Am 24. März ging es zu frühabendlicher Stunde in der Ratsversammlung um ein Thema, das schon in den vergangenen Wochen die Gemüter hat hochkochen lassen: Tempo 30. Kann man in einer Stadt wie Leipzig Tempo 30 flächendeckend einführen? Oder doch lieber nur in bestimmten Gebieten? Und was macht das eigentlich mit dem Verkehrsfluss? Da war natürlich zu erwarten, dass es ziemlich heftig zur Sache gehen würde. Und ging es ja auch.

Wobei es teilweise heftig entgleiste, wofür vor allem die Sprecher von AfD und CDU sorgten, die in den Antrag mehr hineingeheimnisten, als darin war. Denn weder ist Leipzig in der Lage, einfach mal so eine maximale Richtgeschwindigkeit im ganzen Stadtgebiet zu verhängen, noch wird das mit diesem Antrag Thema. Wobei es eigentlich schon die zweite Häutung eines ursprünglichen Antrags der Grünen war, die beantragten hatten, der OBM solle einmal nachfragen, ob die Einrichtung von solchen Pilotzonen in Leipzig möglich wäre.Auf diesen Antrag gab es dann eine sehr sachliche Stellungnahme des Verkehrsdezernats, das auf die rechtlichen Schwierigkeiten hinwies, das Anliegen aber unterstützte.

Zwischenzeitlich reichte die Linksfraktion noch einen weitergehenden Antrag ein: Tempo 30 als Richtgeschwindigkeit im ganzen Stadtgebiet. Den aber zog sie noch vor der Sitzung zurück. Der stand also gar nicht zur Debatte.

Die SPD-Fraktion hatte noch einen Änderungsantrag zum Grünen-Antrag eingereicht.

Aber da es nun drei Fraktionen gab, die das Thema für sinnvoll hielten, taten sie sich zusammen und formulierten auf Basis des Verwaltungsstandpunktes einen gemeinsamen Antrag. Immerhin war in der ganzen Debatte ja klar geworden, das der Deutsche Städtetag seit 1989 um das Thema Richtgeschwindigkeit Tempo 30 ringt und Leipzig ganz und gar nicht allein ist mit dem Gedanken, dass man die Verkehrssicherheit in der Stadt durchaus erhöhen kann, wenn man das Tempo auch auf (einigen) Hauptstraßen verringert. Worauf FDP-Stadtrat Sven Morlok in seiner schönen nüchternen Art hinwies. Selbst wenn ein Modellprojekt positive Ergebnisse bringt, kann die Stadt Ausnahmen auf wichtigen Hauptstraßen treffen.

Deswegen ging es – auch wenn alle Redner von AfD und CDU das suggerierten – diesmal eben nicht darum, über die Verhängung von Tempo 30 auf allen Leipziger Hauptstraßen abzustimmen.

Noch nüchterner schilderte Thomas Köhler (Piraten) das Thema aus seiner Erfahrung als Rettungssanitäter auf Leipziger Straßen. Denn Unfälle mit Tempo 50 sehen anders aus als solche mit Tempo 30. Und zwar vor allem für die schwächeren Verkehrsteilnehmer.

Und nicht nur SPD-Fraktionsvorsitzender Christopher Zenker betonte zu Recht, dass niemand wissen kann, was bei einem Modellversuch unter wissenschaftlicher Begleitung herauskommt. Denn so faktenbestückt sich einige Redner gaben – es gab so einen Modellversuch noch nicht. Niemand kann also sagen, welche Ergebnisse am Ende dastehen, ob der ÖPNV tatsächlich behindert wird oder die Autofahrer auf Nebenstraßen ausweichen oder die Schadstoffbelastung anders wird. Egal, welche Argumente ADAC und Wirtschaftskammern anführen. Klug wird man nur, wenn man es endlich mal ausprobiert.

Weshalb der gemeinsame Antrag, den Grüne, SPD und Linke nun formuliert haben, nun so lautete: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, mit mehreren deutschen Städten und unter Einbezug des Deutschen Städtetags, die Rahmenbedingungen für einen Modellversuch zur testweisen Einführung von Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts in einem abgegrenzten Stadtgebiet zu untersuchen, den Inhalt einer wissenschaftlichen Begleitung abzustimmen, sowie den Modellversuch anschließend mit diesen und/oder weiteren Städten durchzuführen.“

Denn genau so macht die Sache dann ernsthaft Sinn, wenn dieselbe Versuchsanordnung auch in anderen Städten parallel durchgeführt wird, auch in kleineren. Denn ein Ergebnis könnte ja auch sein, dass die Sache nur in bestimmten Städten funktioniert, in anderen nicht. Das alles weiß noch niemand. Und die Aufforderung an OBM Burkhard Jung, in dem Sinn auch als Präsident des Deutschen Städtetages tätig zu werden, war unüberhörbar. Wer, wenn nicht er?

Die einzelnen Antragspunkte lauteten deshalb:

1. Der Oberbürgermeister unterbreitet dem Stadtrat bis Ende des 4. Quartals 2021 einen Vorschlag, welches abgegrenzte Stadtgebiet in Leipzig für einen solchen Modellversuch sinnvoll nutzbar wäre.

2. Der Oberbürgermeister setzt sich im Rahmen der Definition dieses Modellversuchs dafür ein, dass der Versuchsaufbau so gewählt wird, dass neben Betrachtungen des Verkehrsflusses eben auch Fragen der zu erwartenden Schadstoffemissionen und der Verkehrssicherheit eine besondere Berücksichtigung finden. Da eine Tempo-30-Regelung immer dann einen besonderen Einfluss auf den ÖPNV hat, wenn er sich den Straßenraum mit dem motorisierten Verkehr teilt, sollen für den Versuch in Leipzig auch die Leipziger Verkehrsbetriebe eingebunden werden.

Freilich war in der Debatte der Versuch der AfD-Fraktion, die Sache zu dramatisieren, nicht zu übersehen. Nach der Rede von AfD-Stadtrat Tobias Keller – die gerade bei Fansiska Riekewald (Linke) und Anja Feichtinger (SPD) ganz schlecht ankam – konnte man fast meinen, die Stadt gehe unter und würde in einem einzigen Stau versinken, bloß weil die Autofahrer jetzt nur noch mit 30 hm/h unterwegs wären.

Den Antrag zur namentlichen Abstimmung stellte dann sein Fraktionskollege Christian Kriegel. Freilich mit Kritik von Sven Morlok, denn eigentlich war sein Antrag Unfug, denn es geht ja noch lange nicht um die Einführung von Tempo 30, sondern nach wie vor um die Ermöglichung eines Modellversuchs.

Letztlich stimmten freilich 20 Stadträt/-innen dem Antrag zur namentlichen Abstimmung zu. 15 hätten es gebraucht, diesem Antrag zu genügen.

Und in der namentlichen Abstimmung wurde dann deutlich, welche Fraktionen die Mobilitätswende in Leipzig wirklich wollen, denn deren Stadträt/-innen stimmten sämtlich mit „Ja“. Und die beiden Fraktionen, die am alten Bild der Autostadt festhalten wollen, stimmten mit „Nein“. Ergebnis: 43 Ja-Stimmen, 23 Nein-Stimmen.

Oberbürgermeister Burkhard Jung darf und soll sich also dafür einsetzen, dass Leipzig so einen Modellversuch – gemeinsam mit anderen deutschen Städten – durchführen kann. Erst wenn der über die Bühne gegangen ist, sind alle klüger.

Die Debatte vom 24. März 2021 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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