Als es am Mittwoch, 31. März, zur Abstimmung über die beiden Satzungen für den Leipziger Doppelhaushalt 2021/2022 kam, griff Finanzbürgermeister Torsten Bonew zu sehr nachdenklichen Tönen. Denn erstmals seit 15 Jahren baut Leipzig mit dem Doppelhaushalt seine Schulden nicht weiter ab, sondern verdoppelt sie quasi auf einen Schlag. Das thematisierte die SPD-Fraktion schon nach der Sitzung des erweiterten Finanzausschusses am 11. März.

Gewarnt hatte Torsten Bonew schon im Herbst, als er den Haushaltsentwurf vorstellte. Da Leipzig durch die Folgen der Corona-Pandemie mehrere hundert Millionen Euro an Steuereinnahmen wegbrechen, können vor allem die Investitionen in den nächsten beiden Jahren großenteils nur über Kredite finanziert werden. Die Alternative wäre natürlich gewesen, dass Leipzig seine Investitionen eindampft. Aber da war sich die Stadtratsmehrheit einig, dass gerade das viel schädlicher wäre. Denn gerade in dieser Krise, in der die Wirtschaft aufs Heftigste gebeutelt wird, muss die Kommune als Investor positive Signale setzen.Was die Verwaltung dann am 31. März nach der Stadtratsentscheidung zum Haushalt 2021/2022 meldete, war also nur die halbe Botschaft: „Bei seiner heutigen Sitzung hat der Leipziger Stadtrat den Doppelhaushalt der Stadt Leipzig für die Jahre 2021 und 2022 beschlossen. Dieser schließt bei einem jährlichen Gesamtvolumen von circa 2 Milliarden Euro im Jahr 2021 mit einem Defizit von 53 Millionen Euro und im Jahr 2022 mit einem Defizit von 89 Millionen Euro ab.“

Denn in den jeweils 2 Milliarden stecken auch noch Kredite, die es so in den vergangenen 15 Jahren nicht gab, die aber aufgrund der Corona-Pandemie vom Freistaat als Ausnahmefall so für die sächsischen Kommunen zugelassen wurden.

Wird der Haushalt so umgesetzt, nimmt Leipzig 2021 105 Millionen Euro über Kassenkredite auf und 2022 dann 143 Millionen, erläuterte Torsten Bonew am 31. März. Und als Investitionskredite sind 2021 satte 346 Millionen Euro fällig und 2022 dann 135 Millionen Euro. Macht in Summe 729 Millionen Euro, um die sich – wenn es so kommt – die Verschuldung der Stadt Leipzig erhöht.

Und das, nachdem die Verschuldung 2019 erst auf den Stand von 478 Millionen Euro abgebaut worden war. Über 400 Millionen Euro hatte Leipzig seit 2006 abgebaut vom einstigen Schuldenhöchststand von 912 Millionen Euro. Im Herbst 2020 wurde sogar der Stand von 452 Millionen erreicht.

Und nun das.

Steuereinnahmeerwartungen des Leipziger Finanzdezernats. Grafik: Stadt Leipzig
Steuereinnahmeerwartungen des Leipziger Finanzdezernats. Grafik: Stadt Leipzig

Die größten Finanzierungslücken entstehen dadurch, dass Leipzig mit deutlichen Steuermindereinnahmen rechnen muss. 2020 hatte die Stadt noch mit über 700 Millionen Euro an Steuereinnahmen rechen können, nahm aber nur 573 Millionen ein. Für 2021 und 2022 rechnet der Finanzbürgermeister nur mit Steuereinnahmen von 624 und 661 Millionen Euro. Und wahrscheinlich wird der Bund nicht wieder – wie 2020 – einen Teil dieser Ausfälle kompensieren.

Andererseits zweifelt man als Beobachter des Leipziger Investitionsgeschehens daran, ob die Stadt tatsächlich so viele Investitionen auch umsetzen kann. Die investiven Ausgabereste betragen ja nicht ohne Grund mittlerweile über 500 Millionen Euro.

Trotzdem stellte die SPD-Fraktion nicht ohne Grund gleich nach der Sitzung des erweiterten Finanzausschusses den Antrag: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis Ende des 2. Quartals 2022 ein Konzept zu erarbeiten, wie die Stadt die im Zuge der Corona-Pandemie und zur Abmilderung der Pandemiefolgen zusätzlich aufgenommenen Darlehen mittelfristig abbauen kann. Dieses Konzept soll schließlich Bestandteil einer aktualisierten Entschuldungskonzeption werden, in der aufzeigt werden soll, in welchem angemessenen Zeitrahmen eine deutliche Absenkung der Verschuldung erreicht werden kann.“

Die Begründung klang dann schon heftig, denn die Fraktion hatte einfach addiert – den aktuellen Schuldenstand mit dem, was nun in den beiden Jahren 2021/2022 obendrauf kommen könnte: „Ende 2019 lag die Verschuldung der Stadt Leipzig bei rund 550 Millionen Euro, aufgrund des starken Bevölkerungsanstiegs der vergangenen Jahre und der konsequenten Rückführung der Verschuldung lag die Pro-Kopf-Verschuldung zu diesem Zeitpunkt bei ca. 880 Euro. Durch Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und zur Abmilderung ihrer Folgen wird die Stadt bis Ende 2022 einen Schuldenstand von rund 1,2 Mrd. Euro erreichen.

Die Verschuldung wird damit mehr als doppelt so hoch sein wie Ende des Jahres 2019. Vor dem Hintergrund, dass unsere Stadt auch langfristig handlungsfähig bleiben, aber auch kein weiterer Investitionsstau auflaufen soll, muss ein Konzept erarbeitet werden, wie die Verschuldung einerseits gesenkt werden kann und andererseits ein Teil davon in langfristige und damit günstigere Darlehen umgewandelt werden kann. Eine Rückführung der Schulden in einem realistischen, längerfristigen Zeitrahmen ist von großer Bedeutung, da ansonsten die kommenden Haushalte stark belastet und damit ein Abbau des Investitionsstaus in vielen Bereichen nicht möglich wäre.“

Das wäre dann tatsächlich ein Rekordschuldenstand.

„In die Zukunft investiert man und spart nicht an ihr, ist für uns ein Leitmotiv des aktuellen Doppelhaushaltes, denn, wenn wir in der Krise sparen, verstärken wir sie. Wir begrüßen es daher, dass es gut aussieht, dass am 31. März ein Doppelhaushalt verabschiedet wird, der Soziales sichert – also die Angebote der Kommune oder von Vereinen und Verbänden erhält, die in ihrer Breite von Jugend bis Senioren und von Kultur bis Sport alles erfasst“, sagte bei der Gelegenheit der SPD-Fraktionsvorsitzende Christopher Zenker.

„Ein Haushalt, der Arbeitsplätze sichert und insbesondere die Wirtschaft stärkt, die zuletzt unter der Pandemie am meisten gelitten hat. Hier gehört für uns neben der Förderung des zweiten Arbeitsmarktes allen voran auch die Schaffung von guten Rahmenbedingungen für den kleinteiligen Einzelhandel, Angebote der Hilfe zur Selbsthilfe für die Club- und Nachtkultur sowie die Wiederbelebung des Tourismus dazu. Das heißt, wir müssen notwendige Investitionen wie die in Schulen und Kitas ermöglichen, die Digitalisierung vorantreiben und den Klimawandel bekämpfen, also die Verkehrswende forcieren, den Ausstieg aus der Braunkohle intensivieren und innovative Technologien fördern. Zur Ehrlichkeit gehört jedoch: Das gelingt nur mit neuen Schulden. Nachdem wir in den letzten Jahren den Schuldenstand deutlich verringern konnten wird die Verschuldung unserer Stadt Ende 2022 aller Voraussicht nach bei rund 1,2 Milliarden Euro liegen. Das ist eine Entwicklung, die wir nicht ignorieren können, auch wenn wir die Neuverschuldung in der aktuellen Situation für richtig halten.“

Natürlich geht es um dieselbe Aufgabe, vor der Oberbürgermeister Burkhard Jung 2006 beim Antritt seiner ersten sieben Jahre als OBM stand: Wie kann der Haushalt so konsolidiert werden, dass dieser Schuldenberg in den nächsten Jahren nach und nach wieder abgetragen werden kann und die Stadt nicht in eine dauerhafte Verschuldungsmisere gerät?

„In den Haushaltsverhandlungen war uns wichtig, dass wir die Krise durch zusätzliche Einsparungen nicht noch verschärfen, sondern maßvoll agieren. Das heißt, dass wir auch trotz der schwierigen Situation in die Zukunft unserer Stadt investieren müssen, in Infrastrukturprojekte und in Köpfe“, erläuterte Christian Schulze, der die SPD-Fraktion im Finanzausschuss vertritt, den Antrag der Fraktion.

„Das war Konsens in den Haushaltsverhandlungen. Wir müssen dennoch unseren Blick auch auf die nächsten Jahre legen, denn unsere Stadt muss auch langfristig handlungsfähig bleiben. Die Schwierigkeit dabei ist, dass Schulden wieder abgebaut werden sollen, aber auch kein weiterer Investitionsstau auflaufen soll. Eine Rückführung der Schulden in einem realistischen, längerfristigen Zeitrahmen ist von großer Bedeutung, da ansonsten die kommenden Haushalte so stark belastet und damit ein Abbau des Investitionsstaus in vielen Bereichen nicht möglich wäre. Vom Finanzdezernat erwarten wir daher Vorschläge, wie eine langfristige Konsolidierung möglich gemacht werden kann, ohne dabei notwendige Investitionen zu unterlassen.“

Und Finanzbürgermeister Torsten Bonew merkte man dann am 31. März durchaus an, dass er zutiefst damit haderte, dass Leipzig jetzt wieder einen solchen Schuldenanstieg erlebt. Er appellierte an die Stadträt/-innen, nicht nur beim Klima an Nachhaltigkeit zu denken, sondern auch bei den städtischen Finanzen. Trotzdem sagte er: „Ich bin der Überzeugung: Leipzig braucht diesen Haushalt.“ Er ließ die „Warnung vor dem Gewöhnungseffekt“ – ans Schuldenmachen – trotzdem nicht weg.

Eher bedauerte er, dass es nur 150 Bürgeranträge zum Doppelhaushalt gegeben hatte. Und das, obwohl die Bürgerbeteiligung diesmal mit einer großen Werbeaktion und einem ordentlichen Online-Angebot unterfüttert gewesen war. Für eine 600.000-Einwohner-Stadt sei das trotzdem viel zu wenig. Da gelte es, künftig also nach neuen Wegen zu suchen, mehr Leipziger/-innen zum Mitmachen zu bewegen.

Trotzdem stimmte der Stadtrat beiden Haushalten (bzw. den zugrunde liegenden Haushaltssatzungen) 2021 und 2022 mit jeweils 54 Ja-Stimmen deutlich zu.

Und OBM Burkhard Jung dankte im Anschluss nicht nur Torsten Bonew und den anderen Dezernent/-innen für die ambitionierte Arbeit an der Erstellung des Doppelhaushaltes, sondern auch dem erweiterten Finanzausschuss im Speziellen und den Stadträt/-innen insgesamt für die Einsatzbereitschaft. Denn die mussten sich in der Regel nach Feierabend, an Wochenenden und in vielen Sondersitzungen mit dem Haushalt beschäftigen.

Nur die strittigen Änderungsanträge aus den Fraktionen, die die Verwaltung nicht übernommen hatte, wurden ja am 31. März noch einmal ausführlich diskutiert und abgestimmt. Die übernommenen Änderungsanträge sorgten, wie Bonew vorrechnete, noch einmal für Kostensteigerungen von 51 Millionen Euro im Ergebnishaushalt und zusätzliche Investitionen von 34 Millionen Euro.

Wenn sie denn alle auch abgearbeitet werden in den zwei Jahren, sagt man sich so als skeptischer Beobachter. Wobei Bonew natürlich auch daran erinnerte, dass der Bearbeitungsstau der vergangenen Jahre vor allem deshalb entstand, weil schlicht das Personal gerade in den Planungsabteilungen fehlte.

Und gerade da stockt Leipzig jetzt deutlich auf. 2021 wird es 52 zusätzliche Stellen in der Verwaltung geben, 2022 weitere 64. Das Abarbeiten sollte also künftig deutlich zügiger gehen.

Aber es gibt ja noch andere Flaschenhälse, angefangen bei den verfügbaren Baukapazitäten um Leipzig bis hin zu den ganz bestimmt nicht flotteren Fördergeldbewilligungen des Freistaats. Nach den Jahresabschlüssen 2021 und 2022 werden wir klüger sein.

Jetzt gelte es erst einmal, so Bonew, alles dafür zu tun, dass Leipzigs Wirtschaft schnellstens wieder auf die Beine kommt. Und das ist auch der Hauptgrund dafür, dass das kein Kürzungs-Doppelhaushalt geworden ist.

Der Mitschnitt Stadtrat 31. März 2021

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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