Am Mittwoch, 12. Mai, war auch Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der Linkspartei zur Bundestagswahl, in Leipzig. Anlass war der „Tag der Pflege“, zu dem es auch eine Kundgebung auf dem Kleinen Wilhelm-Leuschner-Platz gab. Die Gelegenheit konnte die LZ zu einem Gespräch mit Dietmar Bartsch nutzen. Auch zur Frage, wie er zur möglichen Regierungsoption mit Grünen und SPD steht.

Denn rechnerisch ist die Bundestagswahl 2021 so offen wie lange nicht mehr. Neben Optionen wie Schwarz-Grün oder Grün-Schwarz wird ja auch über eine mögliche Ampelkoalition (Grün-Rot-Gelb) und auch die Option Grün-Rot-Rot diskutiert. Jede neue Wählerumfrage „Wen würden Sie wählen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre?“ wird zu immer neuen Spekulationen genutzt.Die Linkspartei hat ihre beiden Spitzenleute zur Bundestagswahl am Montag, 10. Mai, gewählt. Und mit Janine Wissler und Dietmar Bartsch hat sie zwei markante Persönlichkeiten gewählt, die sich in der Bundespolitik schon einen Namen gemacht haben und die auch gefragt sind, wenn eine linke Stimme in deutschen Talkshows gebraucht wird.

Logisch, dass wir mit Dietmar Bartsch über die starke Fixierung deutscher Medien auf Persönlichkeiten sprachen. Bundespolitik wird fast ausschließlich über Persönlichkeiten vermittelt. Das sieht er auch selbst so. Bestenfalls ein Prozent der Wahlberechtigten liest überhaupt die Wahlprogramme der einzelnen Parteien, egal wie viel Mühe die Parteigremien sich gegeben haben, dort die wichtigsten Positionen zu formulieren.

Oder wie heftig die Diskussionen auf den Programmparteitagen waren, über die die einschlägigen Medien ja berichten, als ginge es da um Fußballendspiele und nicht um die Essenz der Demokratie: das öffentliche Streiten über Inhalte und Visionen, auch über Formulierungen.

Und die Linken waren und sind immer wieder dafür bekannt, dass sie sich bis aufs Messer streiten können. Oft vermittelt die Berichterstattung den Eindruck, gerade das sei inakzeptabel, Parteien, die nicht mal alle geschlossen hinter ihrem Spitzenkandidaten stünden, wären nicht regierungsfähig.

Aber im Gespräch wird dann deutlicher, dass Politik nichts mit starren Positionen zu tun hat. Genauso wenig wie mit dem Vorab-Zugeständnis an mögliche Koalitionspartner, die Bartsch lieber als Wettbewerber bezeichnet. Und damit einen zentralen Punkt benennt, der in der deutschen Wahlberichterstattung fast immer untergeht: dass Wahlen zuallererst Wettbewerbe um die Stimmen der Wähler sind. Auch dann, wenn es wie in diesem Jahr wohl ohne die großen öffentlichen Wahlveranstaltungen und emsigen Hausbesuche über die Bühne gehen muss.

Und es wäre ein Fehler, so Bartsch, sich ein halbes Jahr vor der Wahl auf eine Koalition festzulegen. Im Gegenteil, meint er: Gerade da müsse man seine Positionen deutlich machen, die Dinge professionell platzieren. Wobei die mediale Aufmerksamkeit nach der Wahl zum Spitzenkandidaten natürlich hilft. Auf einmal wollen auch die großen Sender und Zeitungen wieder wissen, was die Spitzenkandidat/-innen auch der Linken zu sagen haben.

Denn es sind ja keine abwegigen Positionen, die die Linke zentral vertritt. Bei allen Krisen, die uns derzeit beschäftigen, sind die eigentlichen Krisen, die unsere Gesellschaft drohen aus dem Lot zu bringen, nicht gelöst. Denn fehlende Inklusion (wie sie am „Tag der Pflege“ am, 12. Mai thematisiert wurde) betrifft ja nicht nur Menschen mit körperlichen Behinderungen.

Die Kluft zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Das Thema Bildungsgerechtigkeit brennt genauso wie das Thema einer gerechten Entlohnung oder der Rentengerechtigkeit. Und gerade der Wahlkampf biete eine Chance, die eigenen Themen zu platzieren und gerade um jene zu kämpfen, die für diese Themen offen sind.

Den Beifall bei den eigenen Leuten zu bekommen, sei einfach, sagt Bartsch. Viel wichtiger sei es, um jene Wähler/-innen zu kämpfen, die noch unschlüssig sind. Auf 20 Prozent schätzt er das Wählerpotenzial der Linkspartei. Gerade deshalb sei es wichtig, keine Gedankenspiele um mögliche Koalitionen zu machen.

Denn dann passiere es – wie so oft – dass die Wähler/-innen eben nicht die Partei wählen, deren Inhalte ihnen am nächsten sind, sondern taktisch. Aber nur wenn eine Partei wie die Linke auch ein starkes Wahlergebnis bekomme, wäre sie auch in der Lage – egal, ob in der Regierung oder auf der Oppositionsbank – diese Themen auch mit dem nötigen Nachdruck zu vertreten.

Es gehe da um Augenhöhe. „Ich habe überhaupt keine Minderwertigkeitskomplexe, wenn ich Auge in Auge Armin Laschet gegenüberstehe oder Annalena Baerbock.“ Und er sieht auch keinen Widerspruch zum Primat der Klimapolitik, für das die Grünen stehen. Im Gegenteil: das gehöre mit dem Thema Klimagerechtigkeit einfach zusammen. Klimapolitik, die nicht gleichzeitig die Lasten gerecht verteile, könne nicht funktionieren.

Natürlich wurde auch die von einigen Medien kurz gehypte „Gretchenfrage“ angesprochen. Denn kaum waren ja die Spitzenkandidatin und der Spitzenkandidat der Linken gewählt, drückten einige Medien die Frage in die Diskussion: „Wie steht die Linke zur NATO? Wird sie ihre ablehnende Haltung zur NATO jetzt überdenken?“ Ein Stöckchen, über das ja dann auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck sofort sprang.

„Wir haben dazu eine ganz klare Haltung“, betont Bartsch im Gespräch. Und die werde man jetzt auch nicht einfach ändern, bloß weil eine mögliche Regierungsbeteiligung im Raum stehe. Die NATO habe mit dem Ende des Kalten Krieges ihren Sinn verloren. Mittlerweile habe sie sich ja sogar teilweise zu einem Kriegsbündnis entwickelt, sagt er und verweist auf den desaströsen Einsatz in Afghanistan.

Die Linke stehe für ein europäisches Sicherheitsbündnis, das auch Russland wieder mit einbinde. Und es sei ja immerhin der französische Präsident Emmanuel Macron gewesen, der die NATO als „hirntod“ bezeichnet hatte. Dass nun ausgerechnet die einstige Friedenspartei der Grünen so für die NATO werbe, sei eigentlich unverständlich.

Im Gespräch mit Dietmar Bartsch

Video: LZ

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