Dass die Friedliche Revolution wahrscheinlich noch lange nicht reif ist, zum Museumsstück zu werden, wurde in der Ratsversammlung am 21. April in einer halbstündigen Diskussion ziemlich deutlich. Beantragt hatte die Prüfung, ob die Orte der Friedlichen Revolution UNESCO Weltkulturerbe werden könnten, die CDU-Fraktion.

Und natürlich sprach zum CDU-Antrag Thema Michael Weickert, der fürs Historische zuständige CDU-Stadtrat, der auch noch von sich behaupten kann, im Oktober 1989 geboren worden zu sein. Da ist man natürlich besonders engagiert und das Anliegen traf auch bei anderen Fraktionen auf Zustimmung, die die durchaus naive Sicht der CDU auf die zurückliegende Geschichte so nicht teilen.Was besonders deutlich wurde beim Antrag von Thomas Kumbernuß (Die PARTEI), der aus eigener Erfahrung aus einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern zu erzählen weiß, wie schnell man auch nach der „Wende“ zum gejagten Außenseiter wurde, wenn man den Biedermännern und Mitläufern widersprach.

Es wäre also keineswegs zielführend, wieder nur die ausgewählten Orte aus dem Herbst 1989 allein zu betrachten, das wäre ein viel zu kleiner Ausschnitt dessen, was überhaupt zur Friedlichen Revolution geführt habe. Er erinnerte dabei unter anderem an den Aufstand von 1953, die Beat-Demo von 1965 und den Kerzenprotest von 1983. Und daran, dass die Anfänge der Friedlichen Revolution in der Subkultur der DDR entstanden sind, wo die Menschen nicht nur Ausgrenzung, sondern auch Schikanen erlebten.

Michael Weickert im der Debatte zum UNESCO Weltkulturerbe. Foto: Screen Livestream
Michael Weickert in der Debatte zum UNESCO Weltkulturerbe. Foto: Screen Livestream

Eine Gegenrede, die Michael Weickert so schon fast erwartet hatte. Und auch OBM Burkhard Jung stellte bald fest, dass dieses Thema so eine normale Stadtratssitzung sprengt. Da wird wohl mal eine Sondersitzung des Stadtrates fällig, vielleicht in dem Moment, wenn das Kulturdezernat in seiner Prüfung zu dem Schluss gekommen sein sollte, dass sich eine Bewerbung um den UNESCO-Weltkulturerbe-Titel tatsächlich lohnt und finanziell machbar ist.

Darauf hatte ja vor allem der Änderungsantrag der Grünen-Fraktion abgezielt.  „Der Oberbürgermeister prüft bis zum III. Quartal 2021, welcher Voraussetzungen es bedarf, um die Orte der Friedlichen Revolution zum UNESCO-Welterbe erklären zu lassen. Insbesondere soll in diesem Zusammenhang geklärt werden, welche inhaltlich-konzeptionellen Ansprüche im Hinblick auf die Präsentation der historischen Ereignisse an die jeweiligen Orte gestellt werden. Das Kuratorium Friedliche Revolution erarbeitet in diesem Zusammenhang Vorschläge, welche Orte benannt werden. Das Ergebnis der Prüfung sowie die daraus folgende weitere Vorgehensweise zur Aufnahme in die Welterbeliste ist dem Stadtrat vorzulegen.“

Der Antrag bekam übrigens die nötige Mehrheit von 32:20:12 Stimmen und ergänzt damit den Standpunkt, den das Kulturamt für die Verwaltung formuliert hat. Wenn Anfang 2022 die Prüfergebnisse vorliegen, soll die Verwaltung dann weitere Schritte vorschlagen.

Diesen Verwaltungsstandpunkt stellte Michael Weickert dann für die CDU-Fraktion zur Abstimmung und er bekam – einmal abgesehen von der ablehnenden Haltung der AfD-Fraktion – die Zustimmung der Stadtratsmehrheit. Wobei Linke-Stadtrat Marco Götze wohl recht hat in der Einschätzung, dass es bald 32 Jahre nach dem Herbst 1989 wohl an der Zeit wäre, die eigene Position zu den historischen Ereignissen neu zu klären. Und auch – wie Juliane Nagel feststellte – wahrzunehmen, dass es „die Bürger“ auch im Herbst 1989 nicht gab, sondern durchaus unterschiedliche Visionen die Menschen auf die Straße brachten und nicht alle fahnenschwenkend die Deutsche Einheit wollten.

Und auch das von Egon Krenz benutzte Wort „Wende“ geriet kurz in die Debatte, die durchaus ahnen lässt, wie viele unterschiedliche Sichtweisen auch unter den demokratischen Fraktionen im Leipziger Stadtrat zu finden sind, wenn es um die Friedliche Revolution und vor allem das Davor und das Danach geht. Ist der Wunsch nach einer gerechteren Gesellschaft damit vom Tisch, weil das „die Geschichte“ so als Ergebnis festgemacht hat?

Oder wurde hier ein Zipfel jener Debatte sichtbar, die eigentlich schon bei den Beschlüssen zum Freiheits- und Einheits-Denkmal fällig gewesen wäre? Ist dieses Denkmal vielleicht einfach deshalb gescheitert, weil die unterschiedlichen Sichtweisen auf den Herbst 1989 einfach nicht mit einem Denkmal auf den Punkt zu bringen sind? Dass man damit alle Künstler überfordert, es sei denn, man will wieder eine romantische Version von erstarrter Geschichte bekommen?

Vielleicht reicht es auch nicht, wenn sich Thomas Kumbernuß mit Michael Weickert und Bert Sander nach Corona im Freisitz zum Gedankenaustausch trifft. Vielleicht braucht es wirklich eine Sondersitzung des Stadtrates zu diesem Thema, die durchaus Stoff bieten dürfte für eine sehr intensive Leipziger Diskussion über die Friedliche Revolution, ihre Visionen und Enttäuschungen. Allein diese kleine Debatte ist schon ein Schmuckstück dessen, was in einem demokratisch gewählten Stadtrat möglich ist. Etwas, was man vor 1989 in Leipzig so nicht erleben konnte. Auch das gehört zur geschichtlichen Wahrheit.

Die Debatte vom 21. April 2021 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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