Gespräch (und nörgelt im Fall des Ökolöwen dann ausgerechnet gegen den Autolärm) und schlürft dabei seinen Kaffee.
Oder im Fall des Süd-hipster-Platzes, sitzt man wahlweise auf Bordsteinen, dem Aufklappbrett des Blumenladens (der wurde inzwischen mit einem Vorhängeschloss gesichert!) oder in den Hauseingängen. Kann man ja alles machen, nicht jeder legt Wert auf Ambiente.
Bloß so zu tun als seien die pöhsen Autos etwas, was von selbst die Menschen verdrängt, die ja so gerne die Straßen nutzen möchten für Couchs, Liegestühle und noch mehr Cafés (gibt es für soviel Konsum echt genug Leute mit Geld?), finde ich realitätsfern. Aus ganz wenigem von dem Ideenangebot, was es zum “Parking Day” zu sehen gibt, kann ich etwas sinnvolles oder gar langfristig bereicherndes abgewinnen.
Um die Tonart des Vorkommentatoren aufzunehmen: Danke, liebe Stadtverwaltung, dass es noch Leute gibt, die sich abwägend dem Zeitgeist gegenüberstellen und sich nicht von Merkwürdigkeiten wie “Menschen statt Autos” überwältigen lassen. Eine echt witzige Dialektik hat der Spruch…
Ganz offen: ich kann diese Hyperventilationen der Leipziger Stadtverwaltung schon nicht mehr zu Ende lesen, sobald es um Autoverkehr geht.
Bitte, Herr OBM, seien Sie offenherzig und bauen mit Ihrer Stadtverwaltung das Zentrum und die Vorstädte endlich zu einem geilen Freilichtmotodrom mit – ja, ich wiederhole mich – Gründerzeitdeko um. Einiges ist schon da: der Ring und krasse Ausfallstraßen wie Schumi und Prager. Da geht noch einiges. Die innere Jahnallee als Einbahnstraße im Wechselverkehr. Wrommm!
Die Umwegrendite, die von einfallenden Horden von SUVfies erzeugt werden wird, wird unermesslich sein.