Rollende Kunststraßenbahnen in Leipzig? Es wäre zu schön gewesen, wird aber wohl nicht passieren. Es war eine Idee des Jugendparlaments, die nicht nur darauf zielte, jungen Künstler/-innen in Leipzig mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das Kulturamt der Stadt lehnt den Antrag jetzt ausgerechnet mit den Argumenten des Jugendparlaments ab.
Das hatte im April in seinem Antrag festgestellt: „Egal ob Zeitung oder Tagesschau, egal ob Internet oder Radio, egal ob zu Hause oder in den Straßen – Werbung ist überall und begleitet uns. Über 60 Prozent der Deutschen haben in 2020 mindestens mehrfach wöchentlich, die Mehrheit dabei täglich, Werbung konsumiert und wahrgenommen. Dass diese Menge an auf uns einprasselnden Marken und Werbebotschaften nicht gesund ist, verrät einem nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern auch statistische Erhebungen und psychologische Analysen.“Kluge Ratgeber empfehlen übrigens gut begründet, nichts von all dem Zeug zu kaufen, was da angepriesen wird. Denn Dinge, die die Menschen wirklich brauchen, brauchen auch keine Werbung. Aber es wird noch dauern, bis in Leipzig tatsächlich einmal ernsthaft über die Minimierung überflüssiger Werbung für überflüssige Produkte diskutiert werden wird.
„Die Initiative des Jugendparlamentes/Jugendbeirates, sich für eine Kunst- und Projektionsfläche einzusetzen, in welcher junge Künstler/-innen die Möglichkeit haben sich zu präsentieren, ist aus Sicht der Stadtverwaltung begrüßenswert“, teilt das Kulturamt in seiner Stellungnahme jetzt zwar mit.
Aber: „Die Beklebeflächen von Straßenbahnen eignen sich dafür allerdings nicht. Sie werden als Werbung/Werbeflächen wahrgenommen, was sie tatsächlich stets auch sind. Würde man dort Motive der bildenden Kunst aufbringen, ist vonseiten der Betrachtenden die Differenzierung zwischen Kunst und Werbung nicht möglich. Kunst würde so direkt in den Werbekontext eingebracht, darin gesehen und ,konsumiert‘. Dies führt zu einer Diffamierung und zu einer Alltäglichkeit, die dem Anliegen der Weltwahrnehmung und -beschreibung der bildenden Kunst diametral entgegensteht. Straßenbahnen sind kein Mittel, bildende Kunst zu vermitteln.“
Und beklebt werden die Straßenbahnen ja, weil die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) damit ein paar Peanuts verdienen.
Daran möchte das Kulturamt auch nicht rütteln: „Abgesehen von den inhaltlichen Differenzen ist ein solches Vorhaben nicht zu finanzieren. Es ist festzustellen: Grundsätzlich stellen die Werbeflächen an den Straßenbahnen eine wichtige Einnahmequelle für die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH (gerade in Corona-Zeiten) dar. Eine Befürwortung des Antrags könnte nur erfolgen, sofern ein finanzieller Ausgleich der Verluste der Werbeeinnahmen und der darüber hinaus entstehenden Kosten gegenüber der LVB möglich ist. Dafür stehen keine finanziellen Mittel zur Verfügung, der Antrag zeigt auch keine Deckelung auf.“
Und in gewisser Weise kommt der Antrag des Jugendparlaments auch den Interessen der Stadt in die Quere, selbst ein bisschen Werbung auf Straßenbahnen machen zu können – so wie im Foto 2013 für das Wagner-Jubiläum. Das Kulturamt dazu: „Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Werbeflächen der LVB auch sehr gute Vermarktungsmöglichkeiten für die städtischen Unternehmen (z. B. den Zoo oder die Stadtwerke) darstellen.“
Und nun? Was kann man da für die junge Kunst eigentlich tun?
„Es kann angeregt werden, das Anliegen bildende Kunst jüngerer Künstler/-innen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, auf ausgewählten Flächen im öffentlichen Raum, organisiert durch Kunstvereine und Initiativen, zu verwirklichen“, meint das Kulturamt. „Auch können private Sponsor/-innen angesprochen werden. Beispielgebend können Projekte sein, die in anderen deutschen Städten erfolgreich stattgefunden haben. Zu nennen wäre hier etwa das Projekt ,AnsehBar‘ aus Gelsenkirchen (2020) oder das Projekt ,Out and about – Kunst geht raus‘ aus Wuppertal (2020).“
An der Stelle wird es leider ziemlich peinlich. Denn beide empfohlenen Projekte von Kunstaktionen im öffentlichen Raum fanden auf großen Plakatflächen statt. Eben einen solchen Antrag des Jugendparlaments hat das Leipziger Kulturamt 2019 erst abgelehnt. Damals mit der Begründung: „Das Freikontingent an Werbeflächen der Stadt Leipzig ist zur Bewerbung herausragender Kulturveranstaltungen vorgesehen. Als herausragend gelten touristisch relevante (Groß)Ereignisse wie Festivals, Feste oder Premieren.“
Das nennt man dann wohl Hase-und-Igel-Taktik, um sich mit einem solchen Anliegen nur ja nicht beschäftigen zu müssen. Jetzt kann man gespannt sein, wie der Stadtrat diese Taktik findet, wenn der Antrag zur Abstimmung in die Ratsversammlung kommt.
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Keine Kommentare bisher
Die Begründung, dass Kunst mit Werbung verwechselt werden könne, ist selten dämlich. Und das von einem Kulturamt? Waren die überhaupt mal in einem Museum? Das ist ja richtig peinlich.
Das Bildermuseum sollte eine Sonderausstellung “Werbung” machen. Die Kulturamtsleute werden dort einen ganzen Tag eingesperrt und schreiben dann einen großen Strafaufsatz zum Verhältnis von Kunst und Werbung (sowieso ein großes Thema) und spendieren außerdem Rotwein an alle Mitglieder der HGB, die sich beleidugt fühlen dürfen.