Am 11. Mรคrz berichteten wir hier unter dem Titel โTempo 30 im Stadtgebiet Leipzig: Wie bekommt man einen Bundesverkehrsminister zum Umdenken?โ รผber die Antrรคge von Grรผnen und Linken, in Leipzig Tempo 30 einmal flรคchendeckend auszuprobieren. Danach trudelten ziemlich flott die Gegenpositionen ins Haus, etwa von FDP und ADAC.
Fรผr die FDP meldeten sich Stadtrat Sven Morlok und Kreisvorsitzende Natalie Mattikau zu Wort.โWenn die Geschwindigkeit auf den Hauptverkehrsachsen verringert wird, lohnen sich die kleinen Umwege zur Nutzung der Hauptstraรen nicht mehr. Der Verkehr verlagert sich dann in die Nebenstraรen und Wohngebiete. Gerade dort sind spielende Kinder einem erhรถhten Unfallrisiko ausgesetztโ, argumentiert Sven Morlok, Stadtrat der FDP Leipzig.
Natalie Mattikau, Kreisvorsitzende der FDP Leipzig, befรผrchtete gar einen enormen Verlust an Lebensqualitรคt. โDie erhรถhte Verweilzeit von Kraftfahrzeugen innerhalb des Stadtgebietes durch die Verringerung der Geschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde wird zu einem erhรถhten Ausstoร von Emissionen fรผhren. Die Luftqualitรคt in Leipzig wird sich somit verschlechtern. Auch die Fahrtzeit wird fรผr die einzelnen Verkehrsteilnehmer zunehmen und die Wegezeit zur Arbeit und zurรผck steigt. Das bedeutet weniger Zeit fรผr Familie und Hobbies. Ein Ausweichen auf รPNV ist mit dem schlecht ausgebauten Leipziger Streckennetz fรผr viele Leipzigerinnen und Leipziger kaum eine Alternative.โ
Sven Morlok sieht fรผr den รPNV noch eine weitere gravierende Auswirkung: โTempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen gilt auch fรผr die Busse der LVB. Wenn Busse langsamer fahren, benรถtigt man fรผr dasselbe รPNV-Angebot mehr Busse und mehr Fahrer. Damit verteuert sich der รPNV und lรคuft einer Verkehrswende zuwider. Wir haben uns im Stadtrat immer wieder fรผr eine Verbesserung des รPNV-Angebots eingesetzt. Das Gutachten zum 365-Euro Ticket zeigt, nur eine Angebotsverbesserung des รPNV fรผhrt zu einer Verhaltensรคnderung. Viele Arbeitnehmer sind auf das Auto angewiesen. Wer den PKW-Verkehr erschwert, ohne das รPNV-Angebot zu verbessern, schafft Frust und keine saubere Luft.โ
Immer wieder dieselben Argumente gegen Tempo-30-Zonen
Nicht รผberraschend meldete sich nach dem Beitrag auf L-IZ.de der ADAC praktisch mit denselben Argumenten zu Wort.
Helmut Bรผschke, Vorstandsmitglied fรผr Verkehr und Technik des ADAC Sachsen e. V., zeigte sich รผberzeugt: โViele Autofahrer wรผrden eine durchgรคngige Tempo-30-Regelung fรผr Leipzig nur schwer akzeptieren, da sie unbegrรผndet erfolgt. Bisher wurden Tempo-30-Zonen aufgrund von Unfallschwerpunkten zur besonderen Sicherheit vor Schulen und Kitas und in Wohngebieten installiert โ damit sind bereits รผber 70 Prozent der Leipziger Straรen mit einer Tempo 30 Regelung versehen. Hauptverkehrsstraรen sind bautechnisch fรผr ein Tempo von 50 km/h ausgelegt und Unfรคlle darauf passieren meist an Kreuzungen oder Einmรผndungen, wo allein systembedingt geringere Geschwindigkeiten gefahren werden. Ein Abweichen des aktuellen innerstรคdtischen Tempolimits bringt viele Umstellungen wie auch Gefahren mit sich.โ
Eine Argumentation, die ja dann die LVZ nur zu bereitwillig aufgriff, ohne auch nur einmal die jรคhrliche Unfallstatistik aufzurufen. Die meisten Unfรคlle passieren auch in Leipzig wegen รผberhรถhter Geschwindigkeit, gefolgt von Klassikern wie Fehlern beim Wenden oder Nichtbeachten der Vorfahrt oder Fehler bei Fahrstreifenwechsel.
Und auch der ADAC meinte, ausgerechnet bei dem Thema eine Lanze fรผr den รPNV brechen zu mรผssen: โVon Umstellungen wรคre besonders der รPNV betroffen: Fahrstrecken im รPNV mรผssten auf ihre Dauer neu berechnet und anschlieรend die Fahrplรคne angepasst werden. Um die bisherige Taktung zu halten, wรคre es nรถtig, mehr Fahrzeuge auf die Strecke zu bringen. Daraus resultieren wieder erhรถhte Kosten fรผr die Nutzer des รPNV. Erhรถhter Verkehr auf den Nebenrouten und keine Entlastung der Umwelt.โ

Alles ebenfalls Argumente, die nicht passen, denn die Straรenbahnen der LVB erreichen im derzeitigen Regelbetrieb nicht einmal mehr 20 km/h. Die Busse sind nicht wirklich schneller unterwegs.
โBei Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraรen wรผrde sich insbesondere zu Schwachlastzeiten, wie spรคtabends, nachts oder am Wochenende, die Reisezeit spรผrbar erhรถhenโ, meinte Helmut Bรผschke noch. โViele Kraftfahrer wรผrden wahrscheinlich deutlich mehr das nachgeordnete Straรennetz nutzen, das fast durchweg schon auf 30 km/h reduziert ist. In diesem Zusammenhang erhรถht sich dort auch das Unfallrisiko.โ
Eine Mutmaรung, die ja im Hause LVZ geradezu begeisterte Zustimmung fand.
Und selbst die Umwelt liegt dem ADAC auf einmal am Herzen: โTempo 30 als stรคdtische Regelgeschwindigkeit ist zudem aus Umweltgrรผnden unwirksam. Dazu hat der ADAC untersucht, wie sich Tempo 30 im Vergleich zu Tempo 50 auf die Pkw-Emissionen auswirkt. Im Ergebnis fรผhrt Tempo 30 weder zur Reduzierung der NOx- noch zur Einsparung von CO2-Emissionen, sondern insgesamt sogar zu schlechteren Ergebnissen.โ
Alles Argumente, die der ADAC schon 2015 vorsorglich in einer eigenen Broschรผre gesammelt hat, weil immer mehr deutsche Stรคdte รผber Tempo-30-Zonen diskutieren. An den Argumenten ist nichts neu.
Wem gehรถrt der รถffentliche Raum?
Jetzt reagiert die Linksfraktion auf diese alten, immer gleichen Argumente. Ihr Antrag wird in der Sitzung am 24. Mรคrz nun auch den Stadtrat beschรคftigen.
Schon lange plรคdiere die Fraktion Die Linke im Leipziger Stadtrat fรผr die Tempo-Reduzierung fรผr Autos im Stadtgebiet, betont sie und habe deshalb auch einen entsprechenden Antrag gestellt. Die Grรผnde dafรผr seien vielfรคltig und รผberzeugend: In Anbetracht des seit Oktober 2019 geltenden Klimanotstands in Leipzig stelle die Einfรผhrung der Tempo-30-Marke zum einen einen wichtigen Schritt zur Erreichung der Klimaziele dar. Zum anderen sorge die Geschwindigkeitsreduzierung fรผr mehr Sicherheit im Straรenverkehr.
โImmer wieder kam es in Leipzig in den letzten Jahren zu tragischen Unfรคllen, bei denen Menschen verletzt und sogar getรถtet wurden. So erst in der vergangenen Woche, als drei Menschen durch einen Autounfall auf der Prager Straรe ums Leben kamen. Wir sehen die Stadt hier in der Pflicht zu handeln!โ, sagt Franziska Riekewald, Sprecherin fรผr Mobilitรคt in der Linksfraktion. โNoch dazu befinden wir uns auf dem Weg zu einer Verkehrswende; diese schlieรt allerdings mehr ein, als den Ausbau des รถffentlichen Nahverkehrs. Auch die Stadt und der รถffentliche Raum mรผssen attraktiver gemacht werden โ dies geschieht mit Tempo 30.โ
โTempo 30 steht fรผr weniger Emission und weniger Energiebedarf, was nicht nur dem ausgerufenen Klimanotstand entspricht, sondern auch den tatsรคchlichen Problemen u. a. hinsichtlich Schadstoffbelastung und Dauerstress durch Verkehrslรคrmโ, ergรคnzt Marcus Weiss, Sprecher fรผr Bรผrger/-innendemokratie in der Fraktion. โWeniger Autos auf den Straรen heiรt auรerdem auch freie Fahrt fรผr die Post, den Rettungsdienst und das Straรenfest.โ
Womit er dann auch das benannt hat, was der ADAC so gern umschifft: dass der Autoverkehr in einer Stadt deutlich reduziert werden muss, wenn die umweltfreundlichen Verkehrsarten eine Chance haben sollen. Und dass es eben genau darum geht, dass man in einer Groรstadt mit funktionierenden Infrastrukturen nicht immer rasen muss und schneller sein muss als alle anderen. Weniger Autos bedeuten auch: weniger Unfรคlle. Auch das zeigt die Leipziger Unfallstatistik.

รber 9.000 der 13.000 Verkehrsunfรคlle waren Unfรคlle verursacht durch Pkw. Radfahrer verursachten nur knapp 500, Fuรgรคnger nur knapp 200.
Und dass der ADAC selbst bei den Emissionen trickst, macht selbst der Satz aus dem ADAC-Faltblatt deutlich: โDie Emission von Luftschadstoffen korreliert mit den Beschleunigungsphasen. Je stรคrker ein Fahrzeug beschleunigt, desto mehr Schadstoffe entstehen. Je konstanter die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs ist, desto niedriger ist wiederum der Ausstoร von Luftschadstoffen.โ
Denn der setzt voraus, dass in Tempo-30-Zonen รถfter beschleunigt werden muss als auf Tempo-50-Hauptstraรen. Dummerweise hรถrt man das Motoraufheulen und Reifenquietschen fast nur auf den Hauptstraรen und eher selten in Nebenstraรen.
Hรถchste Zeit, das Thema fรผr Leipzig wirklich einmal durchzudiskutieren und wirkliche Verkehrsexperten einzubinden.
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Es gibt 17 Kommentare
@Sebastian.
Danke fรผr das Lob.
Nur kurz, weil die Argumente teils immer nur wiederholt werden kรถnnen:
nach โRechte der anderen verletztโ kommt gleich โPolitik und Philosophieโ. Nun, das ist etwas arg schwarz/ weiร skizziert.
sowie โerst Angebote, dann Einschrรคnkungenโ.
Prinzipiell finde ich das fair, allerdings, wenn es um gleichwertigere und nachhaltigere Platzaufteilung geht, muss ich erst dem einen Verkehrsmittel etwas Platz entziehen, damit ich es dem anderen zuschlagen kann. Das ist leider in der Vergangenheit so gewachsen (โwordenโ). Zustimmen tue ich, wenn es bspw. um Service des รPNV geht, da geht auch ohne mehr Platz schon etwas.
Das Auto ist komfortabler, keine Frage. Aber, setzen Sie mal bitte den Lebenszyklus eines Autos und einer Tram gegeneinander!
Mein Auto ist 20 geworden, aber das ist leider kein Normalfall hier bei uns. Ich werbe dafรผr, auch den รถkologischen Fuรabdruck zwingend mit zu beachten. Das ist echt gruselig, was an Energie fรผr ein Auto drauf geht, an Material, Arbeitsleistung und spรคter obendrein noch mit Umweltschรคdigung. Da ist ein Sammeltransport nachhaltiger. Vom Rad ganz zu schweigen. Da kann man sicher am Lรคrm nachbessern, gebe ich Ihnen Recht.
Aber was nรผtzt uns ein Straรenprospekt mit ein paar Alibi-Bussen, wenn wir unsere Umwelt kaputt gemacht haben?
Tempo 30 ist eine anerkannte und bewรคhrte Richtgeschwindigkeit, die wurde nicht errechnet. Und sie ist in Sicherheitsaspekten (Miteinander schwimmen, Reaktionsmรถglichkeiten) besser als Tempo 50. Vielleicht probiert man es wirklich mal mit Tempo 30 im ganzen Wohngebiet und 50 auf den Hauptstraรen, wenn nicht das beScheuerte Ministerium einen Strich durch die Rechnung macht.
Ich poche nicht auf 30 wegen dem Lรคrm, sondern dem Miteinander, der Sicherheit wegen.
Etwas peinlich berรผhrt bin ich auch ob mancher Gedenkstรคtten an den Straรen, wo Unfรคlle passiert sind, die hรถchstwahrscheinlich durch menschliche Unvernunft entstanden sind. Bei Rot gelaufen o.รค. Aber selbst jeder berechtigte denkwรผrdige Unfall ist immer einer zu viel. Hier (menschliche) Schรคden zu mindern sollte unser Ziel sein. Da wรคre 30 ein Beitrag von mehreren.
Radwege sind laut Studienlage und Zahlen tatsรคchlich gefรคhrlicher. Verrรผckt. Aber man sollte hier nicht nur objektiv agieren, sondern dem subjektiven Empfinden Rechnung tragen. Jeder Radfahrer mehr auf der Straรe ist gesรผnder fรผr uns und fรผr die Umwelt.
Karl-Heine-Straรe ist eher eine Ausnahme, aber cool! โ wo haben Sie denn sonst so viel Platz fรผr einen Radweg ๐ Dort ist der Fuรweg ja fast 5m breit.
โGerechtigkeitโ.
Eher Miteinander, Neubewertung aufgrund der aktuellen Umweltsituation, der Nachhaltigkeit angemessen.
Vergessen Sie nicht, der MIV hat einen Vorteil von zig Jahren, und viele Aspekte des MIV sind รผberholt.
(Flรคchenverbrauch, Fuรabdruck, Emissionen, Unfallschรคden uvm.)
Es wรคre nur fair, hier mal realistisch zu evaluieren. Nicht mit der Brechstange aber auch nicht so schneckenhaft, wie es die Politik der letzten Jahre vermasselt hat.
Mehr MIV-Geschwindigkeit hat bisher immer nur mehr Umweltschรคden hervorgerufen und einen egoistischen Mehrwert auf Kosten anderer geschaffen (auch der Umwelt). Also fรผr die, welche es sich leisten konnten.
Wenn Sie ein eigenes Flugzeug hรคtten, kรถnnten Sie dann auch in Italien arbeiten und abends zurรผckfliegen.
Das ist doch nur noch pervers. Heutzutage pendeln Leute z.B. von Leipzig nach Berlin; einfach nur krank.
Alle MIV-Parkflรคchen von Leipzig zusammen ergeben sicher einen ganzen Stadtteil. Meinen Sie nicht? ๐
@Gyรถrgy
Sie argumentieren gut und ausfรผhrlich, auch mit Christian macht es Spaร zu diskutieren. Ich kann Ihren Wunsch verstehen, aber ich habe keine Lust auf jeden Absatz jedes Teilnehmers einzugehen. Wenn ich ehrlich bin, kann man es wirklich darauf runterbrechen. Ich mรถchte mir einfach nicht die Zeit nehmen. Deswegen greife ich mir das, was am Einfachsten oder niederschwelligsten geht. Das ist hier ein Kommentarbereich, kein Internetforum. Teilweise finde ich die Artikel gar nicht mehr wieder nach paar Tagen.
โWas ist schlecht daran die Bedingungen des MIV in der Stadt zu verschlechtern?โ
Sie haben doch offenbar die ganzen Texte gelesen. Mein Argument war, dass ich im Grunde erst mal davon ausgehe, dass jeder das tun darf, was er mรถchte. Ja, schon klar: solange er nicht die Rechte der Anderen verletzt. Diese Einschrรคnkung betritt dann das Feld der Politik und Philosophie, denn Recht und Gerechtigkeit ist verhandelbar und am Ende doch recht weich. Deswegen finde ich das Argument der โGerechtigkeitโ auch schlecht, wenn es um die Gestaltung von Verkehr geht.
Und das Auto hat beim Thema Reisezeit, individuelle Verfรผgbarkeit, Transportmรถglichkeiten, und von mir aus auch Komfort (Temperatur, Lieblingsmusik, Sitzqualitรคt,โฆ) oft Vorteile gegenรผber dem Sammeltransport oder dem Fahrrad.
Deswegen mรถchte ich, dass die schlimmsten Auswรผchse des Individualverkehrs aufgerรคumt werden und der Rest optimiert wird. Ich mรถchte, und das ist nichts weiter als โPolitikโ, also im weitesten Sinne lediglich โMeinungโ, dass zuerst Angebote geschaffen werden, und DANN, falls immernoch nรถtig, Einschrรคnkungen.
โAuf das Argument der Sicherheit gehen Sie auch gar nicht ein, warum nicht? Haben Sie ein Gegenargument?โ
Auch dazu habe ich etwas geschrieben. Der auch in der Stadtratssitzung leider verwendete tรถdliche Unfall auf der Prager Straรe war sehr wahrscheinlich ein Problem der Aufmerksamkeit oder des Vorsatzes. Jemand, der bei rot die Kreuzung รผberquert und auch die Menschen vor ihm nicht sieht, dessen Unfallgeschehen dรผrfte nicht von der Gesetzeslage abhรคngen. Nicht von Schildern oder stรคdtischen Tempovorgaben.
Auรerdem bin ich der Meinung, dass auch ein Unfall mit Tempo 30 durchaus tรถdlich enden kann. Ich weiร nicht wo die Schwelle liegt, bei der ein tรถdlicher Unfallausgang unwahrscheinlich wird, vielleicht bei 15 oder so. Aber jetzt ausgerechnet DIESE Zahl โ30โ zu nehmen und zu behaupten โDANN erst ist es sicher, weil mit 50 ist es total unsicher!โ finde ich hahnebรผchen bis wahllos.
Dann ist da noch die Frage der Konsequenz der Maรnahme. Wenn also u.a. Lรคrm und Unfallgefahr das ist, was es zu bekรคmpfen gilt, dann mรผssten natรผrlich auch die LVB-Panzer langsamer fahren. Es gibt auch genรผgend (!) Personenunfรคlle mit Straรenbahnen, auch die haben kรผrzere Bremswege bei geringerer Geschwindigkeit und vor allem diese Rad-Schiene-Systeme machen weniger Lรคrm bei geringerem Tempo.
Aber dass dieser Verkehrsteilnehmer, der oft genug in der Stadt fรผr Minderung der Lebensqualitรคt sorgt, รผberhaupt nicht in dieser Thematik behandelt wird, weder im Ansatz der technischen Verbesserung noch im Ansatz der Geschwindigkeitsverringerung, zeigt fรผr mich eindeutig die ideologische Engsicht.
Es geht um die Autos, nicht um die Thematik mit den Problemen. Dagegen argumentiere ich.
โRadfahrer sind nachgewiesenermaรen am sichersten auf der Fahrbahn.โ
Das ist meines Wissens nicht mal beim ADFC intern ein Fakt. Sie kรถnnen zehn Radfahrer allerlei Geschlechts fragen und werden dazu verschiedene Antworten bekommen. Mein Favorit ist die Karl-Heine-Straรe, mit der Lรถsung des Radweges auf dem Fuรweg. Es gibt auch dagegen Argumente, die soweit bekannt sind, aber mein Sicherheitsgefรผhl sagt was anderes als Sie sagen. Ich komme allerdings auch auf der Karli klar, mit etwas Schulterblick und den รผblichen Regeln, die man auf einer Straรe eben beachtet. Dazu gehรถrt natรผrlich auch, sich aus dem toten Winkel eines LKWs fern zu halten usw. Einfach biรchen mitdenken, dann gehts.
โAls Fazit nochmal eine Frage: finden Sie die Verteilung von Platz, finanziellen Mitteln und rechtlichen Rahmenbedingungen gerecht unter den Verkehrsarten aufgeteilt?โ
Zum Schluss etwas Polemik, weil ich den Aspekt der โGerechtigkeitโ in diesem Thema wirklich ganz falsch finde:
โIch finde es furchtbar ungerecht, wieviel Platz das Gleisvorfeld des Hauptbahnhofes der Stadtgesellschaft wegnimmt. Das sollte bitte alles unter die Erde in Tunnel, damit obendrauf ein autoarmes Wohnprojekt entwickelt werden kann. Vielleicht von der CG-Gruppe?โ
๐
@Sebastian,
ich wรผrde mir wรผnschen, Sie pickten sich nicht nur Schlagworte aus den Antworten heraus, vermischten nicht meine Ansichten mit der von Christian und wรผrden auch auf konkrete Fragen antworten. Also nochmal, diesmal am Anfang:
Was ist schlecht daran die Bedingungen des MIV in der Stadt zu verschlechtern?
Auf das Argument der Sicherheit gehen Sie auch gar nicht ein, warum nicht? Haben Sie ein Gegenargument? Spielt es keine Rolle bei Ihrer Meinung, dass die Hรถchstgeschwindigkeit in der Stadt angepasst nicht werden muss?
Ich bemรผhe nicht das Argument Lรคrm und Schadstoffausstoร, wenn Christian das anders sieht, soll er es tun, aber das Saschok wieder genau darauf eingeht โ und auf nichts anderes โ zeigt , dass diese Themen die Diskussion um die eigentlichen Vorteile vernebeln. Und die Gegnern von Tempo-30 freut es, weil die Datenlage dieser Argumente vielleicht wirklich nicht oder nicht so sicher stรผtzt.
Das MItschwimmen meinte ich tatsรคchlich wรถrtlich. Radfahrer sind nachgewiesenermaรen am sichersten auf der Fahrbahn. Auf der Fahrbahn gibt es auch weniger Hindernisse, und Konflikte mit den schwรคchsten Verkehrsteilnehmern: dem Fuรverkehr. Und die Sicherheit kann man deutlich erhรถhen, indem a) die Geschwindigkeitsdifferenzen der Verkehrsteilnehmer verringert werden b) die Maximalgeschwindigkeit reduziert wird.
Ein Gleichmachen ist das auch nicht, sondern eine Stรคrkung der Schwรคcheren und Erhรถhung der Sicherheit.
Ihr Argument mit dem Leipzig der 30er Jahre: Die von Menschen akzeptierte tรคgliche Zeit zum Pendeln ist konstant. D.h. die Reisezeiten waren in den 30er Jahren absolut nicht lรคnger. Die Geschwindigkeit war vielleicht geringer, aber dafรผr die Wege kรผrzer. Jeder Vorteil an Geschwindigkeit wird durch lรคngere Reisewege kompensiert. Die Menschen passen ihr Verhalten den Gegebenheiten an. Und das formt auch die Stadt. 90 Jahre lang wurde in eine Richtung geformt. Das anzuerkennen wรผrde schon viel helfen.
Zur chaotischen Kreuzungssituation, und das passt auch fรผr @Saschok: Kreuzungen mit einer Grรผnphase fรผr (fast) alle gibt es sogar. In den Niederlanden. Aber dann ohne KFZ. Das zeigt, wer hier wen gefรคhrdet.
Zum Thema Brรผcken in Leutzsch: es geht nicht darum, dass die Brรผcken erneuert werden, sondern dass die Kapazitรคt fรผr den MIV stark erhรถht wird. Und dass man das Bauwerk gรผnstiger umsetzen kรถnnte, wenn man die Kapazitรคt so belieรe oder sogar noch verringerte. Die Stadt hat als Ziel ja die Senkung des Anteils des MIV am Modal Split, das widerspricht aber einem Kapazitรคtsausbau fรผr diesen. Allenfalls Status Quo (bei steigender Einwohnerzahl) kann in Richtung dieses Ziels fรผhren. Die dadurch freiwerdenden Mittel stรผnden dann fรผr mehr Angebote der schwรคcheren Verkehrsteilnehmer zur Verfรผgung.
Als Fazit nochmal eine Frage: finden Sie die Verteilung von Platz, finanziellen Mitteln und rechtlichen Rahmenbedingungen gerecht unter den Verkehrsarten aufgeteilt? Glauben Sie, dass man Ungerechtigkeiten an begrenzten Gรผtern ausgleichen kann, ohne jemandem etwas wegzunehmen?
zu Christian:
Die plakative Auffassung zu 3 โ 5 db(A)-Reduzierungen bei 30er Zonen โ wo ist die den her ? Nach dem eingefรผhrten Lรคrmberechnungsverfahren (heute RLS-19 nicht die veraltete RLS-90) ist fรผr jeden Straรenabschnitt der Mittelungspegel zu berechnen, es ist nicht das besonders laute einzelne Lรคrmereignis zu messen zum Beispiel das einer Straรenbahn oder Motorrades. Die Einflussgrรถรen sind die Verkehrsstรคrke (PKW, LKW, Motorrad), der Fahrbahnbelag, ein Kreuzungs-Ampelzuschlag, die zulรคssige Geschwindigkeit und noch weitere Variablen. Und Sie nehmen das Ergebnis jetzt einfach mal so voraus- ein wirklich sehr objektives von Ideologie getriebenes Urteil, was sich selbst entlarvt. Wo sit den weniger Staus und geleichmรครiger Verkehr denn her. รbrigens wird es bei fehlender Ampel/Kreuzung nach dem Berechnungsmodell sogar leiser. Dann kรถnnen die Autofahrer schรถn mit Fahrradfahrern und Fuรgรคngern kommunizieren, was natรผrlich dann auch zu weniger Unfรคllen und Verkehrstoten fรผhrt โ schรถne heile grรผne Welt.
Ich finde nicht, dass bei der Hรถchstgeschwindigkeit in der Stadt angepasst werden muss. Es ist aus meiner Sicht der Zeitgeist, mehr nicht. Auch รผber das Thema โKlimanotstand auf kommunaler Ebeneโ kรถnnte man mal irgendwo ausfรผhrlicher reden.
Gern kann die Verkehrsรผberwachung verstรคrkt werden, damit die nervige Spitzenlast an Raserei, Lรคrmverbreitung, Falschparkern oder was auch immer endlich eingeschrรคnkt wird.
Ein gutes Beispiel sind die schraffierten Flรคchen an Kreuzungen oder Zebrastreifen. Es steht in der StVO schon drin, welchen Abstand man zu Kreuzungen und Zebrastreifen halten muss, aber die Stadt ist so freundlich und malt eine Erinnerung auf die Straรe. Mancher denkt โoh, eine freie Flรคche direkt vor dem Konsum!โ und stellt sich genau drauf. Da hรคtte ich manchmal schon Lust einfach eine App zu verwenden, die ein Bild an jemand zustรคndiges schickt, und der Einkauf damit circa 30 โฌ teurer wird.
Die Polizei fรคhrt doch Streife durch die Stadt. Die dรผrfen doch auch Strafzettel verteilen. Geht da gar nichts mehr?
Leider wird aber auch der Druck seitens der Stadt erhรถht. Garagen abreissen, und den Leuten dort sagen โihr mรผsst halt umdenkenโ. Tja, wo werden diese Autos wohl landenโฆ
Also โverschiedenโ sind alle die von Ihnen akzeptierten Verkehrsmittel wohl.
Sie haben alle ihre Berechtigung, das sehe ich auch so.
(Der Flรคchenverbrauch und der รถkologische Fuรabdruck sind allerdings recht unterschiedlich.)
Aber was ist Ihnen denn nicht so geheuer?
Es ging ja vor allem um Tempo 30.
Sehen Sie Ihre methodisch-befriedigende Geschwindigkeit 50 gefรคhrdet?
Ich gebe zu, mir wรคre das auch nicht so lieb, aber irgendwann muss ja mal evaluiert und angepasst werden.
Nein nein, die Gleichberechtigung habe ich schon im Sinne des Miteinanders, nicht im Sinne von Kreuzungen verstandenโฆ
โMeinen Sie nicht auch, dass JEDER Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt den gemeinsamen Verkehrsraum nutzen dรผrfen sollte?โ
Nein, das finde ich nicht. Mir ist dieser Ansatz nicht so ganz geheuer.
Ich wรผrde sagen, und das ist vielleicht wirklich eine diskutierbare Grundsatzfrage, dass erst mal Jeder:*/innen machen darf was er mรถchte.
Wer gern im Winter und durch Schneematsch, weil er davon รผberzeugt ist, mit dem Rad fรคhrt, soll das bitte tun kรถnnen. Es wรคre begrรผรenswert, wenn der Winterdienst dafรผr sorgen wรผrde, dass das geht. Zum Beispiel per Multicar oder anderem kommunalem Fahrzeugpark.
Wer zum Sammeltransport neigt, dabei zum Beispiel gern sitzt und lieรt, der soll gern Bus und Bahn nehmen. Es wรคre begrรผรenswert, wenn da die Hausaufgaben noch erledigt werden. Ich, und viele andere ferrophile Menschen die ich kenne, weisen auf Stรคdte wie Dresden, Stuttgart andere hin um sich zu orientieren, was man besser machen kann.
Und wer trotz der DANN (ein zeitliches Argument bzw. eins der Reihenfolge!) vorhandenen offensichtlichen Vorteile von Sammeltransport, Pedalkraft oder anderen Konzepten immernoch fรผr sich entscheidet mit dem Auto zu fahren, der soll halt Auto fahren. Der Wohlstand steigt mit den Jahrzehnten weiter an (Saschoks Kommentar zum Thema KFZ in der DDR im Pendel-Artikel war glaube ich ziemlich treffsicher) und die Leute legen wert auf ihre Freizeitgesellschaft. Meine Groรeltern hatten nie Fรผhrerschein oder PKW und viele junge Leute binden sich heute auch keinen Fรผnfjahreskredit fรผr einen Golf mehr ans Bein. Nextbike floriert und ist ein super Konzept geworden, meines Wissens ebenfalls mit Fรถrderung. Ein schรถnes Beispiel fรผr das Thema โAngebote schaffenโ.
Und mein Auto besitze ich sicherlich auch nicht aus Prestigegrรผnden, oder weil ich immerzu rasen muss, oder weil ich alt und weiร bin (es hรคngt mir so zum Halse rausโฆ) sondern weil ich fรผr mich persรถnlich entschieden habe, was ich mit meinem Geld anstelle und es fรผr bestimmte, wiederkehrende Anlรคsse fรผr die sinnvollste Methode halte mich fortzubewegen.
@Sebastian
Der Begriff โGleichberechtigungโ ist tatsรคchlich dem VCD entliehen.
Bitte nicht mit Straรenkreuzungen ohne Beschilderung verwechseln ๐
Ob nun historisch langsam oder aktuell etwas rasanter:
Meinen Sie nicht auch, dass JEDER Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt den gemeinsamen Verkehrsraum nutzen dรผrfen sollte?
Zurzeit liegt der MIV in der Wichtigkeit ganz oben. Natรผrlich werden Fuรgรคnger zyklisch berechtigt, gnรคdigerweise wird Radfahrern Zugriff ermรถglicht. Aber zu 70% der Zeit rollen PKW รผber den Asphalt.
Eventuell ersetzt man den Begriff durch โMiteinanderโ. So sollte es theoretisch funktionieren.
Jetzt gleich zwei Leuten parallel zu antworten artet fรผr einen Kommentarbereich unter Artikeln eigentlich etwas aus, was Textmenge und auch die dafรผr benรถtigte Zeit angehtโฆ
Ich stelle erst mal fest, dass Lรคrm und Abgase nun offenbar doch keine Scheinargumente / Strohpersonen sind, sondern doch immer wieder ins Feld gefรผhrt werden und dadurch auch gern weiter diskutiert werden kรถnnen.
โDas โgemeinsame Schwimmenโ war natรผrlich nur symbolisch gemeint โ aber das haben Sie sicher verstanden!โ
Tatsรคchlich nicht wirklich. Aber gut, dass Sie das klargestellt haben. Ich gehe tatsรคchlich weiterhin von der Verschiedenheit der Verkehrsteilnehmer aus, und nicht von dem Wunsch sie gleich zu machen. Aus meiner Sicht kann aber gern jeder Teil fรผr sich stรคrker gemacht werden und sicherlich kann der PKW-Anteil dabei auch reduziert werden. Nicht รผberall, wo es heute mehrspurig zugeht, ist das nรถtig. Und wenn man der รคsthetischen Meinung ist, dass einen die Blechkarawannen, -lawinen und das ganze Stopfzeug am Straรenrand so sehr stรถrt, kann man ja auch da umsteuern und zentralere Orte schaffen. Zu DDR-Zeiten waren Garagen eine wunderbare Sache, auch fรผr die Haltbarkeit des kostbaren Gefรคhrts. Heute ist sowas aus stรคdtebaulicher Sicht natรผrlich nicht mehr in Mode, und Platz braucht sowas auch.
Das Thema โBrรผcke in Leutzschโ ist auch ganz spannend. Ich kenne mich dort ein biรchen aus und musste schon ziemlich schmunzeln, als der รkolรถwe dort von โAutobahnkreuzโ schrieb, und noch viel besser: โmitten in der Stadtโ. Dort ist der Bahnhof Leutzsch, dort fรคhrt quasi der Gรผterring durch. Mรถglich, dass jemand, der sich mit Pommes und Burger bewaffnet in einen Hauseingang am Sรผdplatz setzt und das Ambiente dort genieรt, auch von so einem Ort zwischen Leutzsch und Bรถhlitz Aufenthaltsqualitรคt + Essensbude erwartet. Ich finde, dass die 40 Millionen dort vermutlich gut angelegt sind und auch die Plรคne, gern noch etwas angepasst, nicht โvรถllig รผberdimensioniertโ. In anderen Stรคdten, zu anderen Zeiten, hรคtte man dort nen Tunnel mit Zubringersystem hingebaut, und DAS wรคre mal ein Kostenfaktor, der hier berechtigterweise fรผr Aufreger sorgen wรผrde.
โFrรผher war die Fahrbahn nicht explizit den Fahrzeugen gewidmet. Die Straรen waren schmal, keine Lichtsignale, keine Parkplรคtze!โ
Ich habe auch den Film bei Youtube gesehen, in dem bei Youtube in den 30er (?) Jahren die Straรenbahn durch Leipzig fuhr. Sehr spannend zu sehen, aber auf keinen Fall etwas, was ich mir fรผr heute vorstellen mรถchte. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Bahn in diesen engen Straรen war gering, man konnte teilweise ja noch aufspringen unterwegs. Die Fahrbahnquerungen aller Teilnehmer chaotisch, die Reisezeiten immens. Vielleicht gab es auch einfach nicht so oft Anlass fรผr โReisenโ quer durch die Stadt, ich weiร es nicht. Ihre historische Sicht in allen Ehren, aber der heutige Anspruch an Geschwindigkeit ist ein anderer. Man hat die Straรenbahn von der Schillerstraรe oder anderen Nebenstrecken sicher nicht nur dafรผr abgebaut, damit dort Autos bequem fahren kรถnnen. Es ist einfach lahm und damit unattraktiv, wenn an solchen Stellen engmaschig und dicht die einzelnen Bahnen fahren.
Von den Stichpunkten, die Christian auffรผhrt, wรผrde ich nicht alle als hieb- und stichfest ansehen. Ganz besonders โmehr Gleichberechtigungโ scheint mir ein Punkt zu sein, der die politisch-ideologische Note der Diskussion, in dieser Situation gefรผhrt von der Linkspartei, auf den Punkt bringt.
@Saschok.
Recherchieren Sie mal beim VCD.
Tempo 30 bedeutet:
* weniger Lรคrm (ca.3-5db, also doppelt so leise)
* weniger Staus, gleichmรครigerer Verkehr
* weniger Schwerverletzte, Tote
* mehr Gleichberechtigung und Kommunikation zwischen den Verkehrsteilnehmern.
* mehr Sicherheit + Lebensqualitรคt.
Und ja, โweniger Schadstoffeโ werden nicht aufgefรผhrt.
Weisen Sie Herrn Weiss einfach mal freundlich darauf hin.
Reichen die o.g. Argumente noch nicht pro Tempo 30?
Nach mal zu meiner Argumentation:
Sofern man bei der Argumentation fรผr die 30er Zonen bei der Verkehrssicherheit und dem Erlebnisbereich Straรe (โTrรถndlinring als Fuรgรคngerzoneโ)bliebe, kann man das politisch favorisieren. Was aber รผberhaupt nicht geht ist , vรถllig unbelegte Sachverhalte oder Scheinargumente, die im konkreten Fall unbewiesen sind, ja wo es sogar erhebliche und nachgewiesene Zweifel an der Eintrittswahrscheinlichkeit gibt, wie die Senkung des Schadstoffausstoรes oder der Lรคrmpegel, durch mantrahafte Wiederholungen, als Realitรคt verkaufen zu wollen, aus rein populistischen Grรผnden.
@Sebastian danke fรผr die Antwort.
Sie schrieben sinngemรคร, der MIV habe anscheinend so viel Vorteile gegenรผber dem Umweltverbund, das den Fรถrderern des Umweltverbundes kaum anderes einfรคllt als die Bedingungen des MIV zu verschlechtern, anstatt die Bedingungen fรผr den Umweltverbund zu verbessern.
Dem will ich folgendes entgegensetzen:
โ der Umweltverbund wird fรผr 60% der Wege in Leipzig genutzt, der MIV fรผr 40%. So unattraktiv ist der Umweltverbund also nicht. Nichtsdestotrotz ist 40% MIV natรผrlich viel zu viel und fรผr die 40% der Wege mag die Wahl des MIVs vorteilhaft sein oder erscheinen, zu geringem Teil auch nur unter bedeutenden Aufwรคnden mit dem Umweltverbund zurรผckgelegt werden kรถnnen.
โ die unbestreitbaren Vorteile des MIV hat dieser dank einer seit mittlerweile 100 Jahren andauernden Fรถrderung desselben AUF KOSTEN des Umweltverbundes. Frรผher war die Fahrbahn nicht explizit den Fahrzeugen gewidmet. Die Straรen waren schmal, keine Lichtsignale, keine Parkplรคtze! Wenn ich ein Haus gebaut habe, war ich nicht verpflichtet, fรผr Parkplรคtze zu sorgen. Und die Wege waren kurz, denn die Stadtplanung war auf die Erreichbarkeit mittels Umweltverbund ausgerichtet. Die Zug- und Tramnetze waren dicht. Der Platz, den der MIV jetzt hat, wurde anderen Fortbewegungsarten weggenommen. Es geht ja nicht darum, dass die Zeit zurรผckgedreht werden soll. Ich kann aber die Vorteilhaftigkeit des MIV nicht stehen lassen, ohne die 100-jรคhrige Fรถrderung desselben zu erwรคhnen. Gedankenspiel: Wie viele Menschen wรผrden zur Arbeit oder in die Innenstadt mit dem Auto fahren, wenn es dort keine Parkplรคtze gรคbe?
โ Will man jetzt die Bedingungen fรผr den Umweltverbund verbessern, so geht dies schon theoretisch nicht, ohne die Bedingungen fรผr den MIV zu verschlechtern. Der Platz in der Stadt ist endlich. Es wurde 100 Jahre in Richtung Auto umverteilt. Vielleicht geht es irgendwann zaghaft in die Gegenrichtung. Wenn man sich anschaut, welche Groรprojekte fรผr den MIV immer noch gebaut werden (A72, Durchstich Hohenmรถlsen-Starsiedel) bzw. diskutiert werden (Tunnel AGRA) und wie viel Geld dafรผr ausgegeben wird, kann man nicht ernsthaft behaupten, der MIV wรผrde benachteiligt.
โ Und nochmal die Frage mit Hoffen auf Antwort: Was ist schlecht daran die Bedingungen des MIV in der Stadt zu verschlechtern?
Ich hoffe Sie haben die erwiesenen Tatsache, dass die Unfallschwere bei Geschwindigkeiten um 30 bedeutend niedriger ist als bei Tempo 50, nicht unter โweichere, persรถnlichere Argumenteโ gezรคhlt. Wรคre jedenfalls schรถn zu hรถren, was sie dem zu entgegnen haben.
Zum Strohmann: Wenn Sie einen Kรผhlschrank kaufen wollen, der halb so viel Strom verbraucht wie Ihr alter, und jemand entgegnet Ihnen: โAber der verbraucht ja genausoviel oder sogar ein bisschen mehr Wasserโ. Was hรคtten Sie da? Einen Strohmann. Denn das war ja nicht ihr Ziel. Genauso ist es nicht Hauptziel von Tempo 30, den Schadstoffausstoร des MIV reduzieren. Und Argumente, die sich darum drehen, kรถnnen ja durchaus richtig sein, sind aber fรผr die Einschรคtzung der Sinnhaftigkeit der Maรnahme sehr viel weniger relevant.
Ihrer Kritik am vรถllig ungenรผgenden Ausbau z.B. der Tram stimme ich zu. Aber wer 40mio fรผr eine รผberdimensionierte Brรผcke in Leutzsch ausgibt, bzw dafรผr Fรถrdermittel vergibt, kann sie halt nicht fรผr den Umweltverbund ausgeben. Man kann die Dinge halt nicht losgelรถst voneinander betrachten.
@Sebastian
Das โgemeinsame Schwimmenโ war natรผrlich nur symbolisch gemeint โ aber das haben Sie sicher verstanden!
Zu Ihrer teils guten Argumentation.
Die autogetriggerte Gesellschaft (Statussymbol, Egoismus, Autoindustrie, โFlexibilitรคtโ) hat jahrzehntelang den MIV รผbervorteilt. Straรen. Steuersubvention. Industrie. Gewinnmaximierungsmรถglichkeiten.
Die โbesserenโ Verkehrsmittel haben es schwerer: Fรถrdermittel knapp, nur unter immensen Auflagen (separates Gleisbett), solidarische Nutzung nicht so beliebt wie alleine im Auto sitzen, Infrastruktur aufwendig, psychologische Kosten, Geld Daseinsfรผrsorge knapp.
Wie bei Ihrem Rennradler: fรผhren Sie es auf Rรผcksicht zurรผck! Damit lรคsst sich vieles regeln.
* Ich halte als Radler und Autofahrer an allen roten Ampeln an. Auch in / an Haltestellen. Egal, ob es โgrad lรคuftโ.
* Der relativ schnelle MIV muss auf die anderen Verkehrsarten mehr Rรผcksicht nehmen, das betrifft โ neben dem zur Verfรผgung stehenden Verkehrsraum โ auch die Geschwindigkeit. Also in der Stadt.
So einfach ist das. Nรผchtern gesehen.
Das kommt verschiedenen Faktoren zugute.
รkonomie, Sicherheit, evtl. Lรคrm, evtl. Abgase. Und damit auch der Gesellschaft.
Erst werden Argumente angebracht, und wenn man sich dann damit beschรคftigt, sind es plรถtzlich โalte, immer gleicheโ Argumente (sind die Argumente der 30er-Befรผrworter alle neu? Was wรผrde das รคndern? ) oder es wird mit Scheinargumenten (โStrohmannโ) argumentiert. Naja, wenigstens wird nicht alles durchgegendert.
Es ist der Wunsch zu erkennen, nun nicht mehr รผber den (vermutlich sehr geringen) Vorteil des geringeren Lรคrms bei generellem Tempo 30 zu debattieren, und auch nicht mehr รผber den Schadstoffausstoร, der zumindest in der Zeit der Verbrenner technisch eher unplausibel erscheint. Jetzt soll es offenbar um weichere, persรถnlichere Argumente gehen, wenn ich sowas lese wie โAutofahrer, die immer schneller sein wollen als alle anderenโ, oder natรผrlich โ man wartet schon drauf, die Schlagworte โrasenโ und โverstopfenโ.
Der Autor schreibt โAlles ebenfalls Argumente, die nicht passen, denn die Straรenbahnen der LVB erreichen im derzeitigen Regelbetrieb nicht einmal mehr 20 km/hโ. Erstens ist das vermutlich nur der Durchschnittswert, demzufolge kรถnnte man jetzt den Durchschnittswert der Auto-Driftgeschwindigkeit gegenรผberstellen, statt dem erlaubten Maximalwert von 50 km/h, und zweitens hรคlt so eine Bahn eben an jeder Haltestelle, was ein persรถnlich gefรผhrtes Fahrzeug natรผrlich nicht tut. Die beiden Verkehrsmittel haben ziemlich unterschiedliche Bewegungsarten, aber aus politischen Grรผnden sollen sie gleichgemacht werden. Das Auto soll bitteschรถn seine Vorteile verlieren.
Da steht auch: โwenn die umweltfreundlichen Verkehrsarten eine Chance haben sollen.โ Das ist genau der Duktus der Bettelampeln (seit einiger Zeit erfreulicherweise hier nicht mehr gelesen). Offenbar hat das Auto ja solche Vorteile, dass die โbesserenโ Verkehrsmittel es im jetzigen Zustand schwerer haben. Und statt das die Bahnen endlich komfortabler werden, wesentlich leiser und enger getaktet, anstatt dass endlich Ausbau beim Schleuรiger Weg (und anderswo) passiert, statt dass die Betriebssicherheit bei seltenen Schneeereignissen erhรถht wird und dass man nicht um die 6 Euro bezahlt, um nach Gohlis und zurรผck zu kommenโฆ stattdessen und solange muss eben der Autofahrer mit Druckmitteln von den Straรen bewegt werden. Sicher kann das ein Bestandteil von Politik sein, aber doch wohl nicht der Weisheit letzter (und einziger) Schluss.
Wenn wir schon bei weicheren Argumenten sind: Gestern erst wieder stadteinwรคrts einen Rennradler auf der Gohliser, dann Pfaffendorfer Straรe gesehen. Keine rote Ampel war von Interesse, auch nicht zwei Straรenbahn-Haltestellen, an denen Leute waren. Er wollte einfach schnell weiter. Hinterm Zoo verlor sich die Spurโฆ
Ich kenne das doch selbst als Radfahrer. Wenn man einmal Geschwindigkeit hat, wenn man auf asphaltiertem Untergrund fรคhrt und gut voran kommt, dann mรถchte man nicht โaus Vernunftgrรผndenโ (die ich nachwievor etwas weit hergeholt finde) in einen niedrigen Gang schalten und langsam fahren, sondern man mรถchte mitschwimmen. Auf den Straรen, auf denen das mรถglich ist, mรถchte ich das weiterhin. Zumindest an den paar Tagen im Monat, an denen ich das Auto mal benutze.
Ein ganz normales Bedรผrfnis, wenn man sich mal in den anderen hineinversetzt. Allerdings kรคme ich nie auf die Idee, dabei Fuรgรคnger und Autos zusammen schwimmen zu lassenโฆso langsam wird es schwer vorstellbar, wie argumentiert wird.
Danke fรผr dieses Argument, Gyรถrgy.
Viele Defizite, welche Bedenkentrรคger erwarten, wenn es um fรถrderliche Maรnahmen fรผr den Umweltverbund geht, werden gemessen am Fortkommen des MIV. Und offensichtlich zu einem Zeitpunkt, an dem sich kein anderer Mensch mit jedwedem Verkehrsmittel auf der Straรe befindet, kein รPNV und kein Fuรgรคnger. Dieser Zustand als Referenz ist hanebรผchen!
Unser Verkehrsraum wurde zum grรถรten Teil als Straรe befestigt, eine zwingende Bindung an den MIV ist mir nicht bekannt. Der MIV darf gern mit Fuรgรคngern und Radfahrern mitschwimmen.
Leider muss der Verkehrsraum mittlerweile die Folgen der โ teils krankhaften โ Vergrรถรerung einer Stadt auffangen, da jeder ja ein Eigenheim braucht, welches nur noch in den Vororten zu haben ist.
Also โbraucht man dann ja unbedingt ein Autoโ, weil der Bus nicht alle 5min in die Pampa fรคhrt.
Am besten fรผr Mama und Papa je eins. Wegen der Unabhรคngigkeit.
Und diese Autos sind es zum groรen Teil auch, welche den Straรenraum in Leipzig verstopfen.
Hallo Saschok,
der Lรคrm- und Schadstofreduzierung wird in der Argumentation so viel Raum gegeben, dabei ist es aus meiner Sicht doch gar nicht der wichtige Punkt. Viel wichtiger sind die Vorteile von Tempo 30 bezรผglich: 1. Sicherheit schwรคcherer Verkehrsteilnehmer, vor allem die Unfallschwere geht deutlich zurรผck, 2. verbessertes Mitschwimmen von Radverkehr und Autos: bei niedrigerem Regeltempo kann ich als Radfahrer auch die Grรผnphase an der Ampel Leibnitzstraรe erreichen, wenn ich am Gรถrdelerring bei Grรผn losfuhr. Momentan muss man ~40kmh erreichen, um dies zu schaffen. 3. nebeneffekt von 2: deutlich hรถheres SIcherheitsempfinden der schwรคcheren Verkehrsteilnehmer, damit auch eine Attraktivitรคtserhรถhung dieser Fortbewegungsarten.
In der Diskussion versteifen sich die Gegner der Maรnahme zu sehr auf die partielle eventuelle Nachteile des MIV, die gar nicht im Fokus der Debatte standen. Im Endeffekt ein Strohmann. Schade wenn dann die L-iz und die Linkspartei darauf eingehen, anstatt es als Strohmann zu benennen.
Nebenbei: Was daran schlecht ist, wenn sich die Reisezeit fรผr den MIV erhรถht, ist mir schleierhaft, wenn man der Prรคmisse der notwendigen Reduktion des MIV in der Stadt zustimmt. Warum ist denn die Reisezeit des MIV das Maร, das immer noch optimiert werden soll und nicht die Reisezeit des Umweltverbundes?
Falls mit der Einfรผhrung der 30er Geschwindigkeit es zu einem verbesserten Verkehrsfluss (Verstetigung) kommt, kann das zu einer geringfรผgigen Lรคrm- und Schadstoffreduzierung fรผhren. Ist das aber nicht der Fall, so steigt der Lรคrm- und Schadstoffausstoร nicht unerheblich. Das zu untersuchen ist Aufgabe der Verkehrsplanung der Stadt Leipzig (Verkehrs- und Tiefbauamt). Hier ist auch das neue Lรคrmberechnungsverfahren (RLS-19) zu berรผcksichtigen. Eine grundsรคtzliche Annahme, dass 30er-Zonen zu weniger Lรคrm- und Schadstoffen fรผhrt, ist politisch sicherlich gewollt aber selbst durch hundertfache Wiederholungen nicht wahr zu kriegen. In dem Artikel finden sich nur Mutmaรungen zur falschen Auffassung des ADAC aber keinerlei fachliche Argumentation.